Kilometer lange Zäune, triste Hallen, Transportbrücken und Lastwagen bestimmen das Bild: Das Industrie- und Gewerbegebiet Zona Franca in Südwesten Barcelonas ist so langweilig wie hunderte anderer Firmenansammlungen dieser Art auf der Welt. Das Spannende ist unsichtbar, es steckt in dem schmucklosen Gebäude Nr. 122 und von außen deutet nichts auf die darin verborgenen Schätze hin. Isidre López Badenas verbirgt sie aber nicht freiwillig vor den Augen einer breiten Öffentlichkeit.
„Natürlich hätten wir auch gern ein Museum“, sagt der Chef der Seat-Sammlung, der schmunzeln muss, wenn man seine säuberlich aufgereihten Preziosen als „größtes unbekanntes Automuseum der Welt“ tituliert. Allerdings ist diese Bezeichnung der Wahrheit recht nahe, denn einerseits ist Seat als recht junge Automarke noch keine feste Größe in der Oldtimer-Szene, andererseits ist die Sammlung ohnehin nur angemeldeten Gästen zugänglich – hinfahren und Eintrittskarte kaufen, wie in anderen Museen, ist unmöglich.
Ein eigenes Gebäude im Zentrum der katalanischen Hauptstadt mit kunstvoll ausgeleuchteten Auto-Klassikern darin, einem nicht zu knapp bemessenen Budget und museums-pädagogischem Konzept – das würde Isidre López Badenas gefallen. Doch der gelernte Industriemeister weiß, dass dies, wenn überhaupt, noch in ferner Zukunft liegt. Die Glitzerpaläste, wie sie sich deutsche Hersteller für ihre Museen gönnten, wirken wie Stein gewordene Symbole des Selbstbewusstseins dieser Marken. Badenas kann von so etwas höchstens träumen.
Bei Seat herrscht ein strenger Sparkurs, seit der Heimatmarkt eingebrochen ist und auch der Export von der Absatzkrise auf dem europäischen Markt betroffen ist. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass mit Volkswagen ein erfolgreicher Großkonzern hinter der Marke steht. Autos verkaufen, Gewinne machen, lautet die Vorgabe aus Wolfsburg, die Präsentation von Gestrigem hat da keine Priorität. Skoda, die tschechische VW-Tochter, hat es da besser. Weltweit ist die Marke auf dem Vormarsch, in Deutschland verkauft sie so viele Autos wie kein anderer Importeur. Seit einem Jahr ist auch das neue Skoda-Museum in Mlada Boleslaw geöffnet.
Seat ist, gemessen an den dreistelligen Geburtstagen, die andere Marken in jüngster Vergangenheit feierten, dem Jugendalter eines Autoherstellers kaum entwachsen. 1950 wurde das Unternehmen als Sociedad Española de Automóviles de Turismo, übersetzt etwa „Spanische Gesellschaft für Personenwagen“, gegründet. 93 Prozent des Stammkapitals hielten der spanische Staat und Banken, sieben Prozent der italienische Fiat-Konzern. Der lieferte das technische Know-how. Und zwar so komplett, dass der erste Seat eine nahezu vollständige Kopie des ersten Nachkriegs-Fiats war.
Dieser Seat 1400 steht natürlich in erster Reihe der insgesamt rund 200 Fahrzeuge, die Isidre Badenas und zwei Kollegen liebevoll pflegen. Das Trio alles, was der Sammlung an Personal zur Verfügung steht – sie schrauben noch selbst, so wie viele Privatsammler. „Fast alle Autos sind fahrbereit“ verkündet Badenas stolz, wenngleich er einräumen muss, dass sie nur auf dem Werkgelände bewegt werden können. Für die Teilnahme an Oldtimer-Veranstaltungen wie etwa der jährlichen „Auto-Retro“ in Barcelona muss eine gesonderte Zulassung beantragt werden. Gleich neben dem Seat 1400 ist ein besonderes Einzelstück platziert: Im „1400 Visitas“ ließ sich einst General Franco chauffieren. Der offene Achtsitzer überdauerte die Diktatur und wird heute für Fabrikbesuche von Behörden und Staatschefs benutzt.
1953, als die Auslieferung des Modells 1400 begann, werkelten rund 1000 Beschäftige für Seat in der Zona Franca. Heute ist es still auf dem weitläufigen Areal, das Presswerk fertigt noch Komponenten, die mit dem Güterzug zur weiteren Montage an den neuen Seat-Standort Martorell geliefert werden. Für die Seat-Sammler ist das kein Schaden, haben sie doch fast unbegrenzt Platz für ihre Kostbarkeiten.
Noch kostbarer als das Franco-Cabrio ist wahrscheinlich der weiße Seat Panda, ebenfalls ohne Dach, dessen Kotflügel mit bunten Standarten bewehrt sind und dessen Türen Wappen mit der Inschrift „Totus Tuus“ tragen. Der Versicherungswert von 60 000 Euro spiegelt, obwohl es der teuerste Panda der Welt sein dürfte, die Einzigartigkeit des Fahrzeugs nicht im Mindesten wider. Für den Spanienbesuch von Papst Johannes Paul II., der sein spirituelles Selbstverständnis in den Worten „ganz Dein“ zusammen fasste, wurde das Auto 1982 in nur zwei Wochen umgebaut. Ganze zwei Mal kam dieses Papamobil für Fahrten zu Stadion-Messen zum Einsatz.
Im selben Jahr vollzog Seat die Trennung von Fiat, den Wunsch nach Eigenständigkeit aber dokumentietren schon zahlreiche Fahrzeuge aus den Jahren davor. Varianten des Fiat 600, darunter ein Multipla von 1966 mit gegenläufig öffnenden Türen, ein 1500er Kombi mit ausklappbaren Kindersitzen hinter der Heckklappe, wo die lieben Kleinen dem nachfolgenden Verkehr zuwinken konnten: Die Sitze sind entgegengesetzt zur Fahrtrichtung eingebaut. Die Umstellung von Heck- auf Frontantrieb ist ebenso durch Sammlerstücke belegt wie das Engagement von Seat im Renn- und Rallyesport.
Fürs Sportliche hat Isidre López eine ausgeprägte Sensibilität, denn vor seinem Oldtimer-Engagement war er 21 Jahre lang bei Seat-Sport tätig, zuletzt als Werkstatt-Leiter. Kraftstrotzendes und Skurriles findet deshalb ebenfalls Platz in seiner Sammlung. Ein hinreißender Sportbolide, der sein Potenzial für grandiose Rennsiege niemals unter Beweis stellen konnte, duckt sich zwischen zwei Leon-Modellen. Der Cupra GT von 2004 entstand unter tätiger Mithilfe von Audi und Lamborghini, der Zehn-Zylinder-Mittelmotor trägt sogar den Schriftzug der italienischen Sportwagenmarke. Der Ibiza Bimotor von 1986 dagegen ist eine rein spanische Schöpfung, zwei 1,5 Liter-Aggregate mit je 125 PS sorgten für Vortrieb.
Unter der Ägide des Volkswagen-Konzerns, der im Anschluss an ein Kooperations-Abkommen auch die Mehrheit an Seat übernahm, entstanden Studien und Konzept-Autos, die außer Serien-, Sonder- und Sportfahrzeugen die vierte Kategorie der Sammlung ausmachen. Bolero, Salsa, Tango oder Fí²rmula lauten die illustren Namen. Der offene Zweisitzer Tango gehört zu den ästhetisch anspruchsvollsten Ideen, doch nach der Präsentation auf dem Autosalon in Genf 2001 verschwand er ebenso wieder von der Bildfläche wie der Altea Freetrack von 2007, dessen Serienversion nur ein müder Abklatsch der robusten Studie war.
„Das hat es auch einmal gegeben“, lacht López und wedelt mit einem schwarzen Kabel, an dessen Ende ein weißer Schuko-Stecker hängt. „Leider ist dieser Elektro-Toledo nicht über die Erprobungsphase hinaus gekommen.“
Es macht dem 43-Jährigen sichtlich Freude, jeden Tag aufs Neue in der Geschichte seiner Autos zu stochern. Er ist nicht nur Leiter dieses inoffiziellen Museums, sondern auch Chef der Werkstatt und des Ersatzteillagers – das in Gestalt von auszuschlachtenden Modellen in einer hinteren Ecke der Halle verborgen ist – er ist auch Archivar und Hausmeister, Kurator und Mechaniker. Und Einkäufer. Wenn mal Geld für die Auffüllung von Lücken da ist. Was er dann kaufen würde, davon hat López eine ganz präzise Vorstellung: „Natürlich den Seat 124 D Especial, mit dem Antonio Zanini und Juan Petisco 1977 den 3. Platz bei der Rallye Monte Carlo belegt haben. Ich weiß“, und die Begeisterung in seiner Stimme mischt sich mit einem traurigen Unterton, „wo das Auto ist und wer es besitzt, aber den Preis können wir uns momentan nicht leisten.“
ampnet/afb