Ludwig Dill malt 1892 einen Winkel in Chioggia, bei dessen blockartigen Häusern, den Schornsteinen und den weiteren Formen einem einfach Cezanne in den Sinn kommt, was auch auf die Farbigkeit zutrifft. Es ist das auf Grundformen zurückgeführte Sein, was allerdings in einem weiteren Bild von ihm, einem Uferbild zu einer leicht impressionistischen Malweise und bei den Straßenszenen schon gar nicht mehr spezifisch wird. In diesen Zusammenhang gehört auch Gustav Bauernfeld, der unser typisches Venedigbild hier in Chioggia bedient.
Wer aber nun das Sujet sucht, für das die venezianische Malerei des Rokoko steht, Karneval und die Masken, so sucht er sie in dieser Ausstellung fast vergeblich. Dafür lernt er hinzu, daß mit dem Ende der Republik Venedig als unabhängiges Staatsgebilde im Jahr 1797 und Napoleon geschuldet, auch die Zeit des legendären Karnevals vorbei war. Solche auf ein Thema konzentrierte Ausstellungen, die hier Venedigbilder deutscher Künstler des 19. Jahrhunderts meint, nehmen sehr viel mehr als allgemeinere Kunstausstellungen auch eine Zeit historisch in den Blick. Das ist ein Gewinn, denn hier geht es nicht nur um Kunst, hier geht es um Kulturgeschichte, sei es das begeisterte Kopierwesen oder das Ende der Karnevals- und Maskenmalerei.
Der Karneval war in den Zeiten der Republik, die ja immer auch die Zeiten der venezianischen Oberschicht waren, geradezu zum Exzeß ausgeartet, in dem der Beginn der Maskeraden erst vom 26. Dezember an – Schluß war immer der Aschermittwoch -, dann aber sogar ab Oktober stattfand und in der Darstellung rauchender Feste oder galanter Szenen festgehalten wurde. Auch die Commedia dell`arte und Goldonis Zeiten waren vorüber. Das, was hier als trauriges Ende noch gezeigt wird, Anton Romakos hingehauchte Ballimpressionen oder das „Karnevalsfest im Dogenpalast zu Venedig“ von Karl Ludwig Becker um 1885 als Historiengemälde imposant in Szene gesetzt, sind eben historische Reflexionen auf die vergangene großartige Zeit.
Rudolf von Alt darf man als Chronisten der Lagunenstadt nicht vergessen. Wie überhaupt die Wiener, sprich österreichischen Maler schon durch die Besetzungssituation eine besondere Rolle spielen. Rudolf von Alt steuert hier die Aquarelle der „Innenansicht der Markuskirche in Venedig“ von 1874 und „Piazzetta, Blick durch die Arkaden des Dogenpalastes auf den Campanile und die Loggetta del Sansovino“ aus dem gleichen Jahr bei. Zusammen mit seinem Vater, dem in Frankfurt geborenen und bürgerlich gebliebenen Jakob Alt, waren beide mit und ohne Auftrag des Kaisers unterwegs und ließen sich von diesem ihre Malreisen gut bezahlen. Beide Aquarelle künden aber auch von der besonderen Kunstfertigkeit, mit der die Alts die kompakte Architektur Venedigs in zwar monumentale, aber dennoch feingliedrige Gebäude verwandeln, die einem vorkommen, als ob das Sonnenlicht die Steine belebt. Das gilt auch für die Pracht der Markuskirche, die einen horror vacui impliziert.
Schön, auch drei Gemälde in Öl vom Frankfurter Carl Morgenstern zu sehen, der einer der Beispiele dafür ist, wie die Künstler des 19. Jahrhunderts unterwegs waren. Sei es um sich weiterzubilden, sei es um Aufträge zu erhalten, das Unterwegsein war eine andere Größenordnung als heute. Alle drei Gemälde zeigen Morgenstern als perfekten Gestalter des konsumträchtigen Venedigbildes. „Venedig“ von 1843 ist so exakt wie stimmungsvoll gemalt, was erst recht für „Blick vom Canal Grande“ 1841/42 und das Nachtstück „Venedig bei Mondschein“ gilt. Wenn man sich anschließend noch die Abschlußwand betrachtet, eine Karlsruher Wand von Venedig, dann erkennt man abschließend, was man beim Betrachten der Einzelbilder schon mitbekam, wenn man nämlich auf den Leihgeber, den Besitzer der Bilder achtetet.
Diese Ausstellung war nur möglich durch die wohl sehr gute Zusammenarbeit des Erfurter Angermuseums und Karlsruhe, denn neben Nerly, der für Erfurt steht und den Hauptteil beigetragen hat, sind es eine große Zahl rund um Karlsruhe geborener, gelebt habender oder gestorbener Künstler, die das Bild von Venedig hochhielten. Der Wert der Ausstellung liegt auch darin, wirklich einmal ein neues, noch nicht weiter erforschtes Thema wie „Venedig in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts“ vorzustellen und damit einfach einmal im Ausstellungswesen etwas Neues zu bringen. Uns hat das sehr gefallen.
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Info:
Bis 6. März 2011
Umfangreiches Begleitprogramm ab Januar 2011
Katalog: Venedig Bilder in der Deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Stadt Karlsruhe – Städtische Galerie, Michael Imhof Verlag 2010. Dieser Katalog ist ein wahres Buch von und über Venedig und für jeden Fan ein sogenanntes Muß. Für die Kunstenthusiasten gilt das genau so, denn selten kann man so viele Differenzen und Ähnlichkeiten auf Bildern studieren, wie hier, wo ein gemeinsames Thema vorgegeben ist. Wie sehr beeinflußt die Wirklichkeit die Maltechnik ist eine der Fragen, die allein das Licht von Venedig auslöst. Genau so interessant ist es, zu studieren, wie Fotografen oder Maler bestimmte Sujets der Stadt sich einverleibt haben, wieder in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Dem Verlag ist es gelungen, den besonderen Schmelz der allermeisten Venedigbilder, hervorgerufen durch die Synthese von Wasser, Sonne, Licht und Atmosphäre im Druck zu erhalten, was beim Blättern das Flirrende der Vorlagen wiedergibt. Und natürlich sind es die Texte, die schlußendlich das kunsthistorisch oder historisch abrunden, was beim Kosmos „Venedig“ zutage tritt, eingedenk, daß man mit diesem Thema nie fertig wird, solange Venedig steht. Und das scheint ja doch sehr viel länger zu sein, als Hiobsbotschaften vergangener Jahrzehnte verkündeten. Denn auch das fällt einem auf, daß außer von Hochwasserereignissen die ehrwürdige Serenissima medial nicht mehr von Untergangsbotschaften begleitet wird. Gott sei Dank.
Tipps:
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Ein gut verständliches Standardwerk, für die die Originale von den Großkopien in der Ausstellung sehen möchten und mehr über die Maler von Venedig erfahren möchten, zum Malstil und den Besonderheiten, ist von Roberto Longhi, Venezianische Malerei, Verlag Wagenbach.
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Zur Ausstellung paßt nicht nur hervorragend die Lektüre von Franz Werfels „Verdi. Roman einer Oper“, sondern auch die Kriminalfälle des Commissario Tron, die Nicolas Remin bei Kindler herausbringt und die im historischen Milieu des 19. Jahrhunderts spielen, wichtige Affären der Zeit beleuchten, das historische Personal wie Kaiserin Elisabeth von Österreich mitspielen lassen – Achtung: die Republik Venedig war vom österreichischen Kaiserreich besetzt! – und eine vergnügliche Melange zwischen den Geheimnissen der Stadt Venedig und den Geheimnissen der Menschen dort herstellt, die allerdings wie von selbst Commissario Tron löst, der eigentlich ein verarmter Adliger ist und in einem prächtigen Palazzo wohnt, den er aber durch den Brotberuf kaum erhalten kann.
Nicolas Remin, Schnee in Venedig, Kindler 2004, Nicolas Remin, Venezianische Verlobung, Kindler 2006, Nicolas Remin, Gondeln aus Glas, Kindler 2007, Nicolas Remin, Die Masken von San Marco, 2008, Nicolas Remin, Requiem am Rialto, 2009