Diese Ausstellung führt beispielhaft ein berufliches und gesellschaftlich engagiertes Leben vor, in dem sich die politischen Verhältnisse genauso spiegeln wie Bürgersinn und politische Verantwortung, aber nicht im preußischen Kommandoton, sondern im lockeren Beisammensein von Gleichgesinnten, die sich immer wieder auch auf die Initiative Hoffmanns zusammenschlossen und tagten – sicher wurde dabei oft Äppelwoi getrunken.
Neben all den wichtigen Informationen schält sich das Bild eines Menschen heraus, der die Sachen, um die er sich kümmerte, wichtig nahm, aber nicht sich selbst. „Der Hoffmann ist zu gar nichts nütz, / Der macht zu allem schlechte Witz’“, heißt es in seinem Klinischen Volkslied aus den Dreißiger Jahren, da war er noch ein junger Bursche, aber schon mittenmang im Reflektieren seiner Umgebung durch dichtende Ironie und wie man sieht, Selbstironie auch. Es war Weihnachten 1844, als er seinem Dreijährigen zu Weihnachten den Originalstruwwelpeter malte und schrieb und seit 1845 trat dieser Löwenmähnige dann den Siegeszug durch die Welt an. Hoffmann starb 1894, er konnte also knapp 50 Jahre seinem Erfolg ernten, auch in Münzen!
Diese Ausstellung hat mehrer Ebenen. Da ist einmal die Chronologie, anhand derer wir den Lebensweg Hoffmanns verfolgen. Aber es gibt auch die themenübergreifenden Schwerpunkte und dann die Politik und Geschichte seiner Zeit. Zentrum der Ausstellung „Peter Struwwel“ im Historischen Museum ist das Rund von „Hofmanns Gesellschaft“, wo auch ästhetisch interessant seine Zeit und er in ihr vorgestellt werden. Zwei Bildmethoden waren die Hits der Biedermeierzeit: die Silhouette und das Medaillon. Und so sieht man „die wischtische Leut“ von damals gleich doppelt in beiden Bildformen: das kleine Medaillon auf der lebensgroßen Silhouette, die sich an der runden Wand fast die Hand geben. Das hat was. Was es inhaltlich bringt, ist sowieso ersichtlich. Denn da begegnen einem die Personen, die man vom Namen her aus der Geschichte oder noch heute als Nachfahren der berühmten Namensträger kennt. Wir stehen mitten im Panorama eines sozialen Netzwerkes, das Hoffmann auch deshalb so gut stricken konnte, weil er auf dem des Vaters aufbauen konnte.
Es gibt noch ein zweites Panorama, in das man beim Eingang hineintritt. Da hat man auf einen Blick das damalige Frankfurt in 360 Grad. War das klein. Da konnte man wirklich alles zu Fuß erreichen und sicher kannte jeder jeden, zumindest in seiner jeweiligen Schicht. Denn auch Hoffmann entstammte zwei sozialen Milieus. Der Vater kam aus dem Handwerkermilieu und die Mutter aus dem reichen Bürgertum. Die auf energische Initiative von Hofmann erbaute Irrenanstalt und sein Lebenswerk lag damals weit draußen und befindet sich heute als Universität auf dem gleichen Gelände mitten in der Stadt. Aber zuerst kommen im Lebensweg Kindheit und Studentenzeit dran. Ein Musterschüler war er nicht und wie immer hat man versucht, die notwendigerweise vielen Schrifttafeln durch Gegenstände der damaligen Zeit zu dekorieren. Diese Schulbänke, die gab es noch in der Nachkriegszeit!
Wir überspringen die Studentenzeit in Heidelberg und Halle und auch die vier Stationen seiner Arzttätigkeit in Frankfurt, sein geselliges Talent hatten wir schon angeführt und auch seinen Ausspruch, daß seine Lieblingsbeschäftigung das Gründen von Vereinen sei, kann man gar nicht oft genug wiederholen. Von Tutti-Frutti, wo sich die Freigeister Spitznamen gaben, aber auch seinem Einsatz in der Administration des Städelschen Kunstinstitutes sprachen wir schon. Tatsächlich fallen zwei Komponenten auf, die durchaus im Widerspruch stehen – aber erst von heute her. Nimmt man den „Struwwelpeter“ ernst in seinem Bemühen, damit seinem Dreijährigen auch ein Weltbild vermitteln zu wollen, also quasi eine ethische Erziehung, dann fällt die frühzeitige Ablehnung von Heinrich Hoffmann von jeder Art von Rassismus auf, die im 19. Jahrhundert gegenüber Negern, die wir aus guten Gründen heute Schwarze nennen. Die Geschichte vom Mohren ist einfach hinreißend in der Konsequenz der beiden bösen Buben. Aber daraus zu schließen, daß Hoffmann nun der Superrevolutionär gewesen wäre, ist – leider – falsch.
Hoffmann war ein aufgeklärter Bürger, der die Menschenrechte für alle wollte, aber er war auch ein staatstreuer Untertan und tief enttäuscht, als der preußische König die angebotene Krone 1848 nicht annahm und später tief glücklich, als es zur kleindeutschen Lösung des Deutschen Reiches 1871 unter dem nunmehr deutschen Preußenkaiser kam. Schade, daß man sich mit ihm darüber nicht mehr unterhalten, besser: streiten kann. Denn die Ausstellung bringt einem einen diskutierfreudigen Bürger entgegen, der, da sind wir sicher, mit so mancher politischer Angeberei von heute verbal abgerechnet hätte. Und seine Kommentare zur Frankfurter Politik und den Sitzungen im Stadtparlament, kann man sich lebhaft vorstellen. Und da stellt man für sich fest: So einen wie Heinrich Hoffmann könnten wir auch heute ind er Stadt Frankfurt gut brauchen!
Was diese Ausstellung leistet, ist ziemlich gewaltig. Sie nimmt erfolgreich eine Bildkorrektur des Autors vor, der – wenn überhaupt – auch in Frankfurt nur als der Verfasser des Struwwelpeter bekannt und geschätzt war. Das Begleitbuch zur Ausstellung wird das sein, was weiterwirkt. Was von diesem Heinrich-Hoffmann-Sommer außer lustvollem Beschäftigen mit dem alten Frankfurt, den alten Zeiten und den klugen und modernen Köpfen von damals in Papierform bleibt, damit man sich, wenn die Ausstellungen vorbei sind, sich all das wieder hervorholen kann, was dieser Sommer an Erkenntnis brachte. Daß wir nicht so weit – immerhin – als Gesellschaft gekommen wären, wenn es nicht solche Bürger, Neugierige, Sich Einmischende, das Gegebene nicht Hinnehmende gegeben hätte wie Heinrich Hoffmann einer war.
Hier wird von sehr viel verschiedenen Autoren der jeweilige Lebensabschnitt oder der lebensgängige Schwerpunkt aufgearbeitet, so daß aus dem Buch über Heinrich Hoffmann flugs auch ein Kompendium über das Frankfurt des 19. Jahrhunderts wird. Ein notwendiges Lesebuch für jeden Frankfurter Haushalt. Für die Schulen sowieso. Aber so lange die Ausstellung noch steht: Hingehen.
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Katalog: Heinrich Hoffmann – Peter Struwwel.“ Ein Frankfurter Leben 1009-1894., hrsg. von Wolfgang P. Cilleßen und Jan Willem Huntebrinker , Michael Imhof Verlag 2009
Ausstellung: bis 20. September 2009
www.struwwelpeter-museum.de
www.frankfurterbuergerstiftung.de
www.historisches-museum.frankfurt.de
Gängige Struwwelpeterausgaben:
Der Struwwelpeter. Mit einem Nachwort von Peter von Matt, Reclam, Stuttgart 2009
Der Struwwelpeter, Schreiber, Esslingen 1992
Neue Bücher über Heinrich Hoffmann
Heinrich Hoffmann „Dukatenbilder“, hrsg. von Marion Herzog-Hoinkis und Rainer Hessenberg, Inselverlag 2009, Insel-Bücherei Nr. 1314
Heinrich Hoffmann „Allerlei Weisheit und Torheit“, hrsg. von Marion Herzog-Hoinkis und Helmut Siefert, Mabuse Verlag 2009
Bis zu seinem Todestag am 20. September werden in Frankfurt viele Ausstellungen diesen Heinrich Hoffmann Sommer begleiten, über die wir berichten.