Reifen: Mehr Markt, weniger Sicherheit – Sicherheitsexperten fordern Sicherheitsnorm für Autoreifen

Eine vernünftige Regelung, wenn man bedenkt, daß die Reifen wesentlich für die technische Verkehrssicherheit eines Fahrzeugs sind, bildet die Reifenaufstandsfläche doch den einzigen Kontakt zwischen Fahrzeug und Fahrbahn – und die ist nur so groß wie eine Postkarte. Das muß reichen, um das Auto stabil zu halten, auch beim Bremsen, bei Kurvenfahrten und bei plötzliches Ausweichmanövern. Die Reifen müssen also einiges leisten.

Die EU-Kommission sah in dieser Regelung jedoch nicht die Vorteile für die Verkehrsicherheit, sondern ein „Handelshemmnis“ und führte eine Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland – mit Erfolg: Seit der Jahrtausendwende „muß auf das Festschreiben von Reifenfabrikaten für bestimmte Fahrzeuge durch die Fahrzeughersteller verzichtet werden“, kritisieren Jörg Ahlgrimm, Leiter der Dekra-Unfallanalyse, und EVU-Präsident Egon-Christian von Glasner.

Die Folge dieser Marktöffnung ist nun, daß am Markt zuhauf Billigreifen angeboten werden, deren Qualität und Sicherheit zweifelhaft sind. Viele Verbraucher freuen sich zwar über die Schnäppchen und vertrauen auf gesetzliche Vorschriften für Reifen, wissen aber nicht, daß es diese Vorschriften so gar nicht mehr gibt. Gleichzeitig nimmt der Gesetzgeber den Autofahrer stärker in die Pflicht. Der ist es, der bei winterlichen Bedingungen, so verlangt es die Straßenverkehrsordnung (StVO), sein Auto mit M+S-Pneus ausrüsten muß. Doch das M+S-Zeichen ist weder rechtlich geschützt noch verbindlich definiert. Ein Reifenhersteller kann sogar einen Sommerreifen als „M+S“ anbieten, ohne sich strafbar zu machen.

Welche Folgen das haben kann, machen Ahlgrimm und Glasner deutlich: Ein und dasselbe Fahrzeug weist „dramatische“ Unterschiede im Fahr- und Bremsverhalten auf, wenn es Reifen unterschiedlicher Qualität benutzt: „Budgetreifen – darunter viele Importpneus – zeigen große Leistungsunterschiede gegenüber Premiumreifen, insbesondere beim Bremsen auf nasser Straße.“ Das führe zu „drastisch längeren Bremswegen“ und zu Verlust der Seitenkraft um jeweils 20 Prozent, wie Test ergeben hätten. Fahrerassistenzsysteme wie ABS, ESP, ASR und Notbremsassistent könnten die Defizite „nicht kompensieren“ und büßen von ihrer Wirkung ein, warnen die beiden Sicherheitsexperten. Ein Beispiel: Beim Bremstest eines 40-Tonnen-Zuges mit 80 km/h wurde mit Premiumreifen ein Bremsweg von 39 Metern erreicht, mit Billigreifen rutschte das Fahrzeug 20 Prozent weiter und hatte noch eine Aufprallgeschwindigkeit von 28 km/h, als der Premiumreifen-Zug bereits stand. Der Fahrer wäre sehr wahrscheinlich ums Leben gekommen.

Das Problem wird durch das seit November dieses Jahres verpflichtende Reifenlabel nicht behoben. Es bewertet nur einen sehr kleinen Teil aller relevanten Sicherheitseigenschaften. Beim Winterreifenkauf ist es sogar irritierend, weil es im wesentlichen nur Sommerreifeneigenschaften bemißt – darauf wird aber nirgends hingewiesen. Eigentlich ist das Reifenlabel eh eine Farce, weil die Einstufung eines Reifens von den Herstellern selbst vorgenommen wird – es gibt keine unabhängige Prüfinstanz und keine Sanktionsmöglichkeit bei Mogeleien.

Ohne nähere rechtliche Regelungen und ohne verbindliche Angaben der Autohersteller sollen die Verbraucher, die in der Regel Laien in punkto Reifensicherheit sind, eine vielleicht folgenreiche Kaufentscheidung treffen. Ahlgrimm und Glasner fordern daher eine fabrikatsunbhängige Norm für Reifen.

kb

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