Schuld und Sühne – Die Nato-Kriegsverbrechen gegen Jugoslawien dürfen nicht ungesühnt bleiben

NATO
NATO. Quelle: Pixabay, CCO-Public-Domain

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Am 24. März jährt sich zum zwanzigsten Mal der Beginn des Nato-Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Grund genug, erneut diesen Krieg zum Thema zu machen.

Wer bei Google am 17. März 2019, also genau eine Woche vor dem 20. Jahrestag des Angriffs der Nato auf die Bundesrepublik Jugoslawien, die Worte «20 Jahre, Nato, Jugoslawien» eingegeben hat, fand auf der ersten Seite bei der Rubrik «Alle» zwei Einträge von KenFM, zwei Einträge von RT Deutsch und jeweils einen Eintrag von Wikipedia, von komintern.at, barth-engelbarth.de, frankfurter-erklaerung.de und nachdenkseiten.de. Klickt man die Rubrik «News» an, so findet man auf der ersten Seite acht Einträge von RT Deutsch, einen Eintrag von Telepolis und einen von Sputnik Deutschland.

Kein offizielles Interesse am 24. März 1999

Einträge von sogenannten Mainstream-Medien gibt es auf den ersten Seiten nicht – und wenn man auf der Nato-Internetseite sucht, dann findet man unter dem «Event Kalender» Hinweise auf 20 Jahre Nato-Erweiterung am 18. März, auf ein Nato-Manöver zusammen mit Georgien am 18. März, auf ein Treffen der Nato-Außenminister am 3. April und für den 20. Mai auf eine Nato-Veranstaltung in Norwegen: «Nato und der Hohe Norden». – Kein Wort zum 24. März 1999.

Es ist ehrenwert (und ebenso wichtig), dass es in den 20 Jahre nach dem Angriff der Nato auf die Bundesrepublik Jugoslawien Menschen gegeben hat, die dieses Unrecht angeprangert haben. Die vielen Namen sollen hier nicht genannt werden. In Belgrad finden am kommenden Wochenende zwei große internationale Konferenzen zum Nato-Krieg statt.

Aber beim Rundblick fällt doch auf, wie wenig in den Nato-Staaten, wie wenig in Deutschland an diesen 24. März 1999 und an die dazugehörige Entscheidungs- und Ereigniskette erinnert werden soll. Ein Tag, den man als geschichtliche Zäsur bezeichnen muss – für Deutschland wohl am meisten.

Der Angriff war völkerrechtswidrig

Das erste Mal seit ihrer Gründung 1949 hatten die Regierungen aller Nato-Staaten beschlossen – also nicht nur die US-Regierung, von der man die Führung völkerrechtswidriger Kriege schon kannte –, ein Mitgliedsland der Vereinten Nationen mit Bombardierungen aus des Luft anzugreifen – ohne dass ein Nato-Staat selbst angegriffen worden war, ohne «eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung» gemäß Artikel 39 der Uno-Charta und ohne ein Mandat des Uno-Sicherheitsrates.

Der Angriff war völkerrechtswidrig – und für Deutschland auch verfassungswidrig. Die Bombardierungen kosteten nach Schätzungen rund 3500 Menschen das Leben, die meisten davon Zivilpersonen, rund 10000 wurden verletzt, die Anzahl der Opfer in Folge der radioaktiven Verseuchung lässt sich noch gar nicht abschätzen. Die unmittelbaren Kosten des Krieges wurden von einer Studie der deutschen Bundeswehr auf 45 Milliarden Deutsche Mark geschätzt: davon rund 26 Milliarden DM für Kriegszerstörungen in Jugoslawien. Schätzungen für die Folgekosten reichen von 60 bis 600 Milliarden DM.

Tatsachen, die heute belegbar sind

Zu den heute belegbaren Tatsachen gehört es,

  • dass die Begründung der Nato, mit ihren Bombardierungen eine von Serbien verursachte humanitäre Katastrophe verhindern zu wollen («humanitäre Intervention»), eine gezielte Propaganda-Lüge war; denn die Informationen darüber, dass es keine von Serben verursachte humanitäre Katastrophe gab und eine solche auch nicht drohte, lagen den zuständigen Stellen vor;
  • dass die Verhandlungen vor Kriegsbeginn keine echten Verhandlungen waren, sondern in ein Ultimatum an Serbien mündeten – von der Nato also der Krieg oder die völlige Unterwerfung Serbiens angestrebt wurde;
  • dass die russische Regierung, die bei den Verhandlungen vor Kriegsbeginn noch mit dabei war, nach dem endgültigen Kriegsbeschluss durch die Nato vollkommen übergangen wurde;

Kaum Rücksicht auf zivile Opfer

  • dass die Nato während des Krieges kaum noch Rücksicht auf zivile Opfer nahm und sogar gezielt Zivilpersonen bombardierte;
  • dass die Nato gezielt und auf lange Dauer angelegt serbische Infrastruktur und serbische Industrie zerstörte;
  • dass die Nato – im Wissen um die Folgen – Uranwaffen einsetzte und das angegriffene Land und auch die Gewässer dort radioaktiv verseuchte;
  • dass während des Krieges die konzertierte Nato-Kriegspropaganda von allen Mainstream-Medien in allen Nato-Staaten nahezu kritiklos übernommen wurde und den meisten Menschen in den Nato-Staaten ein vollkommen verzerrtes Bild der Realität vermittelt wurde;

Und das Ziel?

dass das eigentliche Ziel des Krieges die Herrschaft der Nato und speziell der USA über das gesamte ehemalige Jugoslawien und über ganz Südosteuropa sein sollte, gerichtet gegen einen möglichen russischen Einfluss dort.
Es ist nachvollziehbar, dass die Verantwortlichen von damals auch 20 Jahre später nicht an ihre Verbrechen erinnert werden wollen und die Wahrheit über diesen Krieg nicht die breite Öffentlichkeit erreichen soll.

Die Konsequenz: Eine Erosion von Rechtsstaat und Rechtsbewusstsein

Aber die bittere Konsequenz dieser Haltung ist eine fundamentale, kaum noch zu reparierende Erosion des Rechtsstaates und der Rechtsbewusstseins. Das heutige Fehlen einer ehrlichen und gleichwertigen öffentlichen Debattenkultur, ganz besonders auch in Deutschland, hat nicht zuletzt auch hier seinen Ursprung. Der Titel eines 2001 ausgestrahlten WDR-Dokumentarfilmes über den Jugoslawienkrieg 1999 und die deutsche Rolle dabei, «Es begann mit einer Lüge», hat sich in seiner Formulierung bitter bestätigt. Den Lügen der verantwortlichen Politiker, Militärs, Medien usw. rund um den Krieg 1999 folgten in den Folgejahren viele weitere Kriegslügen, und das Lügen hält bis heute an. Und da, wo die Lügen allzu offensichtlich geworden sind, wird versucht, die Wahrheit totzuschweigen. Man spricht nicht darüber … als wenn sich Probleme dadurch lösen ließen, dass man sie verdrängt.

Die Wahrheit muss auf den Tisch

Wenn eine Gesellschaft, wenn ein Staat, wenn eine Politik wie die deutsche wirklich genesen soll, dann muss die Wahrheit auf den Tisch, die ganze Wahrheit, und zwar ganz offiziell und für die breite Öffentlichkeit. Die damals Verantwortlichen Entscheidungsträger müssen zur Verantwortung gezogen, d.h. vor ein Gericht gestellt werden. Schwere Kriegsverbrechen verjähren nicht. Die Opfer des Krieges müssen, soweit das überhaupt möglich ist, entschädigt werden. Der angegriffene Staat hat ein Recht darauf, dass die Kosten des Krieges und dessen Folgekosten von den Kriegsverursachern getragen werden. Dafür müssen die damals beteiligten Nato-Staaten haften, denn in ihrem Namen haben die Kriegsverbrecher gehandelt. Man täusche sich nicht: Frieden ganz ohne Gerechtigkeit, das wird nicht funktionieren.

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Karl-Jürgen Müller
Karl-Jürgen Müller ist Lehrer in Deutschland. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde. Er lebt in der Schweizerischen Eidgenossenschaft und schätzt die direkte Demokratie und politische Kultur in der Schweiz sehr.