Philippe Boesmans, Sylvain Cambreling, Luc Bondy – „Yvonne, princesse de Bourgogne“ bei den Wiener Festwochen

Um was es geht? Um das Gegenteil einer Prinzessin. Um eine nackte Kreatur. Nackt in dem Sinne, das an ihr jegliche Kulturation verloren gegangen ist, ein Stück Mensch, das träge in den Tag hineinlebt, ohne Interesse, ohne Emotion. Eine solche Kreatur – in besseren österreichischen Provinzkreisen wurde so etwas „das plebs“ genannt – muß den Argwohn, ja die Aggressionen einer Umwelt auf sich ziehen, die sich Mühe gibt, ein gesellschaftliches Leben zu strukturieren, zu arbeiten, vorwärtszukommen, zu regieren. Insofern wird diese Yvonne auch für die Herrschaftsfamilie zu einem Ärgernis, einer Antiheldin, gleichzeitig aber dient seit jeher eine nicht angepaßte Frau als ideale Projektionsfläche für Sehnsüchte und Wünsche, für Ängste, bis hin zum Todestrieb. Herr Freud ist also in der Nähe.

Insofern stellt der junge Prinz Phillip als Person dieses psychoanalytische Moment dar, daß man das am meisten begehrt, was man am tiefsten verachtet. In einer zwischen Surrealem und Zwangsneurotischem changierenden Weise macht er diese, ihm widerliche Yvonne zu seiner Verlobten. Ein weiteres Motiv seiner Entscheidung ist die Überlegung, als aufgeklärter Herrscher sich nicht von körperlichem Ekel, der aus dem Bauch kommt, regieren zu lassen, sondern Kopfentscheidungen zu treffen, die zudem sein Widerstandsgeist gegen die allgegenwärtigen und ihn bestimmen wollenden Eltern verstärken. Und König Ignaz und Königin Margarethe können nichts anders, wollen sie den Skandal vermeiden, als zuzustimmen.

Doch es kommt anders, als im prinzlichen Arrangement vorgesehen. Im zweiten Akt verliebt sich diese willenlose Yvonne in den Prinzen, was diesen in Verwirrung stürzt, denn mit echten Gefühlen wird hier nicht gerechnet. Im dritten Akt dann tritt das ein, was als Bombe in der Figur der Yvonne angelegt ist. Ihre Passivität einerseits, ihr kreatürliches Verhalten, das keiner Norm folgt und nie vorausschaubar ist, von daher gesellschaftliches Miteinander sprengt, führt zum Verlachen und Verachten der Person und dem Wunsch nach Eliminieren genauso wie zur Erkenntnis der eigenen Schwächen dieser Hofgesellschaft einschließlich der Herrschaftsfamilie. Die Falle der Projektion, alles als minderwertig an einem selbst Eingestufte auf diese Yvonne zu übertragen und sich dann aber in ihr selbst erkennen zu müssen, führt bei allen Beteiligten zum rasenden Wunsch, dies und damit diese Frau aus der Welt zu schaffen.

Nur der Prinz hatte erst einmal anders reagiert. Er wollte der Einverleibung seiner selbst in Yvonne entgehen, entlobt sich, verlobt sich mit einer ganz Schönen, sein Über-Ich allerdings hält ihm als moralische Instanz vor, daß diese Entlobte ihn doch liebe, woraufhin auch er nur noch im Tode von Yvonne seine Rettung sieht. Um die Versuche, auf vielfältige Weise sterben zu sollen, ein Panoptikum der Todesarten, geht es im vierten Akt, die eint, daß das persönliche Hand Anlegen so degoutant ist, daß keiner es vermag. Als deus ex machina dient die Karausche, die als Festessen bei Hofe gedacht und die gesamte Gesellschaft versammelt, der Prinzessin als Gräte im Hals todbringend steckenbleibt.

Die Bühne ist als Multifunktionsbühne gut ausgerüstet. Dort wird anfangs der Sonnenuntergang bewundert, aber gleich ist der Prinz (Yann Beuron) mit Anhang schon dabei, die Schönen des Hofes nach potentiellen Beischläferinnen zu sortieren, der König (Paul Gab) flugs bei seinen Geschäften zu sehen, die er im Sportlerdreß mit Sonnenbrille vollzieht. Dazwischen aber hebelt der Auftritt von Yvonne (Dörte Lyssewski) die geschäftigen Leute aus. Nach dem Lesen der Ursprungssatire stellt man sich dabei einen weiblichen Unhold vor, dem es gelingt, den Widerwillen der Welt zu provozieren. Dörte Lyssewski aber bleibt für uns zwar animalisch bestimmt und von plumpen Bewegungen und unschöner Gewandung begleitet, aber sie wird für uns in keiner Sekunde die widerliche Kreatur, die es in einer feinen Gesellschaft zu beseitigen gilt. Sie bleibt eine harmlose Störstelle für das Auge. Aber mehr nicht. Von daher fehlte der Inszenierung in unseren Augen das die Oper bestimmende Movens. Das daß andere Leute ganz anders sahen und über ihre Darstellung begeistert waren, war den Pausengesprächen zu entnehmen.

Wenn aber die Triebkraft des Ganzen einem nicht deutlich wird, bleibt ein Operngeschehen leicht beliebig. So war die geschickte Ausstattung zu bewundern, die Bühne von Richard Peduzzi, die phantasievollen Kostüme und Personenstilisierung von Milena Canonero, vor allem aber hervorragende Schauspieler- und Sängerleistungen. Einfach klasse die Königin von Mireille Delunsch und entsprechend gesungen, die so herrschaftlich war, wie geknickt, als sie in Yvonne ihre schlechten und verlorenen Gedichte erkennt. Sie und der König stellten zwar ein merkwürdiges Paar dar, aber sängerisch waren sie auf einer Linie und auch alle weiteren Mitwirkenden waren schauspielerisch und sängerisch auf der Höhe.

Woran lag es also, daß alles nett und gefällig ablief, aber der Oper in gewisserweise die Luft ausging. Das ist eine interessante Erfahrung und schon deshalb sollte man die Vorstellungen besuchen, weil sie einem exemplarisch zeigen, aus wie vielen Bestandteilen eine Opernaufführung besteht. Die meisten dieser Bestandteile waren hervorragend ausgedacht und disponiert, aber das Eigentliche einer Oper, daß man gebannt im Sessel sitzt und dem Geschehen lauscht, stellte sich bei uns nicht ein. Nichts war dazu getan, beim Besucher negative Gefühle oder eine Antihaltung zu erzeugen und dennoch fehlte etwas. Ob es an der Oper und dem Wohlklang der Musik selber liegt, kann man nur in anderen Inszenierungen weiterfragen.

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Folgetermine:

15. und 16. Mai 2009 um 20 Uhr im Rahmen der Wiener Festwochen im Theater an der Wien.

Reiseliteratur:

Felix Czeike, Wien, DuMont Kunstreiseführer, 2005
Baedecker Allianz Reiseführer Wien, o.J.
Lonely Planet. Wien. Deutsche Ausgabe 2007
Walter M. Weiss, Wien, DuMont Reisetaschenbuch, 2007
Marco Polo, Wien 2006
Marco Polo, Wien, Reise-Hörbuch

Tipp:

Gute Dienste leistete uns erneut das kleinen Städte-Notizbuch „Wien“ von Moleskine, das wir schon für den früheren Besuch nutzten und wo wir jetzt sofort die selbst notierten Adressen, Telefonnummern und Hinweise finden, die für uns in Wien wichtig wurden. Auch die Stadtpläne und U- und S-Bahnübersichten führen– wenn man sie benutzt – an den richtigen Ort. In der hinteren Klappe verstauen wir Kärtchen und Fahrscheine, von denen wir das letzte Mal schrieben: „ die nun nicht mehr verloren(gehen) und die wichtigsten Ereignisse hat man auch schnell aufgeschrieben, so daß das Büchelchen beides schafft: Festhalten dessen, was war und gut aufbereitete Adressen- und Übersichtsliste für den nächsten Wienaufenthalt.“ Stimmt.

Anreise:

Viele Wege führen nach Wien. Wir schafften es auf die Schnelle mit Air Berlin, haben aber auch schon gute Erfahrungen mit den Nachtzügen gemacht; auch tagsüber gibt es nun häufigere und schnellere Bahnverbindungen aus der Bundesrepublik nach Wien.

Aufenthalt:

Betten finden Sie überall, obwohl man glaubt, ganz Italien besuche derzeit Wien! Überall sind sie auf Italienisch zu hören, die meist sehr jungen und ungeheuer kulturinteressierten Wienbesucher. Wir kamen perfekt unter in zweien der drei Hiltons in Wien). Sinnvoll ist es, sich die Wien-Karte zuzulegen mitsamt dem Kuponheft, das auch noch ein kleines Übersichtsheft über die Museen und sonstige Möglichkeiten zur Besichtigung in Wien ist, die Sie dann verbilligt wahrnehmen können. Die Touristen-Information finden Sie im 1. Bezirk, Albertinaplatz/Ecke Maysedergasse.

Mit freundlicher Unterstützung von Air Berlin, dem Wien Tourismus, der Wiener Festwochen und diverser Museen und den Hilton Hotels Wien.

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