Stück oder Stückwerk? – Dennoch gibt es einen gewichtigen Grund,  Haydns „Die Schöpfung“ im Berliner Dom zu besuchen

Wer sich für Haydns gewaltige Musik entschieden hat, ein Geniestreich des Meisters, den seine Zeitgenossen und auch die nachfolgenden Generationen als solchen erkannt und bejubelt haben, hat nicht nur viel Geld gespart (die Eintrittspreise für’s Spektakel liegen zwischen 26 und 58 Euro}, sondern auch seine Nerven geschont.

Wer aus gebotenem Anlass doch einmal den Berliner Dom – eine besondere Scheußlichkeit wilhelminischer Baukunst – betreten hat, muss erleben, wie der »Klassik-Entrepreneur « (Eigenwerbung) Hagel »Haydns Natur-Ehrfurcht in eine Gegenwart überführt, in der diese längst kein eindeutiges Gesicht mehr hat. Wie er Haydns Komposition entfesselt und die ehrfürchtige Sinnlichkeit in das Körperliche übersetzt«.

Zu diesem Zwecke beschäftigt der Profi ein Corps Männer und Frauen mit durchtrainierten Körpern, die viel nackte Haut zu Markte tragen, aber auch tollkühne Break Dancers sind und perfekt sämtliche modischen Varianten der urban street styles beherrschen,  gutaussehende und -singende Sängerinnen und Sänger, Kindertänzer, die zu schönen Hoffnungen Anlass geben, eine zwei Meter lange Schlange (echt), einen Affen (nicht echt, das hat das Veterinäramt nicht erlaubt), Videokünstler und  Projektionsachverständige, die  Quallen durch den Altarraum  schwärmen, Wasser an den Wänden herabrinnen oder Blattgrün hinaufklettern lassen, das übliche technische Personal, einen Orgelspieler, der Luzifers Höllenfahrt donnernd untermalen darf, den flexiblen Berliner Symphoniechor, der fast alles mitmacht, sowie die Berliner Symphoniker. Die Musiker sind langjährig souveräne Begleiter der Hagelschen Ein- und Ausfälle, die nur mit der problematischen Akustik des Doms zu kämpfen haben. Was die meisten Besucher wohl wenig kümmert: Sie kommen kaum nach mit dem Sehen, wie sollen sie sich da noch auf das Hören konzentrieren können? 

Hagel hofft übrigens, »dass er Zeitgenossen erreicht, die sich niemals ein traditionelles Oratorium mit drögen Heilsbotschaften antun würden. Und dass nicht wenige entdecken, wie hinreißend modern Papa Haydn sein kann. « Na, wenn er meint –

Dennoch: das Ganze ist eine prima Arbeitsbeschaffungsmaßmahme. Nicht nur für die  Symphoniker, denen der Senat vor Jahren die subventionelle Unterstützung entzogen hat und die nun wenigstens ein Weilchen en suite beschäftigt sind.

Aber wenn die TOCC Concept GmbH den Künstlern die Gage zahlen soll, die sie verdienen, müssen die Einnahmen stimmen. Also nichts wie hin, Leute! Künstler fördern!

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Vorstellungen:  bis 3. Juni, Do bis So, jeweils 20.30 h, Karten: 01805-3953 sowie an allen bekannten VVKassen und im Berliner Dom, Website: www.schoepfung-im-dom.de

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