Nicht so Louise Bourgeois. Erst in den späteren Achtziger Jahren wurde sie mit einem Schlag weltbekannt. Waren es die Spinnen oder die marmornen Phalli oder die Puppen und all die sonderlichen Installationen, die den internationalen Blick und den des Kunstmarktes auf sie lenkten? Sie ist auch ein Paradebeispiel dafür, wie aus dem Nichts jemand etwas wird und sofort dessen Werke gleich unbezahlbar werden für den schlichten Liebhaber mit dem kleinen Portemonnaie. Die privaten reichen Käufer schlugen derart zu, daß auch Museen kaum mithalten konnten und ihre Vertretung in öffentlichen Sammlungen gering bleibt. Doch, das muß man offen sagen, sie ist zurecht in dieser obersten Preisklasse angekommen, denn die Mißachtung davor, die war im Nachhinein nicht mehr nachzuvollziehen.
Zeit, ein Loblied auf Peter Weiermair zu singen. Der war damals Leiter des Frankfurter Kunstvereins und hatte schon 1989 eine große Louise-Bourgois-Schau vorgestellt, von der wir erst heute wissen, daß diese die erste große Retrospektive in Europa war. Für uns, die uns diese Werke aufrüttelten, war es der Beginn einer tiefen Freundschaft zum Werk der Bourgeois. Sind Frauen dichter an ihrer eigenen Biographie dran als Männer? Haben sie es leichter, aus familiären Gefühlen heraus Kunstwerke zu schaffen, die das Spezifische des beiderseitigen Verhältnisses deutlich machen? Wie die marmornen Phalli, die im Frankfurter Kunstverein haufenweise und sperrig herumstanden und wozu die Bourgeois eindeutige Aussagen traf. Auf jeden Fall blieb sie uns nachdrücklich ein Begriff, wozu sie anderenorts erst durch die späteren Ausstellungen in London, Paris, Neapel und Wien wurde.
Eher zufällig haben wir die alle sehen können, weil diejenigen, die mit dem Louise-Gen angesteckt, es niemals versäumt hätten, waren sie am gleichen Ort, stracks eine mögliche Ausstellung zu besuchen. Wohl für die New Tate London hat sie ihre Spinnen entworfen, die die Räume des modernen zum Museum umgebauten Industriebaus bevölkerten und zu ihrem Markenzeichen wurden. „Mamans“ nannte sie diese bis zur Decke reichenden Bronzetiere, die mal gemütlich durchschreitbar, meist aber gefährlich und angsteinflössend wirkten. Wie eine fürsorgliche Spinne sei ihre Mutter in der Kindheit in Frankreich gewesen, wo sie als Weberin auch die Tochter in ihren Kokon einspann, etwas, was angenehm und warm und gleichermaßen erdrückend und luftabschnürrend sein kann.
Unglaublich, wie die größte der Spinnen dann oben auf dem Schloß in Neapel wirkte. Nicht im Inneren des Gebäudes, sondern in den Höfen. Als ob der Architekt diese bronzenen Urzeittiere schon vor Jahrhunderten eingeplant hätte. Aber richtig gruselig die Käfige, die ebenfalls in London, das Eingesperrtsein vielfach zum Thema machten, daß eine Gänsehaut die normale Zuschauerreaktion war. Das Geschechtliche für sich liegt den meisten der Werke der Bourgeois zugrunde. Ob es die Puppen sind, die ausgefranste Schamverletzungen haben oder die vielen Objekte, die sie sammelte und zusammenfügte und wo ein Phallus oder eine Vulva automatisch sichtbar wurden. Das Verhältnis zum Vater muß schwierig gewesen sein. „Er redete pausenlos. Ich hatte nie Gelegenheit, etwas zu sagen. Da habe ich angefangen, aus Brot kleine Sachen zu formen. Diese Figuren waren meine ersten Skulpturen.“ Eine schöne Künstlerinnenlegende.
Es wäre aber völlig falsch, den Umfang und die unterschiedlichen Werkgruppen zu konstatieren und den Witz, den Louise Bourgeois allem hinzufügt, wegzulassen. Die Kategorie Witz ist nun eine, die sich der Beschreibung leicht entzieht, weil es ein Moment des Empfindens beim Betrachten ist, das intellektuelles Feuer auslöst, auch eine Belustigung und damit eine Abreaktion des allzu Bedrohlichen, das Material – Bronze, Marmor, Metall, Stein – und Größe der Gegenstände sowie der Bedeutungsgehalt leicht hervorrufen.
Der ungewöhnliche Lebensweg der Künstlerin bezieht sich nun auf die Kindheit, Jugend und frühen Erwachsenenjahre in Frankreich, das sie 1938 verließ und mit ihrem Mann, einem Kunsthistoriker, nach New York ging. Dort lebte sie bis jetzt, seit 1958 im gleichen Haus, erzog erst ihre drei Söhne, arbeitete dabei künstlerisch, wurde jedoch nicht entdeckt oder gar berühmt. Das kam auf einen Schlag, als in den 80ern einmal eine Ausstellung im Museum Moderner Kunst (MOMA) sie erstmals bekannt machte, vor allem aber ihre Beteiligung an der Kasseler Documenta IX, die 1992 den internationalen Durchbruch bedeuteten und auch dazu führte, daß sie den amerikanischen Pavillon in den Giardinis auf der Biennale von Venedig 1993 ausrichten durfte. Seit der Zeit – da war sie schon 82 Jahre – blieb sie die große alte Dame der Weltkunst, die eigenwillig wie ein kleines Mädchen machte, was sie wollte, dabei aber immer auf irgendeinen Nerv der Zeit traf.
In den letzten Jahren waren es zunehmend Zeichnungen, die sie produzierte, wobei sie aus Motiven alter Zeichnungen auf einmal Skulpturen fertigte, genauso aber aus von ihr hergestellten Skulpturen neue Zeichnungen entstehen ließ. Die Materialien und die Werkträger der Objekte waren auswechselbar, nicht aber die Handschrift der Künstlerin. Sie selbst hatte es nicht bedauert, erst so spät berühmt geworden zu sein, sondern mit der Aussage begrüßt, so hätte sie der Ruhm auch nicht verderben können. Sie blieb, wie sie war, leicht störrisch, mit bizarren Einfällen völlig einzigartig, dem Kunstbetrieb entzogen, aber auf einmal die teuerste Künstlerin der Welt.