„Schuld“ von Ferdinand von Schirach ist schuld – Deutscher Hörbuchpreis 2011 als bester Interpret geht an Burghart Klaußner

Nun aber ist der Schauspieler Burghart Klaußner dran. Hört man die Lesung, so kommt es einem vor, als ob die knappe kurze Art, in der sachlich von den heftigsten Emotionen berichtet wird, gar nicht anders sein könne. Als ob sozusagen dieser Vorleser mit der Stimme des Autors liest, dessen also, der uns diese menschlichen Verwicklungen gerade in den Kurven ihres Lebens serviert, in sprachlich exakter Form, nie im formalen Juristendeutsch, eher lakonisch, ja geradezu verdächtig kühl als verlängerter Arm, oder doch besser als Mund des Schriftstellers gewissermaßen. Wir dachten uns dabei, diese zurückhaltende Art des Vortrags intensiviert die Banalität des gelesenen Vorgangs genauso wie die emotionalen Höhepunkte in den Texten.

Die Jury geht aber über dieses, eine schon an und für sich gelungene Adaption beschreibendes Lob hinaus: "Mit kühler Präzision", so die Jury, verleihe Klaußner diesen Kurz-Dramen um Schuld und Sühne "eine ungeheure Kraft und Intensität, die über die literarische Vorlage noch hinausgeht und im Hörer lange nachwirkt." Und da nun wird dann doch der Schriftsteller im Strafverteidiger Ferdinand von Schirach mitausgezeichnet. Denn, was er von authentischen Fällen ausgehend, uns zu sagen hat, zeigt immer den Menschen in seinen Möglichkeiten. Daß er sich hätte entscheiden können, auch für das Gegenteil dessen, was er tat. Aber er liefert auch Unausweichlichkeiten mit, die uns zwischen den Zeilen deutlich machen, warum es so kommt, wie es kommt.

Dabei geht es nie nur um Verbrechen. Die mögen Ausgangspunkt sein für das literarische Personal, das von Schirach versammelt, aber sie sind nicht alles. Weder will er uns zu Kronzeugen aufrufen, daß es Umweltbedingungen der armen Täter waren, die diese zu solchen werden ließen. Und er will uns auch nicht dazu aufrufen, den deutschen Strafvollzug zu revolutionieren, wobei mehr als ein bißchen Reform schon drinnen ist, er will uns einfach das Menschengemachte an unserer eigenen Leben spiegeln, seien es die Taten voll Schuld oder die voll von Sühne.

Und manchmal ist es auch nur ein Dank an den im Gefängnis, der durch neue Zähne ausgestattet wird, der aber eigentlich im Gefängnis gar nicht sitzen müßte, nun aber, wie ihm die schöne junge Frau erzählt, dafür den frei herumlaufenden Schuldigen Vater werden läßt, ein Vater, der sie bei der Aufzucht des Kindes unterstützen wird. Das ist eine der berührendsten Geschichten, gerade weil die Ausweglosigkeit, in der sich Menschen fühlen, wenn ihr Leben aufs Nebengleis geriet, so unausweichlich scheint, wir aber wissen, daß es auch anders hätte kommen können.

So ist es eigentlich diese Spanne – hätte es anders kommen können, mußte es genau so ablaufen – die uns in jedem der Fälle von neuem berührt. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille, die von Schirach vorführt. Daneben gibt es soviel Komik, gibt es soviele skurrile Züge von Menschen, abweichende Verhaltensweisen, Verbrechermoral und Bürgerunmoral, daß man sich am besten wappnet, die Ohren aufzusperren, den Kopf dabei zu lassen und sein Herz aufzumachen, damit das Leben in „Schuld“ gelesen oder gehört werden kann.

Wie immer, wenn das möglich ist, war es uns ein Vergnügen, sowohl zu hören, wie auch zu lesen. Wir wissen inzwischen, ohne uns dafür schämen zu wollen, daß wir jeweils beim Hören Neues entdecken, obwohl wir doch schon gelesen hatten, im Umkehrschluß also auch beim Lesen irritiert sind, wenn etwas vorkommt, was bei der Lesung fehlte. Überprüft man das, stellt man fest, man selber war die Fehlstelle. Aber das gehört nun in den Bereich der Aufmerksamkeitsforschung, ja Hirnforschung, also in die Neurologie und ist eine läßliche Sünde, weder „Verbrechen“ von „Schuld“, wie die beiden bisherigen Bücher des Ferdinand von Schirach betitelt sind, für dessen Lesung des letzteren Burghart Klaußner nun den Deutschen Hörbuchpries 2011 erhielt.

Deshalb noch einmal zu Burghart Klaußner zurück. Ein guter und auch bekannter Schauspieler war er schon zuvor. Aber das Jahr 2009 läutete einen Preissegen für ihn ein, der mit dem Film „Das weiße Band“ verbunden ist, dessen Hauptrolle als Pastor er spielt, wofür er mit dem Preis der deutschen Filmkritik als bester Darsteller 2009 ausgezeichnet wurde. Es folgte für den Film die Goldene Palme von Cannes und die Oscar Nominierung für den besten ausländischen Kinofilm 2010. Und wenn man weiß, wie hochwertig längst die Lesungen auf CD geworden sind, ist dieser Lesepreis sicher ein gewaltiger.

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„Schuld“ von Ferdinand von Schirach, ungekürzt gelesen von Burghart Klaußner, 3 CD 216 Minuten, Osterwold audio 2010

Ferdinand von Schirach, Schuld, Piper Verlag 2010

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