Raffinerie Schwedt: Denkmal einer souveränen Energiepolitik

Silhouette PCK Raffinerie GmbH. Foto: Uckermaerker, CC BY-SA 4.0

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Anteile der Raffinerie Schwedt sollen den Besitzer wechseln. Ein Anlass, daran zu erinnern, wofür diese Raffinerie steht: eine Energie- und Wirtschaftspolitik, die langfristig denkt und auf Souveränität ausgerichtet ist. Nichts, woran diese Bundesregierung gern erinnert wird.

Wenn es einen Ort gibt, an dem eine verrückte und eine langfristige Wirtschaftspolitik aufeinanderprallen, dann ist das die Raffinerie in Schwedt. Die 1964 in Betrieb genommene Raffinerie war in vielfacher Hinsicht ein Musterbetrieb für die DDR und immer wieder auch Entwicklungsstandort für neue Verfahren; sie entwickelte sich von einem Werk, das vor allem einfache Erdölprodukte wie Bitumen herstellte, zu einem hochkomplexen chemischen Betrieb, der weite Teile der gesamten Petrochemie abdeckte, und das möglichst rückstandsfrei. Bis heute ist die Benzin- und Dieselversorgung im Raum Berlin durch die PCK-Raffinerie in Schwedt abgedeckt.

Jetzt hat der niederländische Ölkonzern Shell seine Anteile an dieser Raffinerie verkauft; an eine weitgehend unbekannte britische Ölhandelsfirma namens Prax, die vor allem unabhängige Tankstellen in Großbritannien betreibt und sich erst im Oktober durch den Erwerb der Kette von Oil!-Tankstellen auf Kontinentaleuropa erweiterte. Ob der Verkauf überhaupt gültig oder durch die Ausübung des Vorkaufsrechts der beiden anderen Miteigner Rosneft und Eni blockiert wird, muss sich erst noch herausstellen. Rosneft hatte schon 2021 erklärt, die Anteile von Shell übernehmen zu wollen.

Werkseingang zum VEB Petrolchemisches Kombinat (PCK) Schwedt. Quelle/ Foto: Bundesarchiv, Bild 183-U0705-0309 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA 3.0

Wie fast alle DDR-Betriebe wurde auch die Raffinerie in Schwedt über die Treuhand privatisiert, und die Anteile wechselten im Verlauf der Jahrzehnte mehrmals die Eigentümer, bis zur letztgültigen Aufteilung von 37,5 Prozent im Besitz von Shell, zu 54,7 Prozent von Rosneft Deutschland und zu 8,33 Prozent im Besitz von Eni. Rosneft Deutschland steht im Zuge der Russland-Sanktionen unter Zwangsverwaltung durch das Bundeswirtschaftsministerium.

Nicht nur mehr als die Hälfte der Anteile sind eigentlich in russischer Hand, auch das Öl, mit dem die Raffinerie betrieben wird, kam oder kommt aus Russland. Diese Unklarheit ergibt sich daraus, dass das Öl, das in Schwedt verarbeitet wird, inzwischen offiziell aus Kasachstan stammt.

Allerdings ist die Umstellung einer Raffinerie auf ein Öl anderen Ursprungs nicht so einfach möglich; die ganzen komplexen Anlagen sind auf eine bestimmte Zusammensetzung des eingespeisten Öls abgestimmt, und dabei handelt es sich nicht um eine Abstimmung, die über einen Schalter geregelt wird, sondern die sich in baulichen Anlagen widerspiegelt.

Das heißt, eine Änderung der Ölquelle erfordert eine größere Umbauinvestition und womöglich eine Anpassung der gesamten Produktpalette. Sprich, die technischen Gegebenheiten legen nahe, dass es sich bei dem kasachischen Öl ebenso wenig um kasachisches handelt, wie das aus Europa in Indien erworbene Öl indisches Öl ist. Aber solange alle so tun, als wäre dem nicht so, und die dadurch ausgelösten höheren Preise gewissermaßen als eine Art US-Ablassbrief in Kauf nehmen, bleibt zumindest die Benzinversorgung in Berlin gesichert. Die Bundesregierung hatte mehrmals signalisiert, ihr wäre es am liebsten, Schwedt ganz stillzulegen.

Das Petrolchemische Kombinat Schwedt, 1981, Quelle/ Foto: Bundesarchiv, Bild 183-Z0413-010 / Müller / CC-BY-SA 3.0

Die Geschichte dieser Raffinerie und der Pipeline, die sie versorgt, wirft eigentlich eine Frage auf, die bisher aus gutem Grund in Deutschland nicht gestellt wird: Was, wenn der Umsturzversuch in der DDR erst einige Jahre später erfolgt wäre? Hätte er dann noch Aussichten auf Erfolg gehabt?

Der Grund für diese Fragen ist, dass die Energieversorgung von Anfang an das größte Problem der DDR-Wirtschaft war. Mitte des vergangenen Jahrhunderts war der dominante Energierohstoff noch die Kohle. Die westliche Republik hatte die Steinkohle des Ruhrgebiets; aber das östliche Steinkohlerevier in Schlesien gehörte nun zu Polen, und auf dem Gebiet der DDR war nur Braunkohle zu finden.

Aus diesem Grund waren die Projekte für Pipelines von Russland nach Deutschland so zentral. Die Druschba-Pipeline, die Teil des Zuflusses für Schwedt ist und die ebenfalls bereits in den 1950ern geplant wurde, war ein gigantisches gemeinsames Projekt, das in unterschiedlichen Abschnitten von mehreren beteiligten Ländern erstellt wurde. In einem Artikel der Berliner Zeitung findet sich eine höchst beeindruckende Darstellung dieser Arbeit. Die gesamte Infrastruktur, durch die russisches Öl wie Erdgas in westliche Richtung geliefert wurde und teilweise noch wird, war ein gigantisches Gemeinschaftsprojekt, das erst 2003 tatsächlich beendet wurde.

Dabei wurde logistisch Enormes geleistet. Bis zu 15.000 Arbeiter waren an den Arbeitsort zu bringen und zu versorgen, und beinahe nebenbei wurden auch noch 6.000 Wohnungen in Sibirien gebaut, als Teil des Abkommens. „Den Transport Tausender Menschen erledigten überwiegend Interflug- und Aeroflot-Charterflüge, innerhalb der Sowjetunion auch die Bahn oder Hubschrauber. Für den Wohnungsbau an den Standorten in Westsibirien waren gedämmte Fertigteilelemente zu liefern, um den Temperaturen bis zu minus 40 Grad zu trotzen.“

Eine Geschichte, die an die heroischen Phasen der Industrieentwicklung erinnert, und etwas, an dem die heutige Bundesrepublik mit Sicherheit scheitern würde. Der ehemalige Projektverantwortliche der Jamal-Pipeline, Klaus Giese, spottet über seine heutigen Konkurrenten: „Wenn Bundesverteidigungsminister Pistorius 4.000 Soldaten bis 2026 in Estland etablieren will, ist das im Vergleich mit unseren in Spitzenzeiten 15.000 Leuten in entlegenem Gelände eine Kleinigkeit.“

Das petrolchemische Kombinat, 1974. Quelle/ Foto: Bundesarchiv, Bild 183-N1223-0001 / Müller / CC-BY-SA 3.0

Ein Detail, das erkennen lässt, wie anders die Spielregeln waren, ist die Beschreibung der Lohnverteilung: „Die Schweißer standen über den Bauarbeitern, ‚Schippenstiele‘ genannt, und weit über den ‚Lackschuhen‘. Ihr Gehalt übertraf das des Generaldirektors deutlich und selbst das des zuständigen Ministers für Energie, Dr. Wolfgang Mitzinger, der seit 1981 die Regierungsverhandlungen mit der Sowjetunion geführt und 1982 das Abkommen zum Bau der Erdgasleitung unterzeichnet hatte.“

Erst mit der Fertigstellungen jener Erdgas-Pipelines 1993 war die Energie-Infrastruktur fertig, deren Planung in den 1950ern begonnen hatte und deren Teil auch die Raffinerie von Schwedt war. Damit wäre das Energieproblem, das die DDR in so vielen Bereichen gegenüber der BRD benachteiligt hatte, gelöst gewesen. Man muss nur daran denken, mit wie viel Hohn damals seitens der BRD auf die schmutzigen Fassaden und die schlechte Luft verwiesen wurde, um zu erkennen, wie viel sich geändert hätte, hätte die DDR den Abschluss dieses Langzeitplans noch erlebt.

Dabei hatte der Westen, vor allem die USA, viel unternommen, um diese Entwicklung zu behindern. Die Lieferung bundesdeutscher Stahlröhren beispielsweise führte zu einer der schärfsten politischen Auseinandersetzungen zwischen der Bundesrepublik und den USA; ab 1962 gab es einen NATO-Beschluss, der den Export von Großröhren für Pipelines untersagte.

Ab 1970 setzte sich dann die westdeutsche Stahlindustrie durch, und Thyssen und Mannesmann lieferten doch Röhren; im Tausch gegen Erdgaslieferungen auch in die westliche Republik. Damals, könnte man zusammenfassen, haben sich die Interessen beider deutscher Staaten noch gegen die US-Vorgaben durchgesetzt.

Es ist eigentlich geradezu zynisch, dass letztlich die westliche Republik von einer Infrastruktur profitierte, die von der DDR unter großem Einsatz gebaut worden war, und die Erträge aus der günstigen und sicheren Energie in die Taschen westlicher Großkonzerne flossen und nicht dazu dienten, den Lebensstandard der Bevölkerung zu heben.

Das Ergebnis einer jahrzehntelangen konsequenten strategischen Energiepolitik wurde erst hemmungslos privatisiert, und jetzt wird es im Auftrag der US-Regierung preisgegeben und durch eine Energiepolitik ersetzt, die bestenfalls noch im Monatstakt denkt und vor allem dazu beiträgt, den Lebensstandard der Bevölkerung weiter zu senken. Wenn man daran denkt, dass eine der Folgen der grünen Politik ausgerechnet die Wiederbelebung der Braunkohlenutzung ist, deren Ersetzung eines der Ziele dieser Planungen war, wird deutlich, wie wenig die beiden Sichtweisen verbindet.

Wäre es nicht 1989, sondern 1995 gewesen, niemand hätte der DDR mehr schmutzige Städte vorhalten können. Auch die Altbauten der Innenstädte wären saniert gewesen. Die Verbilligung der Energie durch das größere verfügbare Angebot hätte noch einige weitere Dinge verändert; man kann das erfassen, wenn man schlicht all die Veränderungen umkehrt, die im Gefolge des Sanktionswahns eingetreten sind. Bei den Baukosten beispielsweise.

Die Früchte all der Anstrengungen wurden von anderen geerntet. Und wo die DDR-Politik sich mühte, die eigene Souveränität auf eine stabile ökonomische Grundlage zu stellen, ist die erweiterte Westrepublik nun damit befasst, eine derartige Grundlage dauerhaft zu verhindern. Für die heutige Bundesregierung ist schon die Weitsicht, die auch jene Vorgänger bewiesen, die damals die Röhrengeschäfte durchsetzten, völlig unerreichbar. Was die tiefe Abneigung gegen die Schwedter Raffinerie erklärt, die, solange sie steht, daran erinnert, wie vorausschauendes wirtschaftliches Handeln aussieht.

Anmerkung:

Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 16.12.2023 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.

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