Berlin, Deutschland (Weltexpress). Keine leichte Kost, wenn auch tänzerisch und choreografisch sehr gut umgesetzt, serviert uns der madrilenische Intendant des Staatsballett Berlin, Nacho Duato, in der Staatsoper Berlin im Schillertheater. Um den Zeitpunkt der blutigen Bombenterrorattentate 2004 in Madrid herum noch Intendant des Madrider Balletts, schockierte ihn – und nicht nur ihn -, welche Abgründe sich in der menschlichen Natur auftun können. Duato: „Da ich es leid geworden bin, im Fernsehen oder in der Zeitung Bilder von Gewalt und Folter aller Art zu sehen, keimte in mir das Bedürfnis, so viel Falsches in Bewegung umzusetzen.“ Dieses Anliegen ist ihm gelungen, wenn einem auch teilweise die Haare zu Berge stehen, denn perfekt setzte er die dunkle Seite des menschlichen Wesens auf der Bühne um.
„Ich vergleiche den Menschen mit Eisen, das oxidiert, wenn sich die Seele in Rost (Herrumbre) verwandelt“, so Nacho Duato. „Meine Choreografie handelt nicht nur von der Folter, sondern auch davon, wie Menschen so weit erniedrigt werden können, dass sie dadurch ihre Würde verlieren.“ Es bedeutet die Konvertierung, Missachtung und mit den Füßen treten der Menschenrechte. Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948 wird im Programmheft auch mit ihren 30 Artikeln aufgeführt, gleich zu Beginn. Ihr Tenor „alle Menschen werden Brüder“ wird jeden Tag von degenerierten Machtmenschen mit Verachtung gestraft. Jeden Tag. Auch während man die Aufführung sieht, werden Menschen in allen Varianten bestialischer Perversion gefoltert und gequält.
Amnesty International (IV) ist unterstützender Partner der Inszenierung. Barbara Hohl von AI erinnert im Programm-Vorwort daran, dass die UN-Menschenrechtskonvention insbesondere im Hinblick auf die Bestialitäten, die rund um den 2. Weltkrieg geschahen (Holocaust), verabschiedet wurden.
Madrid ist Berlin – wie an Weihnachten 2016 mit dem Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt am Breidscheidtplatz grausam erlebt. Grausame Machthaber – ein Zeitenwandel steht auf dem nordamerikanischen Kontinent bevor, wo ein psychopatischer Mann deutschen Ursprungs sich nicht schämt öffentlich die Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen tagtäglich mit kranken Beleidigungen zu bespucken. Da der Fisch bekanntlich vom Kopf her stinkt und auch Gewalt in Staatssystemen von oben her vorgelebt werden, Gewalt, wie sie hier auf der Bühne nachempfunden wird, ist Duatos Werk ein zeitloses Werk für die Ewigkeit, steht zu befürchten.
Nacho Duato hat den Finger in die Wunde gelegt mit diesem Kunstwerk. Das Werk ist nicht sein märchenhaftes, phantastisches „Dornröschen“, im Gegenteil: es lässt die Seele bluten. Der Abend ist einer ohne Wohlfühlfaktor, einer zum Nachdenken.
Die akustische Untermalung vom Band ist dementsprechend „ungemütlich“: ein hechelnder Hund ist zu hören bei einer an Massenvergewaltigungszene assoziierende Szene. Geräte von Intensivstationen sind zu hören, Beatmungsgeräte, Pfeifen von Alarm gebenden Notfallgeräten. Knallen und Metall auf Metall schlagen, wenn ein halbnackter Tänzer – immer mit tänzerischen, ausdruckstarken Mitteln – von anderen Tänzern in faschistoid wirkenden schwarzen Kostümen zusammen getreten wird oder eine Frau in fleischfarbenem Kostüm über die Bühne gezerrt wird. Musik von Pedro Alcalde und Sergio Caballero erzeugt Klangszenarien mit z.B. Gong, Fagott und einer Radiostimme.
Das Bühnenbild des in Bagdad geborenen Architekten Jaffar Chalabi, ein langjähriger Wegbegleiter Duatos, zeigt auf schwarzer Bühne lediglich die Zuschauer teilweise blendende Scheinwerferreihen und ein roll- und drehbares Drahtgitter mit verschiedenen Möglichkeiten, es zu verstellen. Dieses Gitter symbolisiert die Drahtverhaue von Guantanamo, deren Bilder 2004 um die Welt gingen und bezieht die Zuschauer in die Gefangenensituation mit ein. Zwar hat Barack Obama, der scheidende Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, es nun doch durchgesetzt, dass fast alle Gefangenen auf Guantanamo entlassen wurden, doch ganz weg ist der Schandfleck gegen Rechtsstaatlichkeit noch nicht.
Die Kostüme, entworfen von Duato, sind dunkelfarben wie das Sujet: lange ärmellose Kleider für die Frauen, die Männer in dunklen – je nach Rolle – faschistoiden Kostümen oder halbnackt.
Der Tanz ist eindrucksvoller Ausdruckstanz, kraftvoll, dynamisch, aber auch das Leiden der Seele wiedergeben. Schock und Angst darstellende Szenen werden gefolgt von Szenen die Trauer widerspiegeln.
Das Stück Duatos könnte leider ein Klassiker werden – sowohl wegen der künstlerisch brillianten Performance des Themas und weil die dunkle Seite des Menschen wohl niemals für immer verschwinden wird. Ein Abend als Appell an die Menschlichkeit – voll künstlerischen Genusses und voller Nachdenklichkeit!