Und der Kriegspreis des Deutschen Buchhandels geht an…

Bücherkasten in Berlin.
So und nicht anders: Ein Bücherkasten am Alex in Berlin, fotografiert am 22. November 2017. © Münzenberg Medien, Foto/BU: Stefan Pribnow, Ort und Datum der Aufnahme: Berlin, 22.11.2017

Berlin, BRD (Weltexpress). Sie gilt als Osteuropa- und Russlandexpertin, eine Kombination, bei der man mittlerweile ohnehin sofort vorsichtig wird. Anne Applebaum ist nicht der erste Preisträger, bei dem in Frankfurt mächtig daneben gegriffen wurde. Aber so unpassend war der Star der Buchmesse noch nie.

Es ist eigentlich nicht erstaunlich, schließlich ging der Friedensnobelpreis auch schon öfter an ausgewiesene Kriegstreiber, aber der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hatte einmal durchaus einen Wert. Dieses Jahr müsste man ihn eindeutig umbenennen und der Ehrlichkeit halber den Kriegspreis des Deutschen Buchhandels nennen. Mit Frieden hat die Preisträgerin Anne Applebaum wenig am Hut; sie ist das publizistische Gegenstück zu Viktoria Nuland.

Wobei die Verleihung eines Preises an sie schon allein wegen ihres Ehemanns in Deutschland sauer aufstoßen müsste. Der heißt nämlich Radoslaw Sikorski, ist derzeit wieder polnischer Außenminister, war es aber gerade nicht, als er seinen berühmtesten Tweet absetzte. „Thank you, USA.“ Das bezog sich auf die Sprengung von Nord Stream.

Im Grunde könnte man diese Preisverleihung, mit der das Publikum am 20. Oktober zur Buchmesse beglückt wird, als weiteres Zeichen intellektuellen wie moralischen Verfalls schlicht zu den Akten nehmen, wenn – ja wenn dieser Preis nicht nach wie vor dafür sorgen würde, dass derzeit alle Gazetten vor den Aussagen Applebaums und Interviews mit ihr überquellen. Und wer auch immer die Dame befragt, die entscheidenden Fragen werden garantiert ausgespart, während sie sich endlos über Putin, Russland und die Ukraine auslässt. Die Gretchenfrage gewissermaßen: Sag mir, Anne, wie hältst du es mit Gaza?

Applebaum ist auf X ausgesprochen fleißig. Aber Gaza scheint in ihrer Welt nicht zu existieren. Es fehlt so sehr, dass sogar der britische Guardian bereits im Januar dieses Jahres darüber berichtete. Dort wurde sie als „liberaler Falke“ bezeichnet; das vermeintlich menschenfreundlichere Spielbein im Herzen des US-Imperiums. Sie ist einer der führenden Propagandisten; sie sitzt schließlich auch im Vorstand des National Endowment for Democracy, der CIA-finanzierten Farbrevolutionszentrale.

Also kein Wunder, dass sie jeden Krieg, den die USA zu führen wünschen, begrüßt. Sie ist nur besonders großzügig in der Zuteilung menschenrechtlicher Rechtfertigungen. Und für eine Historikerin ausgesprochen großzügig im Umgang mit Fakten. Als kleines Beispiel ein Zitat aus dem jüngsten Interview mit der FAZ. Sie wurde gefragt, wie sie denn mit Kritik an dieser Preisvergabe umgehen werde, die es auch schon bei der Verleihung des Ossietzky-Preises an sie gegeben habe (diese Peinlichkeit ist mir tatsächlich entgangen). Das ihre Bemerkung zu Ossietzky: „Ossietzky war Bürger von Nazideutschland, einem Aggressorstaat, der andere Länder überfiel. Dagegen protestierte er.“

Sicher, als US-Historikerin müsste sie das nicht besser wissen. Aber als Empfängerin eines nach ihm benannten Preises, so pervers diese Verleihung ist, hätte sie wenigstens den Wikipedia-Artikel einsehen können, wenn sie schon offenkundig vermieden hat, sich mit Ossietzky genauer auseinanderzusetzen. Ossietzky, Herausgeber einer der litarisch bedeutendsten Zeitschriften, der „Weltbühne“, in der unter anderem Kurt Tucholsky veröffentlichte, hatte nämlich die Aufrüstung aufgedeckt, die bereits in der Weimarer Republik begonnen hatte, die sogenannte Schwarze Reichswehr, und wurde wegen dieser journalistischen Tätigkeit 1931 zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Im Dezember 1932 kam er frei, nur um am 28.Februar (also als eine der Personen, die auf den vor dem Reichstagsbrand erstellten Listen standen) erneut verhaftet zu werden und die Gefangenschaft bis zu seinem Tod im Mai 1938 nicht mehr zu verlassen. Zwischendrin wurde ihm in Abwesenheit – ja, es gab auch Zeiten, da ging er an anständige Menschen – 1934 der Friedensnobelpreis verliehen.

Was aber den Protest gegen Nazideutschland als Aggressorstaat betraf, dagegen konnte er kaum mehr protestieren. Es war zwar schon lange zuvor sichtbar, in welche Richtung sich die Naziherrschaft entwickeln würde (und die KPD hatte die Losung „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt Krieg“ schon 1928), aber der erste nach außen gerichtete aggressive Akt war der Anschluss Österreichs am 11. März 1938. Da hatte Ossietzky nur noch zwei Monate zu leben, und keinerlei Möglichkeiten mehr, gegen irgendetwas zu protestieren.

Übrigens, auch wenn heute die Stadt Oldenburg diesen Preis verleiht, über lange Zeit hinweg war er in der Bundesrepublik nicht wesentlich beliebter als in der Weimarer Republik; viel zu scharfzüngig, viel zu antimilitaristisch, viel zu links und von lauter Personen umgeben, die im Grunde erst im Verlauf der 1970er in den Kanon aufrückten. Der Mainstream wusste damals nichts von Ossietzky, und, wenn wir ehrlich sind, hat er ihn heute auch längst schon wieder vergessen.

Zumindest für ihre Dankesworte bei der Entgegennahme der 10.000 Euro, mit denen der Ossietzky-Preis dotiert ist, schrieb Applebaum ein paar Worte mehr über ihn. Nur um dann das heutige Russland mit Nazideutschland gleichzusetzen. Auch Applebaum ist eine von jenen, die erkennen können müssten, was in der Ukraine so herumstolziert. Und da sie seit 2006 bereits in Polen lebt, dürfte ihr auch das Massaker von Odessa nicht entgangen sein. Und als jemand, der persönlich beim NED involviert ist, kann sie ebenfalls nicht behaupten, ahnungslos zu sein, was in der Ukraine 2014 passiert ist. Aber alles, was sich den Vereinigten Staaten widersetzt, ist autokratisch und böse.

Wie surreal diese Sicht gelegentlich wirkt, zeigt ein weiteres Zitat aus dem Interview: „Oft sind heute die Leute an der Macht Milliardäre oder reiche Familien, oder die Leute um sie herum sind Milliardäre. Sie kontrollieren sehr reiche staatliche, halbstaatliche oder halbprivate Unternehmen, die ineinander investieren können. Sie tun das über Grenzen hinweg. Ihre Sicherheitsapparate tauschen Überwachungstechnologien und Erfahrungen aus. Sie versuchen, den Informationsfluss zu kontrollieren, um ihre Bevölkerungen zu kontrollieren.“

Das einzige Indiz dafür, dass sie nicht vom heutigen Westen spricht, ist das Wort „staatliche“. Die staatlichen Unternehmen sind dort nämlich so gut wie alle privatisiert. Alles andere? Wer könnte dabei nicht an Google und Microsoft denken, an Bill Gates und Mark Zuckerberg? Jeder, nur nicht Anne Applebaum.

Natürlich spricht auch Applebaum von „Desinformation“. Die ihrer Meinung nach eine alternative Erzählung schaffe: „Dass eine Autokratie sicher und stabil ist und die traditionelle Familie verteidigt, und dass eine Demokratie schwach und gespalten und degeneriert ist.“ Wobei, semantisch gesehen, könnte ja die Formulierung der degenerierten Demokratie stimmen; sie ist verkümmert, sie wird in immer engere Käfige gesperrt, von den Milliardären mit den Sicherheitsapparaten, und Menschen wie Anne Applebaum sind ihre Hofmusiker, die derweil die Liedlein geigen, wie schön und demokratisch doch alles sei.

In einem anderen Interview – ja, die Dame wird gerade hoch gehandelt, dank „Friedenspreis“ – in der Zeit definiert sie das, was sie Autokratie nennt.

„Das heißt, es gibt in ihnen weder unabhängige Gerichte oder Medien noch Checks and Balances, noch eine politische Opposition.“

Nun, in der Ukraine ist sie verboten, die Opposition, wie übrigens auch im jüngsten EU-Beitrittsanwärter Moldawien. Und was die berühmten Checks and Balances betrifft, war die Corona-Zeit eine harte Lektion, auch in Deutschland.

Selbst bezogen auf ihre Heimat, die Vereinigten Staaten, ist ihre Sicht etwas seltsam. So fürchtet sie beispielsweise bezogen auf Donald Trump: „Er könnte zum Beispiel das Justizministerium oder das FBI dazu missbrauchen, politischen oder persönlichen Gegnern nachzustellen.“

So, wie die Biden-Regierung das tut? Oder schon Hillary Clinton das getan hat? Wenn Trump das täte, so Applebaum, würden die USA zu einer Autokratie.

Kein Zweifel, sie kann mit Worten umgehen. Sie ist kein grober Klotz wie der US-Politiker Lindsay Graham, dem manchmal versehentlich eine ehrliche Aussage herausrutscht, wie darüber, wie kostengünstig es für die USA doch sei, ihren Krieg gegen Russland mit Hilfe der Ukraine zu führen. Applebaum macht keine derartigen Fehler, und sie übertreibt auch nicht, wie Außenministerin Annalena Baerbock. Aber letzten Endes ist es egal, wie geschliffen und wie aktuell die jeweilige Begründung für die Erhaltung des Imperiums ist. Das Ergebnis ist immer Krieg und Zerstörung, nur die Schmuckgirlanden drumherum werden regelmäßig gewechselt.

Der Friedenspreis war schon immer ein gemischtes Paket, und der vorletzte Preisträger war bereits ausgesprochen grenzwertig und im Interesse der politischen Propaganda erkoren. Aber Applebaum ist als Vorstandsmitglied des NED ein anderes Kaliber. Sie gehört mit zu dem kleinen Kreis an Personen, die persönlich Mitverantwortung tragen für die Kriege des Imperiums, selbst wenn sie nie eine offensichtliche politische Funktion innehatte. Sie „berät“. Manchmal schreiben auch solche Menschen Bücher. Halten Vorträge. Veröffentlichen Artikel. Aber man wird sich an sie nicht als Schreibende erinnern, sondern durch den Abdruck, den ihre blutigen Hände in der Geschichte hinterlassen haben. Anne Applebaum ist eine klassische Schreibtischtäterin, die nur, wie das bei vielen Liberalen der Fall ist, geschickt vorgibt, zu irgend etwas in Opposition zu stehen, während sie nie von der Seite der herrschenden Macht abrückt.

So nah, wie Applebaum der politischen Macht in Washington steht, stand noch kein Träger dieses Preises. Sie mit einem „Friedenspreis“ auszuzeichnen, ist nicht nur eine völlige Pervertierung dieser Bezeichnung; es ist zugleich ein Kotau vor der Bande der schlimmsten westlichen Kriegstreiber.

Anmerkungen:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde unter dem Titel „Und der Kriegspreis des Deutschen Buchhandels geht an…“ am 10.10.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

Siehe die Beiträge

im WELTEXPRESS.

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