Dies Weltbild wird in der Kindheit von den Göttern des Kindes, den Eltern, geprägt, die auch einen krankmachenden Einfluß ausüben können.
Ein ärztlicher Kollege schilderte, wie er an mehreren Punkten seines Lebens durch selbstbestimmte Entschlüsse, durch eigene Ideen und überraschende Erfahrungen aus leichteren Erkrankungen und Störungen dauerhaft herausgekommen ist. An seinem und einigen anderen höchst individuellen, aber alltäglichen Geschichten soll einführend die heilende Kraft der Selbstbestimmung, der überraschenden Erfahrungen, des gewonnene Selbstvertrauens und des neuen Glaubens in den Krankheitsverstrickungen erzählt, veranschaulicht und diskutiert werden. Diese autonome Selbstbestimmung kann aus der krankmachenden, meist frühkindlich verinnerlichten und eingeprägten Fremdbestimmungen, dem oft unbewussten Widerstand und den Selbstzweifeln heraus führen, entgegen dem Satz „was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“.
Halsentzündungen
Seit der frühen Kindheit litt er unter Halsentzündungen, die zu vielen Fehlzeiten in der Schule führten, wobei mit sieben Jahren die vereiterten Mandeln entfernt wurden. Das hatte jedoch zu keiner Besserung geführt. Zur Behandlung wurde er von seiner Mutter mit heißen Kartoffelpackungen am Hals eingepackt. Ab der Pubertät entwickelte er einen bizarr anmutenden Umgang mit seinen ständigen Halsentzündungen. Beginnende Halsentzündungen konnte er am ehesten an beginnenden Kopfschmerzen und diese an Erschütterungen des Kopfes, am schnellsten durch Kopfschütteln, feststellen. Also schüttelte er ständig den Kopf, ein Tic. Später interpretierte er dieses Verhalten als ständiges „Nein“-Sagen. Aus Angst vor Halsentzündungen ging er regelmäßig wie von seiner Mutter dick eingepackt mit einem Schal sogar zu Bett. Als junger Mann Anfang 20 kam ihm diese Zeremonie zu blöd vor, und er bestimmte selbst, den dicken Schal sogar tagsüber einfach wegzulassen. Fortan traten die Halsentzündung nicht mehr auf, und er war sogar stolz darauf, im Winter mit freiem Hals herum zu laufen. Erst später stellte er erstaunt fest, dass auch die ihn in der Kindheit und Jugend begleitenden Kopfschmerzen verschwunden waren.
Im gemeinsamen Gespräch deuteten wir seine Halsentzündungen und Kopfschmerzen als unterdrückte Wut auf seine Mutter, die sich als autoaggressive Symptomatik darstellte. Er war in einem widersprüchlichen Ambivalenzkonflikt verfangen. Zum einen suchte er die Nähe und Wärme der Mutter, die sich nur bei Halsentzündungen ihm fürsorglich zuwandte, insofern zur Krankheit verführte, ansonsten ihn oft fertig machte und entwertete. Zum anderen schwoll ihm deswegen sozusagen der Hals. Wenn später Kopfschmerzen auftraten, waren diese sofort weg, wenn er seine Wut heraus ließ. Die unterdrückte Wut bereitete ihm Kopfschmerzen. Wie viele Migräne- und Kopfschmerzenkranke gibt es! Sich selbstständiger zu machen und aus dem Dunstkreis der Mutter herauszukommen, ließen die Selbstbestimmung und Krankheitsbefreiung zu. Eitrige Halsentzündungen werden heute häufig mit Penicillin behandelt, dadurch Resistenzen gezüchtet und in keiner Weise auf den hoch ambivalenten, unauflöslichen Widerspruch von Geborgenheitssuche und provozierten Aggressionen als Grundkonflikt eingegangen.
Bluterkrankung
Nachdem diese Störungen überwunden waren, trat bald darauf eine neue rätselhafte Bluterkrankung auf. Er war immer leicht gelb, eine Gelbsucht, infolge einer Erhöhung des Blutabbaustoffes Bilirubin. Untersuchungen ergaben, die roten Blutkörperchen waren kleiner und platzten schneller als normal. Sollte das noch schlimmer werden, stand die Entfernung der Milz zur Diskussion. Sein Doktorvater schlug ihm das sogar vor. Er flüchtete frühzeitig in die Geborgenheit einer eigenen Familie. Die Bluterkrankung war langsam geheilt und trat nie mehr auf. Offenbar gingen das Selbstständigwerden und die Ungeborgenheit ihm selbstzerstörerisch bis ins Mark und Blut.
Handschweiß und Ängste
Der dritte Punkt waren seine ewigen schweißnassen Hände. Vor allem bei Autoritäten und neuen ihn interessierenden Frauen tropften diese unaufhörlich. Er rieb sie sich verschämt ab. Ende 20 konnte er sich im Angesicht der schweißnassen Hände seiner Patienten und seiner eigenen seine vielen Ängste eingestehen. Er sah es als Witz an, er hatte Angst vor den Patienten und diese vor ihm, und die ärztliche Rolle ließ ein gemeinsames befreiendes Gespräch nicht zu. Aber zu seiner Überraschung waren beim Eingeständnis und der Akzeptanz seiner Ängste die feuchten Hände plötzlich verschwunden. Allein die Akzeptanz der Ängste reichte offenbar aus. Später dachte er sich, hätte man ihn ein paar Jahre vorher auf seine Ängste angesprochen, hätte er den Anderen noch ausgelacht. So weit war er damals von seiner Innenwahrnehmung entfernt.
Fußschmerzen
Ein späterer 100km-Läufer schilderte, in seiner Jugend habe er jahrelang unter Schmerzen an der Fußsohle beim Gehen und Stehen gelitten. Vom Orthopäden ließ er sich Korkeinlagen nach Maß anpassen, die nach einem Jahr kaputt waren und wenig halfen. Er bekam Plastikeinlagen verpasst, die auf seine Anweisung hin am Quer- und Längsgewölbe noch deutlich überhöht angefertigt wurden, so daß es beim Gehen drückte. Seine Idee fand er so gut, daß die Beschwerden nachließen, er die Einlagen weglassen konnte und später 100km beschwerdefrei ohne die üblichen Laufschuheinlagen lief. Während es ihm vorher schmerzhaft schwer fiel, auf eigenen Füßen durchs Leben zu gehen, hatten diese eigene Idee beschwerdefrei gemacht.
Knieschmerzen und Hybris
Derselbe Läufer konnte anfangs trotz Interesses keine längeren Strecken laufen. Das Außenknie fing nach ein paar Km an zu schmerzen, und das ganze Bein verkrampfte. Trotzdem blieb er am Ball. Nach einem erneuten Laufversuch und schmerzendem Knie stellte er beim Hüpfen auf der Stelle plötzlich erstaunt fest, wenn er normal hüpfte, schmerzte das Knie, wenn er auf dem Innenfuß über den großen Onkel hüpfte, schmerzte es nicht. Diese Erfahrung übersetzte er auf das Laufen, lief fortan mehr über den Innenfuß und konnte lange Strecken laufen. Bei seinem ersten Marathon überholte er einen befreundeten, stärker eingeschätzten Läufer, für ihn ein Vorbild, und dachte noch „welch ein Frevel!“. Bald darauf musste er wegen Knieschmerzen gehen. Ähnlich erging es ihm bei den ersten 100km-Läufen, wo er abbrechen musste oder kurzfristig ging, und bei einem 24-Stundenlauf, wo Schmerzen nach vielen beschwerdefreien 100km-Läufen schon sehr frühzeitig auftraten.
Jedes mal kam ihm das Angehen der längeren Strecke wie ein frevelhafter Verstoß gegen innere Autoritäten vor, bis er sich gewöhnt hatte. Das Knie und der Kniefall gelten symbolisch als Geste der Demut und Unterwerfung, die Katholiken knien vor Gott, ein geflügeltes Wort ist der „Gang nach Canossa“. Ein Auflehnen gegen Gott und die Götter gilt als Frevel, griechisch Hybris.
Selbstbestimmung und Krebs
Im Artikel über den Krebs hatte ich auf die krebsheilende Wirkung des Aufbruchs zu neuen Ufern, in einem Fall der Beginn von Ausdauersport, im anderen Fall das Zulassen von Wut, die Selbstakzeptanz und die vermehrte geistige Präsenz und Innenwahrnehmung, hingewiesen.
Virtuelle und reale Welt
Der Mensch sieht die Welt, wozu auch er selbst gehört, mit seinen Erfahrungen, die eingeprägt in die Nervenzellen und das Netzwerk seinen Charakter bilden. Stammen diese aus einem frühen, nicht erinnerungsfähigen Alter, sind sie für ihn nicht bewusstseinsfähig und nicht fassbar, prägen aber trotzdem seine Wahrnehmung, in diesem Fall die unbewusste Wahrnehmung. Inwieweit die Erfahrungen als Erwartungen und Annahmen den Zukunftsentwurf prägen, zeigt, gute Erfahrungen machen Hoffnung, schlechte weniger Hoffnung, obwohl die späteren Umstände ganz anders sein können, sich besser keine Hoffnung zu machen oder trotz schlechter Erfahrungen Hoffnung haben zu können. Insofern lebt der Mensch aufgrund seiner Erfahrungen sozusagen in einer virtuellen Welt. Man könnte auch sagen „Traumwelt“. Ein Mensch, der verzweifelt, hoffnungslos und ausweglos ist, etwa ein Depressiver, muß in seinem Leben schlechte Erfahrungen gemacht haben. Da der Mensch nach seiner Wahrnehmung, seinem Glauben handelt, hat er die Neigung, die alte Realität in die neue Realität umzusetzen und die virtuelle Welt wie in einem Kreislauf in der realen Welt wieder zu erleben. Dann hat er mit seinen Annahmen recht gehabt. Die Welt ist böse. Negativ eingestellte Menschen schaffen sich tendenziell ihre negative, und positive ihre positive Welt.
In diesem Kreislauf der virtuellen Welt und der Umsetzung in die reale Welt, die nun wiederum mit virtuellen Bildern gesehen wird, kann ein göttliches Wort hilfreich sein, einen anderen, neuen Glauben und eine neue Wahrnehmung zu schaffen und aus den Verstrickungen dieses Kreislaufes heraus zu führen – deswegen der Run zu göttlichen Instanzen oder zum Halbgott in Weiß.
Überraschung
Eine andere Möglichkeit, aus dem möglichen Teufelskreislauf heraus zu kommen, ist die Chance, von Überraschungen, Verwunderung – es ist ein Wunder – oder Erstaunen zu profitieren, dadurch den eigenen Horizont zu erweitern. Das Weltbild muß jedoch einigermaßen offen für neue Erfahrungen sein, Unsicherheiten und Unabwägbarkeiten zugelassen werden können. Bei einem fixierten, geschlossenen Weltbild heißt es „kann nicht sein!“. Überraschungen sind außerdem nicht plan- oder programmierbar, ereignen sich mehr zufällig. Im Gegensatz dazu, erfordert ein schwerer Leidenszustand jedoch Sicherheit in der Besserung und Programme der Heilung, wobei sich das geschlossene Weltbild fortsetzt.
Erziehung zur Fremdbestimmung und Autoaggression
In unserer westlichen Kultur werden wir oft nicht auf eine Innenwahrnehmung, wie etwas für uns ist und wie wir dazu stehen, uns selbst ernst zu nehmen und zu achten, hin erzogen, sondern auf Ziele, Ergebnisse und Fakten. Deswegen sind vor allem in der Medizin die Naturwissenschaften favorisiert. Diese Erziehung ist folglich eine Fremdbestimmung weitab von der eigenen Person, gegenüber der der Mensch zwischen sich selbst und der Umwelt in eine innere Zerreißprobe gelangt, die krank machen kann bzw. die Krankheitsanfälligkeit fördert. Der Präge- und Erziehungsprozeß wird immer maßgeblich vom Umfeld mitbestimmt. Das ist menschliches Schicksal. Der Unterschied ist nur, ob auf die eigenen kindlichen Bedürfnisse eingegangen, diese geachtet werden, wodurch der Mensch Selbstachtung, Selbstachtsamkeit und Selbstbewußtsein erwirbt und danach handeln kann – oder nicht.
Die Prägung, in der wir selbst im Umfeld eine so geringe Rolle spielen, auf uns so wenig eingegangen wird und wir gegen die eigenen Person fremdbestimmt sind, erzeugt Aggressionen auf das Umfeld. Aber da wir als Kleinkinder noch nicht wissen, was wir glauben sollen, das Umfeld wie ein Gott für das Kind oft fest überzeugt ist, übernehmen wir den Glauben des Umfeldes, sind mit diesem identifiziert. Die wichtigste Person des Umfeldes ist meist die Mutter. Das Umfeld ist also in uns, und die ursprünglichen Aggressionen auf das Umfeld richten sich gegen die eigene Person, die Autoaggression. Vor allem in der nichterinnerbaren Frühphase des kindlichen Lebens sind diese Aggressionen in der eigenen Wahrnehmung nicht fassbar und deswegen gegen das eigene Selbst unkontrollierbar gerichtet.
Trotz, Opposition, Sabotage und Gegenbeweise
Zur Erhaltung des eigenen Selbst ist es menschliches Schicksal, gegen die Fremdbestimmung sich in irgendeiner Form zu wehren. Das Ziel ist, wieder Herr im eigenen Haus zu werden. Der Mensch wird dazu geradezu heraus gefordert. Das kann bei greifbar wahrgenommener Fremdbestimmung wie Bevormundungen als bewusste Opposition, beim Kind und Kind im Erwachsenen als Trotz, Sabotage oder als Fixierung auf Gegenbeweise ablaufen. Gegenbeweise heißt, zu beweisen, daß die eigenen Person oder eine Bewertung nicht so ist, wie immer gesagt wurde. Auf der tieferen, nicht erinnerbaren Ebene laufen diese Prozesse trotzdem in nicht mit der bewussten Wahrnehmung erfassbarer Form ab. Die weitere Tragik ist, daß aufgrund der Identifizierungen die Fremdbestimmungen, Normen und die dahinter steckenden Ängste sozusagen mitlaufen, der Mensch also gegen sich selbst antrotzt und dadurch in eine verstärkte innere Zerrissenheit gerät.
Weiterlaufende Prozesse während einer medizinischen Behandlung
Die unter diesen Prägebedingungen leicht entstehenden Erkrankungen erfordern medizinische Behandlungen. Aber die inneren Prozesse laufen während dieser weiterhin ab. Auch die Medizin kann entsprechend der früheren Erfahrungen der Kranke als Fremdbestimmung auffassen und muß sich dann dagegen wehren, wodurch er wiederum in eine vermehrte innere krankmachende Zerreißprobe gerät. Dann kann die beste Behandlung kontraproduktiv sein. Der Kranke muß in seine Überzeugung, seinen Glauben aufnehmen, Vertrauen entwickeln, daß diese Behandlung für ihn gut ist, er sie deswegen selbstbestimmt will.
Der Gewinn des Vertrauens erfolgt durch eigene Erfahrungen, die Erfahrungen und Erzählungen anderer und durch eine gigantische Werbung der Medizinindustrie. Inwieweit das alte Misstrauen, die Ängste und die Abwehr gegen die Fremdbestimmung weiter wirken, zeigt die Tatsache, daß meist nach Lesen des Beipackzettels die Angst vor den möglichen Nebenwirkungen dazu führt, daß etwa die Hälfte der Arzneien weggeworfen werden. Aber auch das freut die Pharmaindustrie. Würde nur die eingenommene Hälfte verkauft, würde ein wichtiger Wirtschaftszweig zusammen brechen.
Das Vertrauen und der Glaube in die Behandlung und die Selbstbestimmung können auch bewirken, daß Behandlungen außerhalb der Schulmedizin, die nach naturwissenschaftlichen Kriterien nicht wirken können, wie etwa die Homöopathie, trotzdem wirksam sind. Wahrscheinlich wirkt, daß entgegen der 5min-Medizin auf die Bedürfnisse und Sorgen des Kranken mehr eingegangen, dieser angehört wird und sich ernst genommen fühlt, genau das, was ihm in seiner Kindheit gefehlt hat und wodurch er eine neue korrigierende Erfahrung macht. Aber auch in so paradoxen und bizarren Abläufen kann die Behandlung wirksam sein, wenn der Arzt in einem nicht fassbaren, rätselhaften Krankheitsgeschehen eine exakte, eindeutige und unanfechtbare Diagnose stellt und einen klaren, erfolgsversprechenden Behandlungsplan aufstellt. Dann weiß der Kranke, wo er dran ist, ist beruhigt, entspannt sich und der Selbstheilungsprozess kann seinen Verlauf nehmen. Allerdings, der nächste Patient fasst dann Vertrauen, wenn ihm der Arzt deutlich sagt, daß er nicht weiß, wo er dran ist und wie es weiter geht. In den Augen dieses Patienten ist dieser Arzt wenigstens ehrlich, und er kann in ihn Vertrauen haben.
Bei den obigen Fallbeispielen handelt es sich um leichtere Erkrankungen oder Behinderungen, die vom Erkrankten selbst durch eigene Entschlüsse, Selbstbestimmungen, eigene Ideen und überraschende Erfahrungen überwunden werden konnten. Entgegen den verinnerlichten Fremdbestimmungen gelang es, wieder die Herrschaft im eigenen Haus zu erlangen. Bei den Fußeinlagen mag sogar gewirkt haben, daß der Kranke den Gegenbeweis zur Schulmedizin antrat und entgegen deren Empfehlungen kein braver Patient war. Bei schweren Erkrankungen ist der Kranke mehr auf eine korrigierende Außenwelt, oft ein medizinisches, göttliches Behandlungssystem angewiesen. Er öffnet Tür und Tor den Verführungen der Medizinindustrie. Aber auch dort wirken diese Faktoren, wie beschrieben, zugunsten oder zu ungunsten des Heilungsverlaufes mit.