Und ihr Plan geht auf. Denn zwar bleiben sie dem Shakespeare-Erzählzusammenhang verpflichtet. Doch musikalisch und tänzerisch bringen sie etwas bemerkenswert Neues auf die Bühne. Diesmal wenig Prokofieff, dafür aber viel Vivaldi und hin und wieder David Guetta, Lady Gaga, Katy Perry sowie The Righteous Brothers in einer emotional überaus aufgeladenen Mischung, die unmittelbar mit dem dramatischen Bühnengeschehen korrespondiert.
Männlichkeitshormone
Und selten galt es so ausgefeilte Charaktere zu bewundern, die allesamt unmissverständlich ihre tänzerische Rolle auszufüllen vermochten. Allein die Einführung der handelnden Personen bietet ein unerwartetes Kabinettstück. Nach Motiven aus Vivaldis Violinkonzert und seinen „Vier Jahreszeiten“ stellen sich alle Mitwirkenden der Reihe nach vor. Und machen tänzerisch neugierig darauf, welche Gefühle und Leidenschaften sich wohl hinter ihnen verbergen.
Beispielsweise Tybalt (Kyle Lucia) aus dem Hause der Capulets, der seine Männlichkeitshormone kaum im Zaum halten kann. Eine Trainingsstunde im Boxstudio verdeutlicht, zu welchen Aggressionen er fähig ist. Und vor allem wie er mit Leuten umgeht, die ihm auf irgendeine Weise in die Quere kommen. Wie zum Beispiel Mercutio (Jarvis Mc Kinley) aus dem Hause der Montagues, dem selbst noch im Sterben die Menschenverachtung seines Widersachers entgegen schlägt.
Martialische Pose
Dagegen Romeo (Preston Swovelin) und Julia (Jordan Lombardi) als die Liebenden, die alles opfern, um füreinander da sein. Ihr Bekenntnis zueinander und ihre Leidenschaft füreinander gipfeln in jener Zärtlichkeit, die nur Pater Lorenzo (Jace Zeimantz) und die Amme (Jourdan Epstein) richtig einzuordnen wissen. Unglaublich einfühlsam und anrührend ihr gefühlvoller Hochzeitstanz nach Lady Gagas „The Edge of Glory“.
Doch dann als Kontrapunkt gleich danach die arrogante Gewaltexplosion Tybalts, die Mercutio das Leben kostet und den Handlungsstrang in die Unumkehrbarkeit überführt. Der alles entscheidende Wendepunkt, der ausnahmsweise dann doch einmal von Prokofieffs Musik kommentiert wird, die in martialischer Pose daher kommt.
Wechselspiel der Gefühle
So nimmt das Wechselspiel der Gefühle bis in den Tod hinein seinen Lauf, der die Liebenden dann doch noch vereint. Und selbst in dieser menschlichen Extremsituation bleibt Adrienne Canterna den Beweis für ihre Grundthese nicht schuldig, „dass nichts dieses Gefühl besser zum Ausdruck bringen kann als der menschliche Körper, wenn er tanzt“.
Das Publikum ist von dieser Logik längst überzeugt und spendet in standing ovations frenetischen Beifall. Einen solchen mitreißenden Abend im Rahmen eines modernen Rockballetts hatte es wohl angesichts des hinlänglich bekannten Stoffes nicht erwartet.
Weitere Veranstaltungen:
Bonn bis 12.07., Fürth, 17.-26.07., Hamburg, 28.07.-02.08., München, 04.-16.08., Essen, 18.-20.08.2015