Russlands Außenminister Sergei Lawrow über Kriegsvorbereitungen zum Frieden

Sergei Lawrow. Quelle: US Department of State

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Man muss nur die Zeitungen in diesen Tagen aufschlagen, um die historische Dimension zu begreifen, in der wir uns wieder einmal befinden. Da wird der Herr Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von einem in Berlin akkreditierten Botschafter, dessen Land offen mit Nationalsozialisten zusammenarbeitet, deshalb mit Schmäh überzogen, weil an die Folgen des Krieges des Deutschen Reiches gegen die Sowjetunion erinnert worden ist. Der Herr Bundespräsident hat dies so angesprochen, wie es in Übereinstimmung mit den historischen Gegebenheiten gewesen ist. Dafür gibt es einen mehr als wichtigen Grund, angemessen und durchaus überfällig, daran zu erinnern.

In diesem Jahr vor achtzig Jahren und zwar am 22. Juni 1941, griff das Deutsche Reich die Sowjetunion an. Der Blutzoll überstieg alles das, was man sich bis dahin vorstellen konnte. Was bedeutet „Verantwortung“, wenn nicht diese Tatsache und die dauerhafte Konsequenz für eine deutsche Politik, wenn diese sich als „deutsche Politik“ überhaupt artikulieren kann. Jeder hält es für selbstverständlich, wenn gegenüber dem Staat Israel die Konsequenz aus der Vergangenheit dauerhaft verpflichtend ist. Umso unverständlicher ist es, wenn gegenüber Russland und den Nachfolgestaaten der damaligen Sowjetunion eine Politik seit fast zehn Jahren betrieben wird, die dieser Verantwortung Hohn spricht. Dabei sind es gerade „Moskau“ und vor allem die Menschen in Russland, die in ungewöhnlicher und geradezu beschämend offener und freundlicher Weise auf Deutsche und Deutschland zugehen. Es ist eine Schande, wie seit Anfang des letzten Jahrzehntes das offizielle Deutschland darauf antwortet.

Konsequenzen ziehen? Wie anders soll das aussehen und gestaltet werden, als durch die nachvollziehbare deutsche Politik? Jeder, der es wissen will, kann die deutsche und westliche Politik gegenüber die ausgehende Sowjetunion und das heutige Russland beurteilen. Die Wiedervereinigung Deutschlands stand im Frühjahr 1990 immer noch auf der Kippe, als in einem inzwischen veröffentlichtem Telefonat zwischen dem damaligen amerikanischen Präsidenten George H. W. Bush (RP) und Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) beide der Ansicht gewesen sind, dass die NATO nicht länger das geeignete Mittel sein könne, europäische Sicherheit mit zu gewährleisten. Wochen später bestand das NATO-Gipfeltreffen im Sommer 1990 darauf, die NATO im Charakter dadurch zu verändern, dass auf die militärische Komponente verzichtet werden sollte. Auf diese Weise wollten Washington, Bonn und die anderen kooperative Sicherheit unter Einschluss von Moskau in Europa und darüber hinaus gewährleisten. Präsident Bush war noch im Amt, als der „tiefe amerikanische Staat“ unter Führung von Paul Wolfowitz und anderen daran ging, die Schalter wieder auf Konfrontation gegenüber Moskau umzulegen.

Konsequenzen ziehen? Auf Dauer das Verbot einer deutschen Beteiligung an jedwedem Angriffskrieg zu berücksichtigen, ist geradezu die oberste Verpflichtung. Es kann nicht angehen, oberste Verpflichtungen deutscher Politik zu ignorieren, wenn diejenigen, die über den Zweiten Weltkrieg ihre Ordnungsvorstellungen umgesetzt haben, aus Gründen eines Zwangsbündnisses von uns Deutschen das genaue Gegenteil zu verlangen. Der Krieg gegen Jugoslawien war die Reifeprüfung, die Deutschland und die damalige Regierung nicht bestanden haben. Da helfen alle Bemühungen von NATO und EU nicht, die Geschichte umzuschreiben. Es war im Frühjahr 1999 ein ordinärer Angriffskrieg gegen Jugoslawien, für den das Trio Gerhard Schröder (SPD), Joseph Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) und Rudolf Scharping (SPD) die Angriffsbefehle gab.

Konsequenzen ziehen? Man muss sich am Samstag, den 13. Februar 2021, nur in der Süddeutschen Zeitung den Text von Herrn Durs Grünbein vornehmen, dann weiß man, was in Deutschland nottut. Es ist nicht nur der Umstand der selektiven Geschichtsbetrachtung für die Zeit zwischen 1933 und 1945, die Herr Grünbein zu Recht beklagt. Es ist auch der Umstand, dass in Deutschland die Zeitabschnitte zwischen 1919 und 1933 oder zwischen 1870 und 1914 offiziell geradezu ausgeblendet werden. Alexander Sosnowski und ich haben in dem Sachbuch „Und immer wieder Versailles – Ein Jahrhundert im Brennglas“ auf die verhängnisvolle Rolle von „Versailles 1919“ hingewiesen. Und das in zweifacher Hinsicht: selbst die alliierten Teilnehmer der Konferenz in Versailles gingen davon aus, dass damit die Grundlage für den nächsten Krieg eine Generation später gelegt wurde. Außen-, wirtschafts- und sozialpolitisch war diese Zwangsläufigkeit in Versailles „klug“ konzipiert, um dann etwas später durch die amerikanische Regierung in der Unterstützung für den geradezu politisch abstürzenden Adolf Hitler (NSDAP) innenpolitisch in Deutschland die Dinge in Bewegung zu bringen. Als Walter Rathenau (DDP) – mit seiner Kooperationspolitik mit Moskau – ermordet wurde, päppelte man Herrn Hitler, antirussisch und antisemitisch, geradezu auf, um innenpolitisch das hinzukriegen, was in Versailles auf den Weg gebracht worden war. Ohne Versailles kein Herr Hitler und ohne Herrn Hitler kein Krieg 1939 gegen Polen.

Konsequenzen ziehen? Es waren, mit einem zeitlichen Abstand von einem halben Jahr, vor zwei Jahren die Präsidenten von Russland und Frankreich, Waldimir Putin (Geeintes Russland) und Emmanuel Macron (Die Republik in Bewegung!), die auf diese Tatsache geradezu spektakulär aufmerksam gemacht haben, um in Deutschland selbst nur staatliche Ignoranz zu ernten. Was ist der Grund? Man kann es in einem Land wie Deutschland nur vermuten. Nur durch das aus Berlin aufgezwungene Geschichtsbild kann man das deutsche Volk an die Kandare nehmen, wenn es darum geht, gegen Russland wieder im Interesse derjenigen vorzugehen, die sich seit Jahr und Tag öffentlich vernehmen lassen. Danach ist in Washington seit der Gründung des Deutschen Reiches am 18. Januar 1871 alles unternommen worden, eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland zu hintertreiben. Wer heute die NATO und EU-Politik gegen Russland mitmacht, darf die historischen Abläufe offenbar in Deutschland deshalb nicht kennen, weil er sich dann dem neuen Verhängnis verweigern würde.

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Willy Wimmer
Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung a.D. Von 1994 bis 2000 war Willy Wimmer Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).