Sie haben wiederholt die öffentlichen Interessen an private ausgeliefert. Sie haben die Demokratie untergraben. Sie haben die Gläubiger geschont und nicht für die Kosten der Bankenrettung herangezogen. Sie haben die Milliardensummen den öffentlichen Haushalten aufgebürdet. Sie setzen sich nicht entschieden für die überfällige Regulierung der Finanzmärkte ein. Sie lassen es ferner geschehen, dass Milliarden von Menschen im globalen Süden noch tiefer in Armut gestützt werden.
Die Jury widerspricht den Banken, hier vertreten durch Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, sie seien nur ‚Getriebene der Märkte‘. Vielmehr haben sie durch ihr bedenkenloses Gewinnstreben den Grundsatz grob verletzt, dass ‚Eigentum verpflichtet‘ und auch dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat."
In ihrer Urteilsbegründung monierten die Richter insbesondere, dass die Profiteure der Staatshilfen nicht angemessen an den Rettungsaktionen beteiligt wurden und die Gläubiger der Banken bisher gar keinen Beitrag leisten mussten.
Der derzeitigen Bundesregierung sei vor allem anzulasten, dass noch immer keinerlei Regulierung der Finanzmärkte erfolgt sei. Zwar der Einwand der Verteidigung berechtigt, dass die Einflussmöglichkeiten Deutschlands in internationalen Gremien begrenzt sind. Dennoch trage die derzeitige Bundesregierung eine Mitschuld, dass die internationale Finanzmarktregulierung nur schleppend in Gang kommt. "Kanzlerin Merkel ist erkennbar bemüht, die Standortinteressen der deutschen Kreditinstitute zu verteidigen", heißt es in der Begründung. So habe ´etwa der Zeuge Sven Giegold als Mitglied des Europaparlaments glaubhaft belegen können, dass Deutschland eine stärkere Bankenaufsicht auf europäischer Ebene verhindert und eine bessere Regulierung von Hedge-Fonds blockiert hat.
Das Gericht folgte auch der Darstellung des Zeugen Harald Schumann, dass bei der Rettung der Hypo Real Estate unnötig Steuergeld verschwendet wurden, weil das Bundesfinanzministerium trotz bekannter Liquiditätsengpässen keinerlei Notfallplan aufgestellt hatte.
Zudem sei es falsch gewesen, die Fusion von Commerzbank und Dresdner Bank zuzulassen und mit Steuermitteln zu finanzieren. "Die Aufgabe der Bundesregierung wäre es gewesen, kleinere Banken zu schaffen, statt gigantische Zusammenschlüsse zu organisieren", stellten die Richter fest.
Nicht der Anklage folgten die Richter hingegen in ihren Schlussfolgerungen aus der Beweisaufnahme zum Thema Griechenland. Bisher lägen keine belastbaren Beweise vor, inwieweit die Banken – und insbesondere die Deutsche Bank – von dem drohenden Staatsbankrott profitieren, auch wenn die Vernehmung des Zeugen Harald Schumann Hinweise erbracht habe, dass die Fehler bei der HRE-Rettung wiederholen und die Gläubiger erneut geschont werden könnten.
Als Gänzlich unvereinbar mit demokratischen Grundsätzen bezeichnete die Jury, dass selbst von Regierungsseite manche Finanzakteure als "too big to fail" angesehen werden. Dies konstatiere einen unerträglichen Zustand staatlicher Ohnmacht, der mit dem Demokratieprinzip unvereinbar sei. "Daraus folgt der zwingende Beweis für die Notwendigkeit der Zerschlagung solcher Institute", heißt es in der Urteilsbegründung.
Mehr als 800 Menschen aus ganz Deutschland hatten am Samstag in der ausverkauften Berliner Volksbühne die Verhandlung verfolgt, die sich über den ganzen Tag – von 9 bis 22 Uhr – erstreckte. Zahlreiche Attac-Ortsgruppen nutzten zudem den Livestream im Internet für öffentliche Public Viewings. Die Auseinandersetzung zwischen Anklage, Verteidigung und Zeugen glich zeitweise einem regelrechten Gerichtskrimi. Dabei nahm das Publikum lebhaften Anteil an der Verhandlung – immer wieder gab es Buhrufe, Zwischenrufe und Beifall bis hin zu Standing Ovations. Vor allem die wechselseitige Befragung der Zeugen Harald Schumann, Sven Giegold und Lucas Zeise förderte für Anklage und Verteidigung neue und überraschende Erkenntnisse zutage.
Zu den Angeklagten des Tribunals gehörten die aktuelle Bundesregierung und ihre zwei Vorgängerinnen, vertreten durch Gerhard Schröder, Angela Merkel und Peer Steinbrück; die Deutsche Bank und der Bundesverband deutscher Banken, beide vertreten durch Josef Ackermann; sowie Hans Tietmeyer, ehemaliger Aufsichtsrat von Depfa und HRE, Chef-Kurator der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und früherer Bundesbankpräsident. Ihnen warf die Anklage "Aushöhlung der Demokratie und Vorbereitung der Krise", "Zerstörung der ökonomischen Lebensgrundlagen in Nord und Süd" sowie "Verschärfung der Krise" vor.
"Mit dem Tribunal ist uns ein wichtiges Stück politischer Aufklärung gelungen, von dem ein starkes politisches Signal ausgeht", sagte Jutta Sundermann vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. Durch die Form des Tribunals sei es gelungen, viele Menschen zu erreichen, die sich in dieser Tiefe noch nicht mit der Finanzkrise beschäftigt hatten. Als Mitwirkende habe Attac Menschen mit enormem Fachwissen zusammengebracht, die sich für das Tribunal erstmals in eine intensive intellektuelle Auseinandersetzung über die Ursachen und Konsequenzen der Finanzkrise miteinander begeben haben. "Deshalb verstehen wir das Urteil als Startpunkt für eine dauerhafte kritische und kompetente Einmischung der Zivilgesellschaft für einen Bankensektor, der dem Allgemeinwohl dient."
Das Urteil im Wortlaut: http://www.attac.de/aktuell/krisen/bankentribunal/urteil/
Die Mitwirkenden: Das Richteramt beim Bankentribunal von Attac übernahmen der Wirtschaftswissenschaftler Karl Georg Zinn, die Terres-des-Hommes-Geschäftsführerin Danuta Sacher, der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, die Taz-Wirtschaftskorrespondentin Ulrike Herrmann sowie der bekannte Darmstädter Sozialrichter Jürgen Borchert.
Auch als Ankläger, Verteidiger und Zeugen hatten die Globalisierungskritiker kompetente und prominente Persönlichkeiten gewonnen, darunter den ehemaligen Vorsitzenden der IG-Medien, Detlef Hensche; den ehemaligen Chefredakteur von Spiegel und Managermagazin Wolfgang Kaden; der langjährigen Leiter des Wirtschaftsressorts der Frankfurter Rundschau, Robert von Heusinger; Heidi Klein von Lobbycontrol; die kenianische Menschenrechtsaktivistin Wangui Mbatia; den Leiter des Institutes für Sozialökologische Wirtschaftsforschung Conrad Schuhler; den Tagesspiegel-Journalisten Harald Schumann; die Attac-Mitgründer Peter Wahl und Sven Giegold sowie die Politikwissenschaftler Elmar Altvater und Peter Grottian.
Pressemitteilung von Attac Deutschland vom 11.04.2010.