Bonn, Deutschland (Weltexpress). Als Sympathieträger treten sie allesamt nicht in Erscheinung. Allen voran Attila, König der Hunnen (kraftvoll: Franz Hawlata), der sich nach der Zerstörung Aquileias machthungrig anschickt, das gesamte Erbe des weströmischen Reiches an sich zu reißen. Als ähnlich skrupellos erweist sich der ruhmsüchtige römische Feldherr Ezio (ausdrucksstark: Ivan Krutikov), der durch Verrat am eigenen Volk mit dem Tyrannen eine Achse des Bösen zu schmieden beabsichtigt: „Nimm dir das Universum, aber überlasse Italien mir!“ lässt er diesen in einem furiosen Bass-Bariton-Duett wissen, allerdings ohne Erfolg.
Ebenso wenig taugt Odabella, die Tochter des von Attila ermordeten Fürsten von Aquileia (bravourös: Yannick-Muriel Noah) zur Identifikationsfigur. Angetrieben von blindwütigem Rachedurst findet sie ihr biblisches Vorbild in Judith, die sich einst das Vertrauen des Holofernes erschlich und ihm dann kaltblütig die Messerspitze an den Hals setzte. Verstörend auch Foresto, Odabellas Geliebter (leidenschaftlich: George Oniani), der ihre listige Annäherung an Attila nicht durchschaut und von zerstörerischer Eifersucht zerfressen wird.
Pathos und Destruktion
Aber waren es nicht gerade diese menschlichen Unzulänglichkeiten, die das Libretto von Temistocle Solera und Francesco Maria Piave für Verdi so attraktiv machten? Dazu sicherlich der während Verdis früher Schaffensphase einsetzende italienische Einigungsprozess des „Risorgimento“, dem sich der Komponist offensichtlich mit zahlreichen pathetischen Einschüben musikalisch verpflichtet wusste. Entsprechend wurde das Werk im Sinne der Aussage „Überlasse Italien mir“ schnell erhoben in den Rang einer pathetischen Nationaloper, deren politische Wirkung im weiteren Verlauf allerdings immer weiter verblasste.
So tun sich moderne Inszenierungen schwer, der Oper jenseits der psychologischen Ausdeutung auch aktuelle politische Bezüge zu entlocken. Dietrich W. Hilsdorf ist ihnen in seiner Bonner Inszenierung auf der Spur. Er findet sie, ohne konkrete Krisengebiete zu benennen, in dem anhaltenden Kreislauf von Machtversessenheit, Terror und Krieg, der sich wie ein roter Faden bis in die Neuzeit hindurch zieht. Dabei dominieren die Grautöne einer hoch aufragenden Häuserruine (Bühne: Dieter Richter), die immer wieder neu erinnert an die Grausamkeit der Zerstörung.
Musikalische Inspiration
Nur selten lockert sich die Stimmung durch Zeichen der Hoffnung. Vor allem dann, wenn durch helle Farben (Licht: Thomas Roscher) mit der Flucht der Bewohner Aquileia auf die Laguneninseln der Gründungsmythos Venedigs in Szene gesetzt wird. Humorvoll und kurios wird es gar, wenn Leo I. als Bischof von Rom (Leonard Bernad) voll kostümiert (Kostüme: Renate Schmitzer) anlässlich einer ausgeflippten Prozession nicht sonderlich standesgemäß in einem kleinen Elektro-Papamobil vorgefahren wird.
Als Hauptfaktor für diese anregende Produktion erweist sich die bewährte Zusammenarbeit Hilsdorfs mit dem musikalischen Leiter der Produktion, Will Humburg, der aus dem Graben heraus mit kraftvollen und zugleich sensiblen Impulsen dem Werk Verdis bis in die klanglichen Details hinein gerecht wird. Mit der Folge, dass er nicht nur die Gesangssolisten bis in die Nebenrollen hinein (Jonghoon You als Uldino, Magdalena Rahn als Martha) sondern auch den Chor (Einstudierung: Marco Medved) durchweg zu Höchstleistungen inspiriert.
Magische Musikmomente
Auch das Beethoven Orchester Bonn lässt unter Humburgs Leitung magische Musikmomente entstehen, die den Opernabend in eine musikalische Sternstunde verwandeln. Derart angetan reagiert das Publikum mit frenetischem Beifall. Und verleiht damit seiner Hoffnung Ausdruck, dass diese überaus fruchtbare Zusammenarbeit auch in Zukunft ihre Fortsetzung finde.
Weitere Aufführungen: 19., 30. März, 12. Mai, 3., 17., 28. Juni 2017