Die Kritik am eigenen Vater gehört auch dazu: man kann den „Alten“ im direkten Gespräch kritisieren, soviel man will, aber nach außen gilt das Zusammenhalten. In der Politik ist das Wählen dazwischengeschaltet: Vor der Wahl des Bundespräsidenten ist kräftiges Argumentieren gefragt, auch gegen die in den anstehenden Wahlen kandidierenden Personen. Nach den Wahlen aber ist das Ergebnis des demokratischen Aktes zu respektieren. Eine Verunglimpfung der gewählten Person des Bundespräsidenten – wie z.B. Trettin es praktizierte – ist eine Verunglimpfung des Amtes. Dem gilt es Einhalt zu gebieten. Nichts anderes hat der – nunmehr – Altbundespräsident Horst Köhler mit seinem Rücktritt getan.
Respektlosigkeit ist oft erfrischend und teilweise sogar angenehm, wenn man selbst daraus Vorteile ableiten kann oder sogar, und das ist ebenso menschlich, aus reiner Schadenfreude. Die 68er haben ihren gesellschaftlichen Anteil daran durch ihren „Kampf“ gegen das bürgerliche Establishment. Das formlose Duzen – auch in intellektuellen Kreisen- kann Schranken beseitigen helfen. Das Weglassen von Titeln in der direkten Anrede hat gleiche Funktionen, obwohl manchem Studenten das Bewusstsein nicht schaden würde, dass der formlos ohne Titel angeredete Professor nicht nur Zensuren verteilt, sondern auch kraft Wissens und persönlicher Leistung zu seiner professoralen Stellung – respektlos „Job“ genannt – gekommen ist; die Gleichstufigkeit suggerierende titellose Form der Adressierung kann den Wert der vorhandenen Leistung verkommen lassen.
Respektlosigkeit wirkt vor allem, wo echte „Macht“ fehlt. Macht basiert auf Kompetenz, Zuständigkeit, Netzwerk, Verfügbarkeit und Verteilung von Mitteln, aber auch auf Intellekt, Sympathie, Offenheit, Fähigkeit zum Zuhören und Reflektieren anderer als der eigenen Standpunkte, z.B.; was von alledem fehlte unserem Altbundespräsidenten Horst Köhler? Nach Volkes Meinung nichts! Trotzdem ist seine Amtszeit nun beendet. Schade eigentlich! – Wenn von diesem überraschenden Schritt Impulse für einen ethischen Aufwärtstrend ausgehen, könnte das für die Bankenwelt – die nicht reagiert hat, als Köhler eine Selbstbeteiligung samt Selbstkritik der Banken an der finanziellen Misere der Weltwirtschaft und speziell der deutschen Volks-Wirtschaft anmahnte – heilsame Folgen haben; es könnte auch für die agierende politische Klasse in Deutschland – die ebenfalls auf Köhlers mahnende Worte zur Regulierung der ins kriminelle ausufernde Bankenaktivitäten nur schwach und viel zu zögerlich reagiert hat – zur Besinnung auf die Aufgaben zur verantwortlichen Lösung der dem Volk schadenden Probleme beitragen: die Hoffnung hab ich wohl, allein ”¦
Wer aber wird jetzt mit den Aufgaben des deutschen Staatsoberhauptes betraut? Wer kennt sich in den Netzwerken und seinen Gepflogenheiten sowohl der politischen als auch finanzwirtschaftlichen Klasse aus? Wer hat das persönliche Format? Wem könnte die Akzeptanz in der Breite der Bevölkerung gelingen, wer könnte ethische und soziale Integrations- und Führungskompetenz einbringen?
Aus dem Kreis der gewesenen, bedeutenden Politiker fallen Namen wie Stoiber, Geissler, Baum, Dohnani, Späth, die Vogel-Brüder, Diepgen, Koch, Scherf und natürlich „König“ Biedenkopf ein; leider ist Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt wirklich zu alt. Ex-Kanzler Schröder und Müntefering sind nicht konsensfähig. Das trifft auch auf Joschka Fischer zu. Aus dem Kreis der aktiven Politiker kommen Gerhardt, Wulff, von der Leyen ins Gespräch. Zu Schröders Kanzlerzeiten war auch Siemens-Chef von Pierer einer der aussichtsreichsten Vor-Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten: Ist er wegen der abgearbeiteten Korruptionsprobleme seines Hauses nicht mehr im Rennen? Wahrscheinlich. Im Bedeutungslevel kommen ihm Ackermann von der Deutschen Bank oder Piech von Volkswagen gleich. Rolf Berger und Frau Höhler als politikberatende Spezialisten wären ebenfalls denkbar.
Jetzt haben die Bundesregierung und die Bundesversammlung das Wort. Nach 27 Tagen wissen wir mehr.