Das Ergebnis des Referendums ist eindeutig und weitreichend. Egal, ob man für oder gegen eine schottische Unabhängigkeit gestimmt hat, alle haben für mehr Rechte für Schottland im Vereinigten Königreich gestimmt, zu der sich alle Parteien in London feierlich verpflichtet haben. Es wird die entscheidende Frage an den britischen Premierminister Cameron sein, ob er nicht vor Jahren durch sein Beharren auf „für oder gegen das Vereinigte Königreich“ diese Zuspitzung der Entscheidungsfindung alleine in seiner harschen Haltung gegen den schottischen Premierminister Salmond zu verantworten hat? Die schottischen Wählerinnen und Wähler haben gestern den Spieß herumgedreht. London muss jetzt liefern, was es zugesagt hatte. Die Schotten werden es einfordern und dabei sieht sich London jetzt einer geschlossenen Front aus Schottland gegenüber. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass die weitreichenden Zusicherungen Londons an Schottland, um ein Votum zugunsten der Unabhängigkeit zu verhindern, rein taktischer Natur gewesen sind. Schottland wird jetzt genau hinschauen.
Das schottische Votum hat gewaltige Lehren für uns parat. Die Diskussion über ein „ja oder nein“ zur schottischen Unabhängigkeit hat deutlich gemacht, wie sehr in Schottland eine Diskussion geführt worden ist, die eigentlich von uns allen bestritten werden müsste. In welchem Maße beugen wir uns dem Modell eines halb-feudalen Regierungssystem, wie es für das politische System in London mit seinen Steuerungselementen aus der Finanzzentrale „City of London“ bestimmend ist oder sind wir weiter der parlamentarischen Demokratie verpflichtet, für die Menschen in Schottland gekämpft haben? Nichts war für einen Kontinentaleuropäer überraschender als diese Fragestellung. Macht sie doch deutlich, dass wir alle bei London weniger deutlich hinsehen, als wir es eigentlich machen müssten, sollten wir selbst uns nicht auf Dauer in einer von der Bundeskanzlerin propagierten „marktkonformen Demokratie“ nach Londoner Muster wiederfinden.
Gleich, wie die Schotten abgestimmt haben. Schottland steht eigentlich wie ein Mann für die soziale Komponente in der europäischen Politik. Nichts hat die Menschen in Schottland mehr umgetrieben, als die immer größer werdende soziale Ungleichheit auf der Insel. Auf der britischen Insel werden auf Dauer die sozialen Brüche weitergehen und das schottische Votum von gestern wird dazu beitragen, diese Auseinandersetzung auf der ganzen Insel zu führen. Es muss überhaupt nicht betont werden, wie sehr uns das alle betrifft, weil das das gesamteuropäische Kernproblem zu einem Zeitpunkt ist, an dem die soziale Komponente der europäischen Politik der Philosophie des schrankenlosen Kapitalismus nach dem Modell des „Transatlantischen Freihandelsabkommens“ geopfert werden soll. Nach „Shareholder Value“ droht der nächsten Fischzug gegen ein prosperierendes Europa.
Schottland stellt traditionell im Vereinigten Königreich die Soldaten, die für den britischen Militarismus und Imperialismus als erste an fremde Fronten geschickt werden. Doch da bewegt sich was. Schottland hat hier ein deutliches Signal gegen diese Form von Außenhandeln durch London gesetzt, unabhängig davon, wie lange die britischen Atom-U-Boote noch in den bequemen schottischen Gewässern vor Anker liegen können. Die Diskussion über die schottische Unabhängigkeit hat seit dem Syrien-Abenteuer, bei dem die USA, Frankreich und Großbritannien am Anfang des syrischen Bürgerkrieges standen, dazu geführt, dass Cameron das Unterhaus in London fürchten und von kriegerischen Abenteuern aus innenpolitischen Gründen Abstand nehmen musste. Es wäre für uns alle besser, wenn in dieser Frage London wegen der Beschäftigung mit schottischen Angelegenheiten gleichsam lahmgelegt werden sollte. Auch das ist ein Ergebnis von gestern in Schottland.