Der Nazi-Jargon hatte eine Menge von euphemistischen Worten verbreitet, die schwarze Taten zudecken sollten. Die „Reichskristallnacht“ gehört dazu, die das Zerstören und Lichterlohbrennen von jüdischen Geschäften und Synagogen zu einer positiven Sonnenwendfeier verklärte. Klingt doch schön das Wort. So froh und hell und kostbar. Leider benutzen wir es auch immer wieder, weil einfach eingeschliffene Sprachmuster noch lange von einem tradiert werden, auch wenn der ideologische Gehalt von einem längst erkannt und verurteilt wurde. Die Aktion, die nun schon 19 Jahre Horst Dieter Schlosser von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität initiiert und durchführt – genau genommen hat er sich 1994 nach der Kritik am gewählten „Kollektiven Freizeitpark“ des Bundeskanzlers für Sozialstaatsvorhaben aus dem anfänglichen Unwortvergeber, der Gesellschaft für Deutsche Sprache, als „Sprachkritische Aktion“ gelöst, die jetzt Träger der Aktion ist -, soll durch die Aktualität gerade verhindern, daß solche Unworte im eigenen Hirn und dem der Deutschen Platz greift und eine fiese Bedeutung annimmt, die man ihm nicht immer unbedingt anhört.
Damit sich nicht nur Sprachexperten, sondern jeder das Deutsche Sprechende beteiligen kann, ist jetzt von Frankfurt aus noch einmal ein nationale Aufruf erfolgt, sich bis zum 11. Januar bei den Bezugsadressen zu melden, wenn einem ein Begriff, eine Benennung besonders gegen den Strich geht. „Gesucht werden Wörter und Wendungen aus der öffentlichen Kommunikation, die im zurückliegenden Jahr besonders negativ aufgefallen sind, weil sie einen Gegenstand, eine Person, einen Vorgang… unangemessen wiedergegeben und dabei womöglich sogar ethische Normen verletzt haben.“, sagen dazu die Veranstalter. Klar ist auch, daß man nicht ein Wort, das irgendeiner an irgendeinem Tresen mal gemurmelt hat, gemeint ist, sondern ein Unwort, daß in die Öffentlichkeit getragen wurde, weshalb die Quellenangabe eine Selbstverständlichkeit bei der Einsendung ist. Allerdings ist dies nicht auf Politik beschränkt, sondern kann aus allen Bereichen, also auch der Verwaltung, der Wirtschaft, der Technik, dem Sport, der Wissenschaft, den Künsten, Kulturinstitutionen oder Medien kommen.
Nach dem 11. Januar wird dann eine unabhängige Jury die „Sieger“ ermitteln, wobei sie sich dabei grundsätzlich nicht nach der Zahl der Unterstützer/innen eines Unwort-Vorschlags richtet, denn einerseits wäre dann Manipulation Tür und Tor geöffnet, andererseits geht es bei dieser Prämierung um eine inhaltliche Entscheidung, welches Unwort man in der gesellschaftlichen Situation Anfang des Jahres 2010 für das abgelaufene Jahr besonders abscheulich hält. Die also tatsächlich entscheidende Jury, kein Zählverein, besteht aus vier ständigen Mitgliedern, Sprachwissenschaftler/innen verschiedener Universitäten – Prof. Dr. Nina Janich (Darmstadt), Prof. Dr. Margot Heinemann (Zittau), Prof. Dr. Martin Wengeler (Düsseldorf), Prof. Dr. Horst Dieter Schlosser (Frankfurt a. M.). und den jeweils für ein Jahr kooptierten Juroren als Vertreter der Sprachpraxis, die uns für die Entscheidung 2010 noch nicht bekannt sind.
Die jeweiligen Sieger seit 1991 mit ihren nächsten Favoriten und der Jury finden Sie auf der Webseite http://www.unwortdesjahres.org. Sie werden staunen. Für das 20. Jahrhundert wurde übrigens als Unwort „Menschenmaterial“ gekürt.
Die Entscheidung wird am 19. Januar 2010 in einer Pressekonferenz bekanntgegeben. Ort: Universität Frankfurt, Campus Westend, IG Farben-Haus- Eisenhower-Raum. Beginn: 10 Uhr. Anschrift: Prof. Dr. Horst Dieter Schlosser, Goethe-Universität Frankfurt (Fach 161), 60629 Frankfurt am Main oder Email an unwort@em.uni-frankfurt.de