Den Männlichkeits- und Heldenwahn der Kriegsspieler im Zweiten Weltkrieg hat vor Tarantino nur einer so auf den Bubenpunkt gebracht: Jonathan Littell mit „Die Wohlgesinnten“, wo der schwule SS-Offizier Maximilian Aue die männlichen Militärrituale durchexerziert. Ein wunderbares Buch, auf Deutsch 2008 erschienen, das zwar 2006 den französischen Prix Goncourt erhielt, von der deutschen Literaturkritik aber pikiert nur mit spitzen Fingern zerrissen wurde. Das wäre interessant zu untersuchen, weshalb Tarantino hierzulande ungeschoren davonkommt? Sind deutsche Filmkritiker per se liberaler, haben sie weniger die Oberhoheit über die deutsche Geschichte gepachtet als deutsche Literaturkritiker oder trauen Sie sich nicht, einen hochgehandelten Namen aus der Filmwelt zu attackieren?
Das ist erst einmal frech gefragt, aber wir sind ja einverstanden mit den guten Filmkritiken allerorten und wären die letzten, die hier eine Attacke reiten wollten. Wir würden höchsten Tarantino geraten haben, so einen schwulen hochintelligenten SS-Offizier auch noch ins Nazi-Personal hineinzuschmuggeln, damit auch diese Seite noch bunter ist, als die Allgegenwart des Nazi-Obersten Hans Landa allein schon ist, den Christoph Waltz wortwörtlich ’verkörpert’. Nehmen wir uns selbst beim Wort, dann finden wir, daß eigentlich das Spiel des Christoph Waltz als allgegenwärtiger Verführer, der sich am Schluß noch selbst verführt, für einen sehr guten Film schon ausgereicht hätte und alles andere nur Beiwerk ist. So aber können wir konstatieren, daß Tarantino ein Film gelungen ist, der in einem Film gleich mehrere versteckt hält, die alle ihresgleichen suchen und im eigenen Kopf nach dem Filmbesuch Platz nehmen und dort ihre Geschichten weiterspinnen. Hier geht es nämlich auch ums Spinnen und das nicht wenig.
Es hilft alles nichts, der Filminhalt muß kurz erzählt werden, den wir mit der Darstellung mischen. Zweiter Weltkrieg, erstes Jahr der Besetzung Frankreichs durch die Deutschen, die sofort mit den Judenverfolgungen, ach, was heißt Verfolgung, mit der systematischen Judenausrottung beginnen. Shosanna Dreyfus ist dem durch Hans Landa messerscharf kalkulierten Massaker entkommen, eine Eingangszene von etwa 20 Minuten, die sich derartig minutiös entwickelt, daß man glaubt, dabei zu sein, wie dieser hochintelligente, sprachlich und körperlich seine Gegner umschmeichelnde und umwickelnde Hans Landa, ach was, Christoph Waltz, wie eine Viper urplötzlich zustößt, nein nicht selbst, sondern zustoßen läßt: alle tot.
Der geflohenen Tochter (Melanie Laurent) begegnen wir wieder in Paris, wo sie mit neuem Namen eine Tante beerbt und Besitzerin eines Kinos ist. In sie verliebt sich ein dekorierter deutscher Kriegsheld – Frederick Zoller gibt Daniel Brühl -, der ungewöhnlich viele auf einen Streich abschlachtet, weshalb über seine Heldentat das Berliner Propagandaministerium einen Spielfilm drehen läßt, der in besetzten Paris uraufgeführt werden soll, weshalb nun wiederum Daniel Brühl sich wegen der Uraufführung in ihrem Kino an Melanie Laurent wendet, die bisher von seinen Avancen wenig beeindruckt, nun anderen Sinnes wird. Denn sie erfährt, daß auch die Nazichargen bis hin zu Hitler kommen wollen und das bedeutet: Endsieg. Abrechnung mit dem Nazipack. Und es bedeutet auch Selbstmordanschlag, denn ihr und ihrem Helfer ist klar, daß das Anzünden des Kinos mit den alten Zelluloidfilmen auch ihren Tod bedeutet.
Allerdings wäre das fast schief gelaufen, denn auch Leutnant Aldo Raine plant den Untergang der Nazis im Filmpalast. Dieser von Brad Pitt in einer unnachahmlichen Mischung aus Provinztrottel, Halbstarkem und schlichtem Amerikaner dargestelltem Rächer der Verfolgten, dem das Blut der Ahnen durch die Arterien schießt und mit ihm der Wunsch, so viel Skalps wie möglich vom verachteten Gegner zu sammeln, hat eine Truppe von Gleichgesinnten um sich gescharrt, eben diese Männerbündelei auf der anderen Seite, in der vor allem Juden, die der Naziverfolgung entgingen, nun zurückschlagen. Es sind „Die Bastarde“, vor denen die deutschen Soldaten sich jetzt fürchten, denn diese Gruppe kommt über Nacht und wen sie nicht skalpieren, dem brennen sie die Nazirune auf die Stirn, Hakenkreuz genannt. Grauslich. Und wir geben offen zu, daß wir bei jedem Messerausholen der Bastards rasch die Augen schlossen. Rücksichtsvoll hat Tarantino das so inszeniert.
Wir sagten schon, wir finden Brad Pitt in der Rolle richtig gut, denn wir stellen uns vor, daß es ganz schön schwierig sein muß, einen solchen etwas hirnlosen Haudegen darzustellen, der anderen dauernd das Hirn wegbläst. Aber das muß ihm Spaß gemacht haben, genauso wie Til Schweiger als Hugo Stieglitz richtig doof aus der Wäsche guckt und selbst Gedeon Burkhard ist als Wilhelm Wicki von seinem Image als Schönling weit entfernt. Es gäbe so viele Männer in dieser Truppe zu benennen, denen man ihren Spaß an besagter Männerbündelei anmerkt, aber jetzt kommt Diane Kruger ins Spiel, die ein Bild von deutscher arischer Frau wie aus dem Nazibilderbuch abgibt: die Schauspielerin Bridget von Hammersmark, die außerdem Geheimagentin der Engländer ist. Auch sie hat dabei persönliche Rachepläne und das Leben spielt leider so, daß Bert Brecht wieder einmal recht hat: „Ja, mach nur einen Plan und sei ein großes Licht, und mach dann noch ’nen zweiten Plan, geh’n tun sie beide nicht.“
Diese so unterschiedlichen Stränge bindet Tarantino im Film zu einem wilden Gemisch zusammen, in Szenen, die wie die in der Kneipe unter den von Deutschen besetzten Franzosen ganz schön unter die Haut gehen, auch richtig spannend sind, wie überhaupt – wir sagten es schon – in diesem Film viele Filmgeschichten und Filmfiguren drinstecken, die alle im brennenden Inferno des Filmpalastes in Paris untergehen. Nicht alle. Überleben können Brad Pitt mit einem Teil seiner Truppe und erst einmal Hans Landa, der sich nun selber einseift. Wie er das macht, das müssen Sie schon selber erleben. Mehr zu erzählen, wäre gemein.
Fällt uns zum Abschluß nur noch ein: nomen est omen! Zwar hat Tarantinos Mutter ihren Sohn Quentin nach dem halbirokesischen Fernsehhelden aus der Westernserie „Rauchende Colts“ genannt, den Burt Reynolds verkörperte und der ein Halbblutindianer war wie Tarantinos Mutter, die halb Cherokee und halb Irin war. Interessant dieser biographische Hintergrund, der sich in der Rolle des Brad Pitt als Aldo Raine wiederfindet, der indianischer Abstammung ist, weshalb das Skalpieren seine Herzenslust darstellt. Aber wir hätten den Namen Quentin doch eher San Quentin zugedacht, dem berühmt berüchtigten Gefängnis in Kaliforniern, in dem Johnny Cash 1958 seinen sagenhaften Auftritt hatte. Quentin Tarantino also als Gefängniswärter oder als Insasse. Nach dem Film „Inglourious Basterds“ hält man alles für möglich.
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Laufzeit: | 160 Minuten |