Rettungsboote und glückliche Passagiere – Große Frachter-Erlebnisse mit der kleinen „Fredo“

MS FREDO trägt fünf von ihnen an Deck und drei im Laderaum. Kapitän Willem Blanck sieht das anders: »Eine saubere, gewinnbringende Ladung«, freut er sich. Die beiden Passagiere jedoch sind glücklich, dass sie diesen spektakulären Transport erleben dürfen: von der Hatecke-Werft in Krautsand an der Unterelbe nördlich von Hamburg zur Meyer-Werft nach Papenburg an der Ems.

Die gelben 15 Meter langen, zehn Tonnen schweren und 270 Passagiere fassenden Boote – insgesamt 16 in zwei Fuhren – sind bestimmt für das mit 130.000 Tonnen bei 340 Meter Länge größte je in Deutschland gebaute Passagierschiff, die DISNEY FANTASY.

Ostfriesischer Humor

FREDO tastet sich durch pottendicken Nebel elbabwärts. »Zum Glück nix los heute«, freuen sich die Brüder. Und wir uns auf das Abendessen: Philippino-Smutje Philipp serviert Rouladen mit Salzkartoffeln, Sauce und Rotkraut, als Nachtisch Zitronencreme. »Kochen wie bei Muttern«, erklärt Willem, »das haben wir ihm beigebracht«.

Die Nordsee gibt sich bleiern, aber mit nur zwei Seemeilen Sicht. Die Ostfriesischen Inseln werden im (Passagiers-)Tiefschlaf passiert, während sich Bernd und Willem alle sechs Stunden abwechseln und mit viel Kaffee und Zigaretten wachhalten.

Frühstücksblick: Borkum in gedämpftem Winterlicht an Backbord. Nur der Leuchtturm blitzt seine Kennung hell herüber.

Emden verhüllt sich im Nebel. Als um 12 Uhr das Emssperrwerk passiert wird, fragt Uli zweifelnd: »Durch dieses Nadelöhr passen die Riesenpötte von Meyer?« Vor der berüchtigten Eisenbahnbrücke von Weener gerät er gänzlich aus der Fassung: »Da passen wir ja mit unserer FREDO kaum durch!« Im trüb-grauen Ems-Kielwasser verquirlen Fragezeichen.

Der Schleusenwärter von Papenburg zeigt ostfriesischen Humor: »Ihr müsst ja einen vorsichtigen Kapitän haben – bei so vielen Rettungsbooten. Die beiden Blancks grinsen nur über so viel Aufmerksamkeit und konzentrieren sich auf das Drehmanöver im Werfthafen.

Staunen und Stolz

Während MS FREDO seine millionenschwere 90-Tonnen-Ladung in drei Stunden per Kran an der werfteigenen Pier löscht, genehmigt Peter Hackmann, Sprecher der Werft, sogar eine Werftbesichtigung. Bis zum Dach der 80 Meter hohen Schiffbauhalle reichen die Masten der AidaMAR und »unserer« DISNEY FANTASY.

Man muss sich schon den Hals ausrenken, um nach oben zu schauen – und mit offenem Mund zu staunen. »Unfassbar!«, fällt Uli nur dazu ein, während er unter dem weit ausladenden Steven der FANTASYmit ihrem gelben Mickey-Mouse-Logo hindurchgeht. Die FREDO -Crew ist stolz, dass ihr nur 83 Meter langer 1.665-Tonner mit dem Transport der leuchtend gelben Hatecke-Sicherheitsflotte zur Ausrüstung des Superschiffes beiträgt. Willem verkündet, dass »wir genügend Zeit haben und über Nacht an der Pier liegenbleiben«. In der Seemannssprache heißt das eine Bauernnacht. Wunderbar für ihn, denn im Fernsehen soll heute Abend das Länderspiel Deutschland-Holland laufen. Wir fahren per Bus Downtown Papenburg, um die lokale Gastronomie samt Bier zu testen. Ein schmuckes Städtchen, wie wir einhellig feststellen. Ebenso wie Weener, wohin uns Hartmut, ein alter Bekannter, fährt. Beim »Griechen« gibt ´s Souflaki satt und herbes ostfriesisches Pils.

Voll bis unter die Halskrause

Sieben Uhr früh: »Leinen los!« Kurs Unterweser. In 22 Stunden Nordsee- und Weserfahrt steuert FREDO den geschäftigen Schüttguthafen an. Um fünf Uhr früh kann Willem ins Schiffstagebuch schreiben: »Fest in Brake« und sich nach sechs Stunden nächtlicher Revierfahrt endlich in die Koje legen. Draußen wird es staubig, als der Rüssel eines Speichers die ersten Tonnen Futtermittel in Form von Rübenschnitzel-Pellets in den Laderaum pustet.

Nach fünfeinhalb Stunden – für einen Stadtrundgang samt kleinerem Einkauf hat es gut gereicht – heißt es »Luken dicht!« Mit 1.600 Tonnen ist FREDO voll bis unter die Halskrause. Bestimmungshafen: Horsens südlich von Aarhus im dänischen Jütland.

Tagfahrt weserabwärts an Bremerhaven und seinem brummenden Containerterminal vorbei. Auf der FREDO kommen wir uns vor wie auf einem Rettungsboot – hat die vorige Ladung vielleicht abgefärbt? – gegen die 350 Meter langen Blechkisten-Weltmeister.

Die Kugelbake, das schwarze hölzerne Dreibein mit dem Ball obendrauf, Cuxhavens Wahrzeichen, wird zum Greifen nahe passiert.

Wochenendvernügen Dänemark

Abends Einlaufen in die Schleuse Brunsbüttel. Nachts rutscht FREDO ohne Lotsen – »den brauchen wir als Freifahrer nicht«, sagt Willem, »denn als geprüfter Vielfahrer bin ich befreit davon – durch den »Graben«. So nennen Seeleute ein bisschen herablassend den Nord-Ostsee-Kanal Zum Frühstück präsentiert sich Kiel.

Nachmittags schlängelt sich FREDO durch die idyllische Inselwelt der »dänischen Südsee«. Steil- und Flachküsten, kuschelige Bauernhöfe und Wälder ziehen wie ein Film an beiden Seiten vorüber. Die große Hafenstadt Fredericia bringt da etwas Abwechslung, als ein Großtanker von mehreren Schleppern an die Ölpier gedrückt wird. Um 20 Uhr fädelt sich FREDO durch die schmale Zufahrt in den Stadthafen von Horsens. Feierabend und erste Ortserkundung. Dänische Gemütlichkeit prägt die weihnachtlich herausgeputzte Altstadt.

Während sich FREDOs Rübenschnitzel ein riesiger Greifer packt, packen wir die Bordfahrräder an Land und strampeln los. Nicht ohne uns vorher im Rathaus Gratis-Umgebunskarten besorgt zu haben. Wir sind in dieser touristenunfreundlichen Jahreszeit allein und genießen das Auf und Ab der hügeligen Moränenlandschaft aus der letzten Eiszeit mit ihren Seen, Weiden, adretten Gehöften und weiß gekalkten Kirchen.

Willem und Bernd Blanck sind übers Wochenende nach Hause gefahren – mit ihren Autos, die sie in Blechgaragen auf der Luke verborgen hatten. Wir haben viel Zeit, uns umzuschauen. Sogar per Zug ins quirlige, nahe Aarhus.

Knatternder Heimathafen-Gruß

Sonntagabend ist die Crew wieder komplett. Bis mittags wird gelöscht und dann heißt es: Kurs Heimathafen – durch den Grönsund zwischen Falster und Mön hindurch, im Nachtsprung über die Ostsee, an Hiddensee vorbei bis zum Lotsen. Der steigt um fünf Uhr früh über und berät – diesmal Pflicht wegen Nacht und Tiefgang – den Kapitän während der Fahrt durch die tückische Nordansteuerung bis an den vorgesehenen Liegeplatz in der Hansestadt Stralsund. Die Masten des Traditionsseglers GORCH FOCK (I) und das weiße Museumsgebäude des Ozeaneums grüßen herüber. FREDOs hansestädtisch rote Heimathafenflagge mit weißem Pfeil knattert im Morgenwind zurück. Nur das Typhon will Willem, der hier gern urlaubt, nicht losdröhnen lassen: »Wir könnten ja die Leute aufwecken«.

750 Seemeilen stehen auf dem Schiffs-»Tacho«, doch es geht weiter: Vorpommersches Getreide für das am Weser-Nebenfluss Hunte liegende Oldenburg wird geladen. Der Autor ist froh, nach einer Frachterreise endlich mal nur in fünf Minuten zu Hause zu sein, seine Frau zu umarmen und mit ihr wieder gemeinsam zu frühstücken.

Und die DISNEY FANTASY? Sie hat im Januar 2012 erstmals den Atlantik überquert zu ihrem Kreuzfahrt-Einsatzgebiet zwischen USA- und Karibik-Häfen. Wie Signale leuchten ihre gelben Rettungsboote und erinnern sich an ihre erste Seereise mit der kleinen FREDO aus Stralsund.

Mitreisender Frachter-Fan Dr. Ulrich Schrader hat dazu seine eigenen Gedanken und Eindrücke notiert:

Mitten in der grauen Novemberzeit erreicht mich ein Anruf meines Schifffahrtsfreundes Peer Schmidt-Walther, kurz auch PSW genannt, ob ich Lust hätte, eine Woche auf dem Küstenmotorschiff FREDO in Nord-und Ostsee mitzuschippern. Kurze Überlegung: Soll man sich das im November antun? Dunkel, nass und kalt? Doch die Route klingt interessant: zunächst Rettungsboote von der Elbe nach Papenburg zur Meyer Werft bringen, dann Viehfutter von Brake nach Horsens in Norddänemark und zurück nach Stralsund. Dort ist PSW zu Hause. Das Ganze in gut einer Woche. Meine Neugier siegt. Schon am nächsten Tag sitze ich im ICE von Freiburg nach Hamburg. Nach 7,5 Std. Bahnfahrt treffe ich PSW im Bahnhof Stade an der Elbe.

Wir werden gleich vom Seniorchef nebst Frau in Empfang genommen, und kurze Zeit später liegt die FREDO, beladen mit acht großen orange-gelben Rettungsbooten, vor uns im Hafen von Krautsand an der Elbe. Der familiäre Empfang setzt sich fort an Bord, wo sich die Brüder Bernd und Willem Blanck, beide Schiffseigner mit Kapitänspatent, nebst Ihren Familien zum Abschied bei Kaffee und Kuchen eingefunden haben. PSW und ich mittendrin, als ob wir dazu gehören. Damit sind wir bei einem wesentlichen Punkt: Auf der FREDO schwindet die sonst eher übliche Distanz zwischen Passagier und Schiffsführung. Natürlich haben dabei die umgängliche und direkte Art von Willem und Bernd großen Anteil. Die kleinen, aber gemütlichen Kammern, zusammen mit der guten Hausmannskost und der Freundlichkeit unserer drei Philippino-Matrosen, lassen Wohlbefinden aufkommen: Man hat praktisch »Familienanschluss«.

Das setzt sich fort auf der Brücke. Bereitwillig geben Bernd und Willem Antwort auf Fragen zur Schifffahrt, Navigation und Technik an Bord. Zusammen mit Informationen über Häfen und Ladung gewinnt man einen Eindruck von Arbeit und Leben an Bord eines Küstenfrachters. Da die Häfen meist in Stadtnähe liegen, sind Landgänge im wahrsten Sinne des Wortes möglich. Mit der Fahrt nach Papenburg hatten wir das Glück, die Werft mit ihren imposanten Kreuzfahrtsschiffsneubauten zu sehen. Für längere Liegezeiten erweisen sich die Bordfahrräder als sehr hilfreich.

So haben PSW und ich mit etwas Eigeninitiative die Umgebung von Horsens erkundet und trotz der unwirtlichen Jahreszeit einiges gesehen und erlebt. Ein Ausflug nach Aarhus mit der Bahn rundete das dreitägige Ausflugsprogramm ab.

Fazit: Unsere Fahrt mit der FREDO war ein preiswertes, überaus pralles Erlebnis. Eine Reise mit der FREDO ist überdies eine gute Möglichkeit für nautisch interessierte Individualreisende, Reviere und Häfen kennenzulernen, die man auf dem Landwege nur schwerlich besuchen würde. Mit Flexibilität und Eigeninitiative gewinnt der neugierige Reisende dabei ganz persönliche Eindrücke von Land und Leuten.

Infos

Schiffsdaten MS FREDO: Bauwerft: Schiffswerft Hugo Peters, Wewelsfleth/Stör; Baujahr: 2/1985; Bau-Nr.: 607; Flagge: Deutschland; Taufname: PREMIERE (bis 2002), danach MONTIS , ab 1. Mai 2010 FREDO (Zusammensetzung aus den Heimatorten der Eigner Willem (Freiburg/Unterelbe) und Bernd Blanck (Dornbusch/Unterelbe); Heimathafen Stralsund;
Abmessungen: Länge: 82,45 m, Breite: 11,33 m, Tiefgang (max.): 3,43 (Typ Saima/Vänern-max, da der Frachter früher jahrelang zu den finnischen Seen unterwegs war); 1 Luke (3.105 Kubikm. Schüttgut); eingerichtet für Container-Transport: 46 TEU, verstärkt für Schwergutladung; BRZ: 1.649, Tragfähigkeit: 1.829 tdw, Ladetonnen: 1700 Tonnen; Displacement (Ladetonnen und 865 t Schiffsgewicht): 2.694 t; Maschine: MWM, Typ TBD 440-6K, 441 kW (700 PS), Geschwindigkeit (max.): 10,6 kn; GL-Klasse: GL+100 A4 MEG; Crew (max.): 7; Passagiere: 1 Doppelkammer ( Bad/WC/Dusche gemeins. mit 1. Offizier), breite Koje, Schrank, Sitzecke, Tisch, Stuhl, Schubfächer, Sat.-TV, Waschmaschine/Trockner können problemlos benutzt werden, (Brücke und Maschinenraum stehen dem Gast jederzeit offen;1 Einzelkammer (Dusche/WC nebenan).
Tipp: MS FREDO bietet sehr reizvolle Reisen zwischen großen, kleinen und kleinsten Nord-Ostsee-Häfen, -Flüssen, -Kanälen und -Seen.
Info/Buchung: Tel.: 0171 2111839 (Kapitän. Willem Blanck); E-Mail: fredo@gmx.info; Preis (inkl. Vollpension): 50 Euro/Tag

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