Das Paar, sie Akademikerin, er Musiker, hat, außer der Sorge um das Schicksal der Erde, keine Probleme. Angesichts dieser Sorge jedoch erscheint der Kinderwunsch verantwortungslos, auf jeden Fall unvernünftig und ausschließlich emotional, weshalb er sich wohl am Ende durchsetzt.
Sie und er bezeichnen sich selbst als gute Menschen, weil sie ausschließlich Fair-Trade- Kaffee konsumieren, Bücher zu aktuellen politischen Themen lesen, Arthouse-Filme im Original mit Untertiteln anschauen, soviel Geld für wohltätige Zwecke spenden wie sie erübrigen können, beim Zähneputzen nicht das Wasser laufen lassen und nicht in großen Ladenketten einkaufen. Gegen Ikea haben sie keine Vorbehalte, und das schwedische Möbelhaus spielt eine wichtige Rolle in ihrem Leben, denn dort, an der Kasse, äußert der Mann erstmals seinen Kinderwunsch.
Für eine Satire ist das Stück zu wenig zugespitzt. Es erscheint eher wie eine nicht sehr komische Boulevardkomödie, in der, nach den Diskussionen über den Kinderwunsch, die weiteren Stationen im Leben der beiden klischeehaft gezeichneten Menschen vorgestellt werden: Der Sohn, der nach einer Fehlgeburt auf die Welt kommt, ist offenbar ein problemloses Kind, das zu einem problemlosen Erwachsenen heranwächst. Nach dem Tod des Vaters sucht der Sohn für seine Mutter ein Altersheim in seiner Nähe aus. Die alte Frau erzählt von immer schlechteren Nachrichten und zunehmenden Katastrophenmeldungen.
Das Stück, in England und in den USA hoch gelobt, wird durch Katie Mitchells Inszenierung zu einem beeindruckenden Kunstwerk. Die britische Regisseurin, bekannt geworden durch die Einbeziehung von Filmtechnik in ihre Theaterinszenierungen, hat dabei immer auch Stücke oder Texte auf eine sehr subtile Weise neu entdeckt. Vor der Premiere von „Atmen“ war Katie Mitchells Inszenierung „Die gelbe Tapete“ zu sehen, seit Februar 2013 im Programm der Schaubühne.
In „Atmen“ stehen keine Kameras auf der Bühne, und die Mitwirkenden bewegen sich nicht von ihren einmal eingenommen Plätzen. Bühnenbildnerin Chloe Landford hat unter zwei hängende Boxen Podien mit Fahrrädern platziert. Die silbrig schimmernden Ausstattungsstücke sind aus gepressten Recyclingmaterialien hergestellt, wie aus dem Programmheft zu erfahren ist. Leinwand und schwarze Vorhänge stammen aus dem Fundus und früheren Aufführungen der Schaubühne.
Die nötige Energie für die Vorstellung wird durch Radfahren erzeugt. Auf den Podien treten Lucy Wirth und Christoph Gawenda in die Pedale, und rechts und links am Bühnenrand werden jeweils zwei Standfahrräder von vier weiteren Personen betrieben. Auf diese Weise funktionieren Beleuchtung, die Mikrofone der SchauspielerInnen, das Mischpult im Hintergrund, wie auch der LED-Projektor über der Bühne, der die sich ständig erhöhende Zahl der Menschen auf der Erde anzeigt.
Trotz sportlicher Leistung gestalten Lucy Wirth und Christoph Gawenda ihre Rollen mit sprachlicher Präzision, erwecken die papierenen Figuren zum Leben, werfen einander die Worte zu und verstehen es, Pointen zu setzen. Obwohl sie mit dem Blick nach vorn, ins Publikum, getrennt voneinander auf ihren Fahrrädern sitzen, entsteht manchmal ganz intensive Nähe und manchmal auch sehr große Distanz zwischen ihnen.
Während das Paar wortreich seine Befindlichkeiten diskutiert und sein modisches Gutmenschentum genießt, geschieht die Energieerzeugung lautlos und unauffällig. Nur die roten Zahlen auf der LED-Tafel blinken bedrohlich.
Das Premierenpublikum spendete den SchauspielerInnen, der Regisseurin und dem gesamten Team jubelnden Applaus.
„Atmen“ von Duncan MacMillan hatte am 30. November Premiere in der Schaubühne. Nächste Vorstellungen: 09., 19. und 20.12.2013.