Soullegende Willie Mitchell gestorben

Diese Scheibe von Willie Mitchell steht in jeder guten Soulstube.

Willie Mitchell wurde im März 1928 in Ashland/Mississippi als Sohn eines schwarzen Pachtbauern geboren. Die Familie zog jedoch schon bald nach seiner Geburt nach Memphis um, dem direkt nördlich der Grenze gelegenen wahren wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum des Mississippi Deltas aber gleichzeitig im Herzen der Country Music mit der Hauptstadt Nashville gelegen. War schon der Einfluss der “weißen” Countrymusic” auf den schwarzen R&B der 50er Jahre in Gestalt des Rockabilly prägend und vom Elvis Presley – Entdecker Sam Phillips auf “Sun Records” verewigt worden, so war er in anderer Form in der schwarzen Soul Musik der 60er, vorallem im Instrumentalen herauszuhören.
Mit acht Jahren begann er Trompete und später Klavier. In den späten 50er und den 60er Jahren leitete er seine eigene zehnköpfige R&B Band und veröffentlichte auf dem Hi-Label eine Reihe ziemlich erfolgreiche instrumentalen Singles und LPs, darunter eine gute Coverversion der “Soul Serenade”, des Hits des Saxophonkönigs King Curtis. Überdies spielte er an der Seite bekannter moderner Jazzmusiker wie Booker Little, Charles Lloyd und Phineas Newborn Jr..

In den 50er Jahren sang bei Sam Phillipps ebenfall in Memphis beheimateten “Sun Records” ein Rockabillysänger namens Warren Smith einen Song mit dem Titel “Red Cadillac And A Black Moustache”. Ob Willie Mitchell je einen roten Cadillac fuhr, weiß ich nicht, aber ein dünner schwarzer Oberlippenbart blieb bis zu seinem Tod ein wesentliches optischen Markenzeichen. Er verkörperte durch und durch eine schwarze Version des Südstaaten-Beaus. Wie berichtet, hatte er einen eher laschen Händedruck – alles in allem ein Mann, der ganz und gar entspannt wirkte. Damit verkörperte er gewissermaßen auch das, was er selbst, oft zitiert, zum Charakter der Musik von Memphis erklärte: “Jazzmusiker hier konnten wirklich schnell spielen, aber trotzdem spielten sie ein wenig hinter dem Beat. Diese Qualität der Faulheit ist etwas, was die Jazz- und die R&B-Musiker in Memphis immer gemeinsam hatten. Selbst die Bill Black Combo und Otis Redding, die spielten immer etwas hinter dem Tempo, und ganz plötzlich würde dann jeder anfangen, im Rhythmus zu schaukeln. Sie wären so einen halben Beat zu langsam, und dann würde es sich anhören, als ob sie ihn überhaupt nicht mehr träfen, und dann würden sie sich so im Rhythmus wiegen und dann doch genau au den Beat rauskommen. Ich konnte diese Qualität im Blues von Memphis hören als ich hier hoch kam, und ich konnte es die ganze Zeit bis hin zu Al Green hören.”

Diese Qualität verbunden mit einem ihr entgegenkommenden Instrumentalsound war es, die Willie Mitchell deutlicher noch als die Kollegen der durch Stars wie Otis Redding, Sam & Dave e.a. bekannteren Konkurrenzfirma “Stax/Volt” repräsentierte. Schon bevor er sie in Zusammenarbeit mit dem Deep Soul-Sänger O.V.Wright (u.a. “You’re Gonna Make Me Cry”, “Everybody Knows”, “Eight Men, Four Women”, “Nickel And A Nail”), und vor allem mit Ann Peebles und als Höhepunkt Al Green durch seine eigene Rhythmusgruppe (Mabon `Teeni’ Hoges, g.; Charles Hodges, keyb.; Larry Hodges Jr., b.; Howard Grimes und später der ex-Stax-Mann Al Jackson, dr. ) realisierte, hatte er entsprechende Erfahrungen gesammelt als er Songs des R&B-Superstars Bobby `Blue’ Bland für das Houstoner Label “Duke” von Don Robey alias Deadric Malone pruduzierte, der auch O.V.Wright unter Vertrag hatte. In Texas pflegte man einen gegenüber dem eher ländlichen Sound von Stax/Volt durch die Big Band-Tradition des Mittleren Westens beeinflussten R&B-Stil.

Im Vergleich zu Stax/Volt und deren berühmter Studio Band “Booker T.&The MGs” (deren Instrumentalhit “Green Onions” im übrigen Wesentliches Willie Mitchell verdankt wie Scott Freeman in “The Otis Redding Story” vermerkt) ergänzt durch die “Memphis Horns”, deren Sound und harter Rhythmus bis in die zweite Hälfte der 60er Jahre hinein oft an eine Marching Band erinnerte, zeichnete sich Mitchell’s Produktion zunehmend durch einen verfeinerten, warmen Sound gekennzeichnet durch Saxophone statt Trompete und gleichmäßig im 4/4 Takt geschlagene Drums aus. Dem Ganzen fügte er eine kleine Streicher-Sektion hinzu, die einfache bläserartige Linien spielte. Das war in Vollendung auf den Aufnahmen von Al Green zu hören, den Mitchell so Anfang der 70er Jahre mit Songs wie “Let’s Stay Together”, “”Tired Of Being Alone”, “Call Me” oder “Take Me To The River” zu dem Soul-Superstar des Jahrzehnts machte. Er sorgte auch dafür, dass Al Greens Gesang sich dem Sound der Band anpasste, und eher romantisch als dramatisch wurde, ohne dabei gänzlich auf das aus der Gospelmusic kommende ekstatische Element im Soulgesang zu verzichten. Vielmehr weist Mitchell’s erfolgreiches Drängen, dass (der spätere Reverend) Al Green seine Stimme in höhere Register bis hin zum Falsett schrauben solle, gerade darauf hin. Ist der Falsett-Gesang in der europäischen klassischen Musik Ausdruck des Patriarchalismus, demzufolge Männer in der Kiche Frauenstimmen singen mussten, weil diese in der Kirche zu schweigen hatten, ist der Falsettgesang in der afro-amerikanischen Musikkultur ursprünglich Ausdruck dessen, dass die Götter oder der Gott vom Sänger Besitz ergriffen hat und ihn mit einer fremden Stimme sprechen lässt.

Willie Mitchell schuf somit den Übergang vom Soul als modernem Ausdruck des ländlichen Südens zur großstädtischen Black Music der Gegenwart. Da war zunächst die auch auf den internationalen Pop-Markt orientierte Produktion von “Motown Records” in Detroit, deutlicher aber noch der durch die Einbeziehung größerer Streicher-Besetzungen gekennzeichnete “Philly Sound” (“The O’Jays”, “Harold Melvin & The Blue Notes” etc.). Detroit und Philladelphia liegen beide bekanntlich in den Nordstaaten.

Jonathan Fischer kennzeichnete in seinen Linernotes der bei Trikont erschienenen Compilation “Sad Soul Of The Black South” 1998 den gegenwärtigen Mainstream Soul als auf “Party, Sekt und Seidenlaken” abonniert. Willie Mitchells Produktionen der zweiten Hälfte der 60er, vorallem aber der ersten Hälfte der 70er Jahre bereiteten “Philly Sound”, Disco und “Nu Soul” vor, bewahrten aber das Erbe einer in die Tiefe der schwarzen Kultur des Südens weisenden Musik.

“Hi Records”, die nach dem Tod ihres Gründers 1970 in Mitchell’s Besitz übergingen, wurden 1977 an die britische Firma “Cream” verkauft; Willie Mitchell blieb aber Eigentümer des “Royal Studios”. 2009 produzierte er noch Rod Stewarts “Soulbook”-Album, für beide allerdings kein Höhepunkt ihres Schaffens. Seine letzte Produktion, ein Album für den 60er Jahrre Soulstar Solomon Burke, ist noch nicht erschienen. Willie Mitchell erhielt 2008 den “Trustees Award” der Grammy Foundation, und die Stadt Memphis hat die Straße vor seinem Tinstudio nach ihm benannt. Der Wiener “Standard” schrieb in seinem Nachruf “Willie Mitchell schuf als Produzent eine der dauerhaftetsten und verführerischsten Ästhetiken der Soul-Musik”.

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