Die von Regina Ziegler produzierte Serie, die aufgrund des Drehbuches von Annette Hess von Friedemann Fromm verfilmt wurde, ist inhaltlich wie von den Schauspielerleistungen her ein Glücksfall. Es begann mit Julia, der Tochter der regimekritischen Sängerin Dunja Hausmann, die von Hannah Herzsprung und Katrin Saß auf berührende Weise verkörpert werden, weil zwischen beiden eine Offenheit herrscht, die die gegenseitige tiefe Liebe genauso zeigt, wie die Zwistigkeiten infolge des Konflikts, in den Julia stürzt, als sie sich in den Volkspolizisten Martin Kupfer verliebt. Diesen stellt Florian Lukas als aufrechten, strebsamen, wahrheitsliebenden und verliebten Mann dar, der – sehr realistisch für die DDR – eine geschiedene Ehefrau und siebenjährige Tochter hat. Vor allem aber einen Vater. Dieser, Hans Kupfer, dargestellt von Uwe Kockisch, der endlich einmal nicht den Leonschen Commissario aus Venedig geben muß, aber die Zuschauer davon erst einmal loslösen muß, dieser Vater war in Jugendjahren nicht nur verliebt in Julias Mutter, sondern „hatte was mit ihr“, wovon auch – unbesprochen – Mutter Marlene Kupfer, ebenfalls sehr eindrucksvoll Ruth Reinecke, genauso weiß und auch, daß diese Frau die Liebe des Lebens ihres Mannes ist, auch wenn die beiden Betroffenen das nicht wissen oder erkennen wollen.
Julia, die also einer Dissidentenfamilie entstammt und Martin, der an dem neuen familiären sozialistischen Bürgertum der DDR keine Freude hat, sind sich im Kern ähnlich und wollen im privaten Glück den politischen Unbilden entgehen, zumal die Schwangerschaft von Julia auch die einer Ehe widerstrebenden jeweiligen Eltern sanfter stimmt. Die eigentlichen Kontrahenten sind die auch die Realitäten der DDR widerspiegelnden Brüder Martin und Falk Kupfer – letzterem gibt Jörg Hartmann die geradezu unheimlich Gestalt des kalten, selbst auf Kosten seines Bruders karrieresüchtigen und egoistischen Aufsteigers und als Stasiintrigant die Menschen Benutzende, wie dann zärtlichen Vater. In der vorerst letzten Sendung entsteht eine tolle dramaturgische Ausgangslage, in der jeder der Brüder den anderen in der Hand hat, weil jeder plötzlich eine Leiche im Keller hat, für die die beiden zugehhörigen Frauen gesorgt haben.
Vera Kupfer, die Frau von Falk und psychisch angeschlagen wie suchtgefährdet, hat unter Alkohol einen Mann zum Krüppel gefahren, ohne anzuhalten und davon zu wissen, was niemand mitbekommt, nur Bruder Martin dienstlich ermittelt hat, der sie nun zur Selbstanzeige auffordert, damit er das nicht selber tun muß. Julia dagegen will die staatliche Willkür gegen ihre Mutter, der nach Totalüberwachung nun auch die Entmündigung angedroht ist, einem Westjournalisten offenbaren, wovon Falk erfährt, weil er Julias zuvor liebevolle Kollegin durch Intrige zum Bespitzeln verführte.
An diesem Punkt zeigt diese Familiensaga, wie vielfältig und mit welchen bunten Farben sie gestrickt ist, denn die Dramaturgie bietet dem Zuschauer immer wieder die Einsicht ins Geschehen, demnach der Zuschauer schon früh ahnt, was sich danach als Ereignis ergibt. So im Fall der beiden Brüder, die sich gegenseitig in der Hand haben. Diese Pattsituation löst schon Falks Frau Vera, die den von ihr Überfahrenen in der Klinik besucht. Aber auch hier zeigt sich die Qualität der Sendung, da diese Szene nur begonnen, aber nicht weiter ausgeführt wird. Immer wieder langt es, den Beginn zu erleben, der Zuschauer vervollständigt die Handlung und dadurch gewinnt die Geschichte an Tempo und hat vor allem den Zuschauer zum Komplizen gemacht, der immer wieder sich bestätigt fühlt.
Die eigentliche Heldin des Epos, die von Katrin Saß als so widerspenstige und aufbrausende wie mütterlich liebevolle Dissidentin hinreißend gespielt wird, kommt im sechsten Teil etwas zu kurz, hat aber dafür die Schlußpointe. Denn Falk Kupfer, der seinen Aufstieg nun groß feiert, hat in der neuen Rolle generös Julias Mutter als Brecht-Sängerin – möglichst mit der Seeräuber-Jenny – angeheuert. Diese allerdings verdirbt den Brei und singt das verbotene Lied „Jemand hat etwas an die Wand geschrieben”¦was rettet die Welt“, was einerseits atemlose Stille auslöst und hektische innere Aktivitäten von Falk, seinem Vorgesetzten sowie seinem Vater, der anschließend verkündet, Dunja Haussmann nach Hause zu bringen.
Während seine Frau weint, sieht man in der nächsten Einstellung beide im Auto in einem Waldstück stehen, wo sie einst glücklich waren. Das ist alles, aber es ist viel. Es zeigt nämlich, daß auch deutsche Fernsehspiele es heute aushalten, einen offenen Schluß zu wagen. Denn weder sagt das Weinen der Ehefrau wirklich etwas über den Weitergang der Ehe, noch das traute Zusammensein von Dunja und im Auto etwas über deren Ende aus; der Besuch Veras beim Gelähmten deutet auch nur an, nur für Martin und Julia scheint nach dem letzten Streit und Auseinandergehen und dem Zurückkommen von Martin – auch aufgrund der Mahnung des Vaters – die gemeinsame Zukunft klar. Aber auch dies wird nicht als Happy End inszeniert, sondern unaufdringlich erzählt.
Staunend kann man registrieren, daß eine eindringliche und souveräne Gestaltung der achtziger Jahre der DDR gelungen ist, die sowohl deren Wärme für nicht wenige, wie auch die Kälte für zu viele in Spielszenen zeigt, die kein Politdrama sind, aber auch kein Familienschmus, sondern eine Verquickung von privatem, gesellschaftlichen und politischen Leben, wie im „richtigen Leben“ also. Und das im deutschen Fernsehen!
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Darsteller: Martin Kupfer: Florian Lukas, Julia Hausmann: Hannah Herzsprung, Hans Kupfer: Uwe Kockisch, Dunja Hausmann: Katrin Sass, Marlene Kupfer: Ruth Reinecke, Falk Kupfer: Jörg Hartmann, Vera Kupfer: Anna Loos, Peter Görlitz: Stephan Grossmann, Major Gefiel: Sven Lehmann, Marion Grambow: Alma Leiberg, Robert Schyder: Steffen Groth, Roman Kupfer: Jonas Hämmerle, Lisa Grambow: Chantal Hourticolon, Generalleutnant Gaucke: Hansjürgen Hürrig, Moni Schrader: Christina Große, Christine Jeroch: Gitta Schweighöfer, Armin Prieß: Bernhard Piesk, Roland Einrauch: Volker Ranisch, Major Bösner: Marko Bräutigam, Sekretärin von Hans: Judith von Radetzky.
Stab: Regie: Friedemann Fromm, Drehbuch: Annette Hess, Kamera: Michael Wiesweg, Musik: Stefan Mertin, Martin Hornung.