Schwarze Augen, schwarze Berge – ein eleusinischer Roman über das Auswandern

Zur Handlung sei nur so viel verraten; 1828 macht sich eine Familie auf den Weg nach Brasilien. Aus dem gebeutelten Großherzogtum Luxemburg, das von Preußen und den Niederlanden ausgepresst und den Belgiern beansprucht wird, wollen sie sich eine neue Heimat erobern, in der Ferne, über den Teich. Helminger versteht es meisterhaft, diesen Handlungsstrang in all seiner Düsternis des Analphabetismus und der Armut detailliert zu schildern. Das Auswandern scheitert, die Bauern-Familie Meier kehrt nach einigen Monaten aus Bremen zurück. Es gehen keine Schiffe mehr nach Brasilien, der König dort hat die Zuwanderung gestoppt. Scham und der Verlust des gesamten Kapitals hindern die Familie daran, sich zurück in ihr Dorf, nach Wahl, zu begeben. Sie siedeln in bitterster Armut auf einem Hang in der Nähe, gemeinsam mit anderen gescheiterten Auswanderern. Der Fleck aus Bretterhütten wird bald „Neubrasilien“ genannt. Die Tochter der Familie, Josette, wird sich nicht mit diesem Schicksal abfinden, die alte Heimat ist zur unwirtlichen Fremde mutiert.

In verschränkter Erzählung erfahren wir von der anderen Familie, die aus Montenegro nach Esch/Alzette gelangt ist und dort ihr Glück versucht. Hier ist es die 10-jährige Tiha, mit deren Augen wir die neue Heimat kennen lernen. Vier Jahre lang, bis zum Jahre 2003, begleiten wir das Schicksal der Auswanderer, ähnlich lange währt der Einblick in das Schicksal der Neubrasilianer. Berührend und erschütternd ist die Auflösung der verknüpften Handlungsstränge! Dem Autor sei für seine Durchleuchtung unseres europäisch westlichen Umgangs mit Asylsuchenden gedankt. Helmingers Schilderung des zeitgenössischen Alltags einer luxemburgischen Stadt mit den Parallelwelten ihrer Bewohner ist unaufgeregt ethnologisch geprägt, keine Spur belehrend, einfach meisterhaft!

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Guy Helminger, Neubrasilien, Roman, 315 S., Eichborn Verlag, 2010, 19,95 €

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