Saboteure in XXXXL – Der zauberhafte neue Roman von Amélie Nothomb

© Diogenes

Melvin Mapple, ein amerikanischer Soldat im Irak, schreibt Briefe an die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb. Er berichtet aus seinem Leben, vom Krieg und davon, dass die Grauen desselben ihm und einigen anderen nicht den Appetit verschlagen. Sondern umgekehrt. Er muss essen. „Man wird fett wie ein Schwein“. Bald wiegt er 180 Kilo und resümiert, dass er jedes Jahr im Irak 17 Kilo zugenommen hat. Die einhundert Kilo Gewichtszunahme nimmt er als eigenständige Person wahr, er nennt sie Scheherezade, deren süßes Gewicht er nachts auf seinem Körper liegend spürt. Mit der er glücklich ist, die er liebt.

Solche Geständnisse müssen eine Schriftstellerin interessieren und wirklich, Amélie Nothomb beginnt immer mehr in diesen Briefwechsel zu investieren. Nebenbei charakterisiert sie für uns Leser das Briefschreiben allgemein, erläutert ihre Menschenscheu und wartet auf den nächsten Brief des fetten Soldaten. „Mit der Post ist es wie mit allen Dingen: Das Übermaß ist ebenso unerträglich wie der Mangel.“ Und tiefer gehend enthüllt Nothomb den Ursprung ihres Briefeschreibens; „Briefe schreibe ich schon viel länger als Bücher, und ich wäre wahrscheinlich keine Schriftstellerin geworden, wenn ich nicht eine so emsige Briefeschreiberin gewesen wäre. Schon mit sechs verfasste ich”¦“

Was? Wie es weitergeht? Die Schriftstellerin wartet noch ein wenig und der dicke Soldat antwortet nicht mehr. Nothomb wundert sich und forscht nach. Auf Seite 108 des nur 142 schmalen Romans erfolgt eine verblüffende Wendung! Spätestens an diesem Punkt gerät das Gefüge des Leserpost beantwortenden Autorenbildes ins Wanken, hat sie sich das alles nur ausgedacht? Vielleicht, auf jeden Fall ist der Sog ihres feinen kleinen Romans, der nur ein Jahr nach ihrem letzten Roman „Den Vater töten“ erscheint, betörend. Die Auflösung überraschend und hinreißend. Eine phantasievolle Parodie auf die Schwermut von Posttraumatischen Belastungsstörungen, eine Gratwanderung des menschlichen Seins. So etwas wie ein Leben. Grandios!

Amélie Nothomb, So etwas wie ein Leben, Roman, Aus dem Französischen von Brigitte Große, 142 Seiten, Diogenes Verlag, März 2013, 19,90 €

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