Stralsund, Mukrena, Deutschland (Weltexpress). Völlig untypisch ist es, wie er diesmal nach Stralsund gekommen ist: per Auto. Sonst steuert Kapitän Peter Grunewald nämlich sein Kabinenmotorschiff MS „Sans Souci“ in die Hansestadt.
Zwischen April und November ist das vorpommersche Revier mit Starthafen Berlin-Tegel normalerweise sein Ziel. „Was ist aber schon in diesen Zeiten noch normal?“, fragt Grunewald genervt, der sich von seinem sachsen-anhaltinischen Heimathafen Mukrena an der Saale an den Sund aufgemacht hat. „Ich muss mir doch alle Bedingungen vor Ort selber ansehen und danach planen“, erklärt er seine Dienstreise in den Norden. Er hoffe, „dass mit dem Umbau des Hafens auch stärkere Landstromanlagen installiert werden, damit wir nicht dieseln müssen“. Da habe es schon mal die eine oder andere Beschwerde gegeben, obwohl die Frachter im Seehafen auch keinen Landstromanschluss haben und ihre Energie wenig umweltfreundlich selbst erzeugen müssen.
Sein Schiff heißt zwar „Sans Souci“ – ohne Sorgen – , doch er hat genug davon, wenn er an den Ausfall infolge der Corona-Epedemie denkt: „12 Reisen konnten wir in die Tonne kloppen“, gerät der Hüne, sonst die Ruhe selbst, aus dem Häuschen. Nicht genug damit: „Auf die vollmundig von der Politik zugesagten Corona-Hilfe warten wir bis heute vergeblich“. Viel Geld sei ihm bislang durch die Lappen gegangen. Allein sechs Frühjahrsreisen von Berlin nach Stralsund und umgekehrt mussten gestrichen werden. „Dabei haben wir schon 2020 mehrere Kreuzfahrten erfolgreich unter strengen Hygieneauflagen durchgeführt. Da ist niemand infiziert worden“, schüttelt der erfahrene Kapitän den Kopf und fragt sich: „Wozu waren diese Investitionen denn nütze, wenn sie von der Politik nicht akzeptiert werden?!“ In der Gastronomie und Hotellerie an Land sei es ja ganz genauso. „Das ist nicht nur verdammt ärgerlich, sondern auch geradezu existenzvernichtend!“
Infolge der unsicheren Lage in Mecklenburg-Vorpommern hat er den ersten Anlauf für Stralsund in den September verlegen müssen. Bei günstiger Entwicklung möglicherweise schon früher. „Die Fahrt durch andere Bundesländer wie Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg dagegen ist mit unserem Konzept völlig unproblematisch“.
Alles sehr vielversprechend
Glück im Unglück: „Die unfreiwillige Liegezeit in Magdeburg-Rothensee haben wir insofern optimal nutzen können, als wir das Schiff weitgehend überholen konnten“. Das sei wichtig deshalb, „damit wir dann den Rest des Jahres und auch bis Anfang 2022 ohne Winterpause komplett durchfahren können, was wiederum Geld in die leeren Kassen spült“.
Sorgen macht sich Grunewald, 1966 an der Saale geboren, auch über den Zustand der deutschen Wasserstraßen. Von 1983 bis 1985 erlernte er das Schlosserhandwerk, und von 1986 bis 1989 absolvierte er eine Matrosenlehre. 1990 erwarb er sein erstes Patent und befuhr dabei Elbe, Havel, Oder, Weser, untere Ems und Rhein. Von 1993 bis 1998 war er Schiffsführer auf Tankern und machte sich 1999 mit dem MTS „Ulrike“ selbständig. 2007 kaufte er das Kabinenmotorschiff MS „Sans Souci“ und befährt seitdem damit ganzjährig die umfangreichen europäischen Reviere. Zwischen Frühjahr und Herbst pendelt das Schiff zwischen Kiel, Hamburg, Berlin, Stettin, Stralsund, Rügen, Hiddensee, Zingst und Peene.
Auf die Frage, in welchem Zustand denn die deutschen Wasserstraßen früher waren, z.B. auch in der DDR, meint Grunewald: „Die Wasserstraßen wurden kontinuierlich auf dem Stand von1939 erhalten, zum Beispiel durch Baggerarbeiten. Neu gebaut wurde 1951/52 aus politischen Gründen nur der Havelkanal nordwestlich um West-Berlin. Dadurch sollte die Stadt umgangen werden“.
Was denn seitdem anders geworden sei? „Anfangs erschien alles sehr vielversprechend“, meint er: Neubau der Elbüberführung, Ausbau des Mittellandkanals, Elbe-Havel-Kanal, Betonnung auf der Elbe, Neubau Schleuse Uelzen, der dann allerdings auch viel länger dauerte als geplant.
„Jetzt ist es aus meiner Sicht und der Sicht vieler Kollegen so, dass niemand den Mut hat, etwas zu entscheiden. Die größte Aufgabe der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung ist es anscheinend, sich selber zu verwalten. Eine ´wichtige´ Arbeit, so erscheint es uns jedenfalls von Bord aus, ist es, das Gras an den Schildern zu mähen“. Aber alles werde erst mal umstrukturiert und „verbessert“ sowie Personal abgebaut, so dass aktuell schon zu wenig Kräfte für den Betrieb von Schleusen vorhanden seien. Dadurch fallen enorm kostenintensive Wartezeiten an. Viele Schleusen werden regelrecht heruntergewirtschaftet.
Krönung sei allerdings die neue Schleuse Wusterwitz, am Elbe-Havel-Kanal östlich von Brandenburg, die noch am Tag der Eröffnung wegen Betonkrebs gesperrt wurde, die alte ist jedoch für die nächsten Jahre modernisiert worden.
Sicherheit und Leichtigkeit
Wie fällt der Vergleich z. B. mit den schifffahrtsfreundlichen Niederlanden aus? „Den Vergleich darf man gar nicht wagen, denn dort herrscht ein anderes System: auf der Rijkswaterstaat kontrollieren Fremdfirmen Schleusen- und Wasserstraßen und bringen die Fahrwassertonnen aus und ein. Die Schifffahrtsämter sorgen mit großen Bauhöfen und modernster Technik für einen reibungslosen Betrieb der Wasserstraßen“.
Welche Folgen ergeben sich daraus? „Das sind immer mehr nicht funktionierende Wasserbauwerke“. Dadurch falle in vielen Revieren oft die komplette Schifffahrt aus, so dass Fahrpläne nicht einhalten werden können und für Busse und Alternativ-Ausflüge erheblich mehr berappt werden müsse. „Von unzufriedenen Fahrgästen mal ganz abgesehen. Wenn Reisen ausfallen, dann immer gleich mehrere“.
Und wie reagiert die Wasserstraßenverwaltung darauf? „Bis jetzt merkt man keinerlei Veränderungen, denn spürbare Entscheidungen fallen ja nicht. Wir alle erwarten aber, dass sich die Behörden auf ihre Kernaufgaben konzentrieren wie in den Niederlanden. Die bringen ihre Wasserstraßen dauerhaft in Ordnung getreu dem Leitsatz von der „Sicherheit und Leichtigkeit“ des Schiffsverkehrs.
Welche Ursachen hat denn diese unbefriedigende Situation? Das liege möglicherweise an den ständigen Umstrukturierungen, meint der Kapitän, nicht an Corona. Die bringen für Mitarbeiter eine Menge Ungewissheit in Bezug auf ihre Zukunft, so dass es auch schwierig sei, dafür Nachwuchs zu generieren. „Viele Kollegen wollen zwar Gutes für die Schifffahrt tun, werden aber oftmals von oben ausgebremst“. Das liege auch an teilweise unmöglichen Dienstvorschriften und Arbeitsplatzbeschreibungen, von denen nicht abgewichen werden darf. Auf der „Sans Souci“ zum Beispiel seien die Arbeitsverträge so gestaltet, dass das Personal universell eingesetzt werden könne.
Grunewald zieht aus diesen Gedanken ein klares Fazit: „Wir als Schiffer müssen für die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung mehr Unterstützung vom Bund fordern, denn der ist letztendlich für die katastrophale Gesamtsituation der deutschen Wasserstraßen verantwortlich. Am Geld kann es meiner Meinung nach nicht liegen, denn die Steuertöpfe quellen über, werden allerdings nicht ausreichend infrastukturfördernd eingesetzt“. Zumal Binnenschifffahrt reichlich zum Umweltschutz beiträgt, indem Transporte von der Straße/Schiene auf die kostengünstigeren Wasserwege verlagert werden.