„Der sieht nicht besonders glücklich aus.“, bemerkt die kleine Tochter von Sawakos Freund und Chef. Alle hat es erwischt. Sogar den Gorilla im Zoo, von dem das Mädchen spricht. Jeder scheint frustriert im modernen Tokio: die Kinder in der Testgruppe der Spielzeugfabrik, die Kolleginnen auf Arbeit, die kleine Tochter. Ganz besonders frustriert ist Sawako. Es muss an der Wirtschaftskrise liegen, mutmaßen die Charaktere immer wieder. Ein Trost ist das nicht. Sawako hat gelernt, sich mit der allgemeinen, wirtschaftlichen und persönlichen Depression abzufinden. Ihre Vorgesetzten werfen ihr Grobheiten an den Kopf, die Kinder aus der Spielgruppe Spielzeug ans Schienbein: „Da kann man nichts machen.“ Wie ein Mantra äußert die junge Frau zu allem diesen Kommentar. Wie Ishii Yuya die allgemeine Resignation vor dem niederschmetternden Alltag inszeniert, macht „Sawako decides“ zu einem rabenschwarzen Vergnügen. Fast bleibt einem das Lachen im Hals stecken, so erstickend ist die Enge des beruflichen und privaten Trotts, in welchen die junge Frau sich verfangen hat. Kann man nichts gegen machen. Wirklich nichts dagegen tun kann man, dass Sawakos Vater schwer erkrankt ist. Auf Bitten ihres Onkels soll die junge Frau die Leitung der Krabbenfischerei ihres Vaters, den sie seit Jahren nicht gesehen hat, übernehmen. Lässt sich nicht ändern. In ihrem alten Heimatort erinnern sich ihre alten Bekannten allerdings an eine ganz andere Sawako. Durch die Konfrontation mit ihrer Vergangenheit erkennt Sawako, wie sie sich verändert hat. Kann man nichts machen? Ganz im Gegenteil.
Die in „Sawako decides“ in mentale Bewegungsunfähigkeit mündende Pragmatik ist keineswegs nur in der japanischen Gesellschaft spürbar. Es ist noch nicht lange her, da wurde anlässlich der Aufführung von Richard Strauß ´ “Die Fledermaus“ die tröstende Wirkung der wohl bekanntesten Zeilen der Operette gelobt: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist.“ Nur ist Sawako ganz und gar nicht glücklich. Allabendlich nuckelt sie sich an einer Bierdose nach der anderen in seelische Taubheit, wie ein Kleinkind, welches zur Beruhigung sein Fläschchen braucht. Ihre Unterdrückung äußert sich symbolisch, wenn sich sichtlich geknickt nach der kindlichen Spielzeugattacke durch die Stadt humpelt. Unter dem Mantel einer schwarzen Komödie ist „Kawa no soko kara konnichi wa“, so der Originaltitel des Films, eine bissige Gesellschaftssatire. Yuyas Film verkehrt das oft zitierte konservative Klischeebild der „rebellischen Jugend“ als sozialen Störfaktor in sein Gegenteil. Die junge Generation akzeptiert die ihr von der Gesellschaft zugewiesene Rolle widerstandslos. Nicht Zufriedenheit, sondern Duldsamkeit stehen hinter dem Mangel an Selbstbehauptung.
Die angestauten Aggressionen werden am nächst unteren in der sozial Hierarchie ausgelassen oder verdrängt. Ein Verhalten mit Tradition, wie das Schicksal von Sawakos Vater andeutet: Leberzirrose. Bei ihrem anfänglichen Bierkonsum erwartet eine solche auch seine Tochter. Wie war das bei Strauß? „Champagner, der Erste…“ Wenigstens kein Dosenbier. Tröstender als Alkohol wirkt „Sawako decides“ auf der Berlinale.
Titel: Kawa no soko kara konnichi wa – Sawako decides
Land/ Jahr: Japan 2009
Genre: Tragikkomödie
Regie und Drehbuch: Ishii Yuya
Darsteller: Hikari Mitsushima, Masashi Endo, Kira Aihara, Kotaro Shiga
Laufzeit: 112 Minuten
Bewertung: ***