Berlin, Deutschland (Weltexpress). Wer in diesen Tagen die deutschen Nachrichtenkanäle inklusive „Tagesschau“ und „ZDF-heute“ einschaltet, muß sich auf beklemmende Weise an die Tage vor dem Irakkrieg erinnert fühlen. Selbst unbedarfte Moderatorinnen erläutern da martialisch mit animierten Einspielfilmchen und Videos das Bedrohungsszenario, welches Russlands Präsident Putin seit Wochen und Monaten im Ukrainekonflikt mit umfassenden Militärmanövern angeblich befeuert.

Alle Berichte stützen sich auf westliche Geheimdienstquellen, vornehmlich auf die US-Dienste. Es sind dieselben Quellen, die uns damals über das angebliche Nuklearprogramm des irakischen Diktators Saddam Hussein informierten. Ich erinnere mich noch gut, wie dem damaligen US-Außenminister Collin Powell das schlechte Gewissen im Gesicht abzulesen war, als er auf Druck seines Präsidenten George W. Bush dem UN-Sicherheitsrat die „Fakten“ der irakischen Atomrüstung anhand von Photos, Grafiken etc. minutiös erläuterten mußte. Wie die Geschichte ausging, wissen Sie, lieber Leser.

Doch was sich im März 2003 noch weit weg uns abspielte, ist nun in unsere unmittelbare Nähe gerückt. Knappe 1400 km beträgt die Entfernung Berlin-Kiew. Zwischen unseren Ländern liegt nur noch Polen. Allein der Blick auf die Landkarte müßte deshalb bei der Bundesregierung die Alarmglocken läuten lassen. Es ist erschreckend, wie leichtfertig und kriegstreiberisch deutsche Politiker den Konflikt verbal mitanheizen und geradezu irrational auf deutsche Interessen (Northstream2) verzichten. Der neugewählte deutsche Regierungschef ließ sich vom US-Präsidenten kujonieren, indem Joe Biden unwidersprochen klarmachte, dass es im Fall eines Krieges keine Ostseepipeline geben wird. Dabei tut Berlin so, als ob es in dem Konflikt noch ein gewichtiger Player wäre.

Entsprechend staatsmännisch reist Kanzler Scholz heute nach Kiew und Moskau – eine deutsche Friedensmission sozusagen. Was eindrucksvoll klingt, ist leider nur von marginaler Wichtigkeit. Deutschland spielt im Ränkespiel der Mächte in diesem Konflikt nur eine untergeordnete Rolle. Auch wenn wir in einem größeren Zusammenhang darin die Hauptrolle spielen. Doch dazu später. Keinem amerikanischen Präsidenten würden heute noch die Worte von George Bush Senior von 1990 über die Lippen kommen, als dieser den deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl als „partner in leadership“ bezeichnete.

Ich war als Parlamentskorrespondent im Rosengarten des Weißen Hauses dabei und reportierte damals über eine deutsch-amerikanische Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“. Ich erinnere mich aber auch an einen zweiten Besuch, den ich begleiten durfte. Hans Dietrich Genscher, Deutschlands erfolgreichster Außenminister nach dem zweiten Weltkrieg, traf seinen Amtskollegen James Baker. Die europäische Nachkriegsordnung (nach dem kalten Krieg wohlgemerkt) war neben der deutschen Wiedervereinigung Hauptthema des Treffens in Washington.

Ohne ein Widerwort von Baker formulierte es Genscher so: „Wir waren uns einig, dass nicht die Absicht besteht, das NATO-Verteidigungsgebiet nach Osten auszudehnen. Das gilt übrigens nicht nur für das Gebiet der DDR, sondern das gilt ganz generell.“ Es war diese Botschaft, die die noch regierende Sowjetregierung zu weitreichendsten Zugeständnissen bewegte. Elf Jahre später durfte ich als ARD-Haupstadtkorrespondent ebenfalls dabei sein, als der neugewählte russische Präsident Putin seine historische Rede (auf Deutsch) im Reichstag in Berlin hielt. Er bot nichts weniger als eine umfassende neue Friedensordnung für Europa unter der Beteiligung Russlands an. Und hier, lieber Leser, lag und liegt der Knackepunkt. Eine Annäherung Russlands an Europa darf es aus amerikanischer Perspektive niemals geben. Schlimmer noch für Washington wäre eine bilaterale Verständigung zwischen Moskau und Berlin. Der US-Historiker Milton Friedman brachte es 2015 auf dem „Chicago Council of global affairs“ auf den Punkt. Es ist „das urweltliche Interesse der Vereinigten Staaten, wofür wir seit Jahrhunderten die Kriege führten – also erster und zweiter Weltkrieg und kalter Krieg – waren die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland. Weil vereint sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann, und unser Interesse war es, sicherzustellen, daß dies nicht geschieht. „ Wenn Sie, liebe Leser, sich eine kurze Nachhilfestunde in Sachen Machtpolitik gönnen wollen, empfehle ich Ihnen dieses kurze Video aus Chicago: https://www.youtube.com/watch?v=gcj8xN2UDKc

Es dokumentiert die nüchterne, nennen Sie es die kalte Praxis der Realpolitik. Alle großen Nationen beherrschen sie – nur die Deutschen nicht (mehr). Trotzdem war es ein Deutscher, der große Staatsmann Otto von Bismarck, der diese Praxis in dem einen Satz auf den Punkt brachte: „Es gibt keine Freundschaften zwischen Völkern, es gibt nur Interessen.

“Hier sehen Sie den wahren Hintergrund des Ukrainekonflikts. Die USA und ihr europäischer Flugzeugträger Großbritannien (mehr sind die Briten nicht mehr) wollen den „Corridor Sanitaire“, die Pufferzone von der Ostsee zum Schwarzen Meer, um jegliche mögliche Bindung zwischen Deutschland und Russland zu verhindern. Eine Bindung, die friedensstiftend für ganz Europa wirken könnte und viele Konflikte bereinigen würde. Trotzdem müßten wir unsere vielfältigen Beziehungen zu den USA nicht aufgeben oder einschränken. Sie fänden nur auf einem Niveau statt, das man Augenhöhe nennt. Wäre das so schlecht für Deutschland?

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