Finanzieller Balanceakt
Seit 1993 standen die Vereinigten Staaten bereits 16 Mal an der Schwelle zur Insolvenz. 1995 musste die Regierung ihre Arbeit für eine Woche einstellen. Früher ein Einzelfall, sorgt das Gezerre um den US-Haushalts heute für großes Aufsehen.
Die Staatsschulden und das Haushaltsdefizit der USA haben ein Ausmaß angenommen, das Schockwellen für das weltweite Finanzsystem zur Folge hätte – vor allem angesichts der Finanzkrise in Griechenland, Irland und Portugal und der Panik um den Euro-Verfall.
Das US-Finanzministerium hat sich noch nicht dazu geäußert, für wen und wann der Geldhahn zugedreht wird – ob für Minister, Beamten, Kongressmitglieder, Lehrer oder Museen. Das interessiert auch kaum jemanden in Europa.
Dabei geht es jedoch nicht um die Gehälter, sondern um Zahlungsfähigkeit der USA. Niemand spricht darüber, dass die USA sich bankrott erklären. Für die Kreditgeber sind die weiterhin das zuverlässigste Land.
Das Problem liegt woanders. Die Staatsschulden steigen permanent an (die Obergrenze von 14,3 Billionen US-Dollar wurde bereits im Mai erreicht). Die US-Regierung steht kurz davor, nicht mehr die Zinsen bezahlen zu können. Wegen der US-Schuldenkrise und der Erschütterungen in Europa steigen die Kreditzinsen auf allen Finanzmärkten. Zudem verteuern sich die Kreditversicherungen. Auf den Börsen herrscht große Nervosität.
Alles zusammen kann zum Ausbruch einer neuen Finanzkrise führen, die mit einzelnen Erschütterungen des Marktes beginnt und sich immer weiter ausdehnt.
Die Stimmung in Europa bringt einen Artikel im britischen Nachrichtenmagazin „The Economist“ auf den Punkt. Dort wird Obamas Vorgehen als kompromissbereit und vernünftig beschrieben. Die Forderungen der Republikaner seien politische Spiele, bei denen der Ruf der USA aufs Spiel gesetzt werde.
Bislang sind keine Ideen zu Einsparungen geäußert worden – außer der Reduzierung der Sozialausgaben und Steuererhöhungen. Diese Sparmaßnahmen hatte Obama vorgeschlagen. Die Republikaner lehnen Steuererhöhungen ab und wollen die Haushaltsausgaben nur um zwei statt vier Billionen Dollar in den kommenden zehn Jahren kürzen.
Keine Heilung ohne Komplikationen
Den Europäern zufolge spielt sich im Weißen Haus keine Tragödie, sondern eine Farce ab: Die Finanz- und Wirtschaftswelt muss sich das politische Theater in Washington anschauen. Die Republikaner wollen Obama vor den Präsidentschaftswahlen 2012 in die Mangel nehmen. Warum muss sich die Welt den US-Schuldenstreit gebannt mitansehen?
Die USA sind keine Weltspitze, wenn es sich um die Staatsschulden und dem BIP dreht. Auf einer Liste des CIA stehen die USA mit 65 Prozent nur auf Platz 37; hinter Griechenland (144 Prozent), Island (123 Prozent), Frankreich (83 Prozent), Deutschland (78 Prozent) und Großbritannien. Spitzenreiter ist Japan mit 225,6 Prozent. Die CIA-Liste ist wohl einer der wenigen Rankings, bei denen Russland recht gut abschneidet. Es rangiert mit 9,5 Prozent auf Platz 123.
Zudem gehört Russland zu den führenden Kreditgebern der USA. Auf Platz eins steht China. Mit 1, 154 Billionen US-Dollar oder 25,8 Prozent der US-Staatsschulden ist Peking der Kreditgeber Nummer eins für die USA. Auf Platz zwei steht Japan mit 890,3 Milliarden. Insgesamt haben Tokio und Peking über 45,7 Prozent der US-Staatsanleihen gekauft. Russland hat Schuldenverschreibungen für 130,5 Milliarden US-Dollar (2,9 Prozent).
Doch die US-Staatsschulden gelten weiterhin als zuverlässig. Die US-Schatzbriefe immer noch liquide wie der US-Dollar. Die Ratingagentur Moody’s hat allerdings angedeutet, dass die USA sich auf eine Abwertung der Bonitätsnote einstellen müssen, falls die Bezahlung der Zinsen sich verzögert. Die USA würden dann automatisch aus der höchsten Bewertungskategorie fallen.
Es gibt noch Hoffnung, dass sich alles bis zum 2. August im Guten auflöst. Doch je mehr verstreicht, desto größer ist das Risiko, dass die US-Schuldenkrise eine Kettenreaktion auslöst.