Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wer kennt Rügen eigentlich nicht? Stimmt schon, da gibt es jede Menge, Massen an Menschen, immer mehr sausen über den Strelasund auf die Insel, die man als solche nicht wahrnimmt, und brausen bald noch schneller in die Seebäder und an die Strände. Dabei wirkt Rügen wie Küste, wie ein Zusammenspiel von Land und See. Die Ostsee, die Baltische See oder auch das Baltische Meer, Mare Balticum, ist es, weswegen die Wellen weniger wogen und die Bewohner nicht so rau sind wie an der Nordsee.
Und dennoch ist es kein Wunder, dass das herausragende Buch über Rügen mit dem Tiitel „Rügen neu entdecken – Insel, Ort, Originale“ von Maik Brandenburg und Harald Schmitt mit Wellenschlag am Strand vor Binz beginnt. Von diesem Bild, das die Titelseite komplett einnimmt, geht es Seite für Seite weiter über die Tauchgondel auf der Seebrücke von Sellin, den Leuchtturm an der Einfahrt zum Hafen von Sassnitz, vorbei an Feldern voller Klatschmon und Felsen aus Kreide. Die Auswahl der Bilder ist bestens. Harald Schmitt zeigt die Insel, das Land und die Leute, also Rüganer (Eingeborene) und Rügener (Eingewanderte) von ihrer schönsten Seite. Seite? Viele Seiten könnten mit den Bildern von Schmitt bedruckt werden und keine würde der anderen gleichen.
Die Texte sind nicht weniger gut. Maik Brandenburg, reich an Erfahrungen und Erkenntnissen über Rügen und darüber hinaus, verseht es, dem Leser auf beachtenswerte Weise die auf Rügen Gestrandeten und Geborenen in Geschichte und Gegenwart mit einfachen, aber nicht einfältigen Worten, in denen eine gehörige Prise Humor steckt, näher zu bringen. Der emphatische Autor, der symphatisch rüberkommt, wirkt reflektiert und kann offensichtlich sich und andere auf die Schippe nehmen, wobei neben dem Vorstellen und Erklären auch die Kritik in einer starken, bildgewaltigen Sprache nicht zu kurz kommt. Im Vorwort hält er, der „Anfang der Achtziger in Bergen“ sein Abitur absolvierte (S. 13), fest, dass der Lenin-Waggon, mit dem der Revolutionsführer und Bolschewist Lenin im April 1917 Richtung Russland reiste, im Bahnhof von Sassnitz stand und notiert: „Der Wagen stand auf einem Abstellgleis, aber das machte mich nie stutzig.“ Brandenburg beschreibt, wie er, der sich „komischerweise … nie eingesperrt“ fühlte, Fernweh bekam, auch wenn Rügen zur Zeiten der DDR „keine Gefängnisinsel“ gewesen sei, und stellt klar: „Ich wollte immer nur weg.“ (S. 13.)
Der Autor las und träumte sich hinaus, kam aber nur bis Ummanz, diesem „magischen Halbinselchen“ und strafte die Insel seinerzeit mit „Nichtachtung“. Ummanz habe „verschwiegenes Schilf und eine kleine Kirche mit einem erstaunlichen Altar. Ich interessierte mich nicht für die Riesenschachtelhalme bei Lohme, lebenden Fosillie, an denen schon die ersten Kriechtiere kauten. Mich interessierten nicht die Mönchguter Fischer, ihre Tänze und Pluderhosen, und Plattdeutsch lernte ich natürlich auch nicht… Der prächtige Blick bei Bobbin über den Bodden und auf das Schloss Spyker, der von Malern und Dichtern angehimmelte Sonnenaufgang über Arkona, die Wälder der Stubnitz und der Granitz, die Zickerschen Berge, die Hünengräber – ich wunderte mich über die Begeisterung der Urlauber.“
Nach dem Fall der Mauer zog Brandenburg vom Acker. Das ist auch heute noch so, aber nach jeder Reise, bei der er als Reporter für Magazine wie „Mare“, „Geo“, „Spiegel-Online“, „Merian“ oder „Free Men`s World“ unterwegs ist, gibt es nur ein Ziel für den Autor: Rügen. In Koldevitz habe er sein Haus, in dem er mit seiner Familie lebe, sein Auto und sein Schlauchboot (S. 14).
Wer das liest, der will nicht auf eine Insel in die Südsee, sondern an die Ostsee und zwar nach Rügen, auch wenn er die dunklen Seiten, die Verlorenen und Verlierer in diesem Buch nicht berücksichtigt.
Dem Vorwort des im Grunde kleinformatigen und mit 160 Seiten nicht gerade dicken und dennoch großartiges Werkes folgen die Kapitel „Meer und Urlaub“ mit Beiträgen über einen Fotografen in Sellin, einen Bootsbauer auf der Werft Walhalla und weitere Insulaner, die auch in den folgenden Kapiteln „Sportlich, sportlich“, „Kunst und Kegel“, „Well(e)ness“, „Architektur“, „Essen und Trinken“ sowie „Magisches Eiland“ nicht zu kurz kommen. Im Gegenteil: Über Persönlichkeiten Rügens, die Schmitt schön abbildete, bringt er uns das Ganze, die Gesellschaft und die Gegend näher. Im neunten Kapitel „Was, wo, wann zu finden ist“ werden gute Tipps in knappen Kontakthinweisen auf zwei Seiten zu Hotels und Zimmervermietungen, zu Spielplätzen an Land und Strand, zur Dampflokomotive Rasender Roland, zu Robbensafaris der Weissen Flotte, zum Klettern in einem Hochseilgarten bei Prora und andere Aktivitäten mehr gegeben.
Bibliographische Angaben
Maik Brandenburg, Harald Schmitt, Rügen neu entdecken, Insel, Orte, Originale, 160 Seiten, 100 Fotos (farbig), Format 21,6 x 24,5 cm, gebunden, Verlag: Delius Klasing, 1. Auflage Bielefeld 2017, ISBN 978-3-667-10935-4, Preise: 24,90 EUR (D), 25,60 EUR (A)