Olympia: Der deutsche Spagat – Sauberer Sport und dennoch positive Medaillenbilanz

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Berlin, Deutschland; Rio de Janeiro, Brasilien (Weltexpress). Da könne man schon an Doping denken, meinte Kristina Vogel. Die Briten hatten bei den Olympischen Spielen gerade die beiden Vierer-Verfolgungsrennen auf der Bahn in Weltrekordzeit gewonnen.

Deren Bilanz am Ende: In 10 Wettbewerben auf der Bahn heimsten die Briten 11 Medaillen ein, davon sechs goldene! Kein Wunder, dass diese Dominanz nicht nur bei der Erfurterin Zweifel auslösten.

Allerdings könnten Briten, Russen oder Franzosen auch Vogels Auftreten skeptisch beurteilen: Sie holte sich Gold im Sprint und bezwang dabei zwei Britinnen. Sie fuhr in der Qualifikation die schnellste Zeit, landete mit Miriam Welte im Teamsprint auf Rang drei und beendete das unglücklich verlaufende Keirinrennen auf dem 7. Platz.
Perikles Simon, Leiter der Sportmedizin an der Uni Mainz, wies in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf zahlreiche neueste Dopingmittel hin, die derzeit nicht oder kaum nachweisbar seien. Und vermutlich in Rio vor allem von Akteuren der hochentwickelten Länder eingesetzt würden. Was Deutschland angehen, so sei die Situation diesbezüglich „schwer durchschaubar“.

Dass deutsche Sportler nicht immun gegen pharmakologische Unterstützung sind, verdeutlichten die Beispiele des 5000-m-Olympiasiegers 1996, DieterBaumann, des Team Telekom im Radsport oder des Ringer-Olympiaersten 2000, Alexander Leipold. Sie alle wurden des Dopings überführt. Leipold wurde die Medaille aberkannt.
Zudem sind Deutsche in dopingaffinen Sportarten aktuell gegen vermeintlich gedopte Konkurrenz durchaus wettbewerbsfähig: im Straßenradsport mit ihren Sprintassen, im Triathlon (siehe Hawai Iron Man), in den leichtathletischen Wurfwettbewerben, im Rudern oder Kanu!

Keine Medaillen um jeden Preis

Auf der anderen Seite spricht beispielsweise der Abwärtstrend bei olympischen Medaillen für weitgehend sauberen Leistungssport. Von 82 Plaketten 1992 nach der Wiedervereinigung fiel die Ausbeute auf 41 in Peking 2008 und 44 in London 2012. In Rio de Janeiro dürften die angestrebten 44 nicht ganz erreicht werden. Beobachter vermerken einen weiteren Substanzverlust. So im Schwimmen, im Fechten oder bei den Werfern in der Leichtathletik.

Zudem sind die Kontrollen der nationalen Anti-Doping-Agentur NADA nach Anlaufproblemen so stringent wie in nur wenig anderen Ländern. Die Olympiakandidaten können jederzeit damit rechnen, sich einer Kontrolle zu unterziehen. Mit Ausnahme vielleicht von Trainingslagern irgendwo in den USA, Neuseeland oder Afrika.

Auch werden Dopingvergehen in den Medien stärker beleuchtet oder geächtet als in anderen Regionen der Welt. Der Sport-Dachverband DOSB und der wichtigste staatliche Geldgeber BMI (Bundesministerium des Inneren) betonen, „saubere Leistungen“ müssten Vorrang haben vor Medaillen um jeden Preis.

Auf Dopingkontrollen mehrere Wochen vor den Spielen zu verzichten – wie vom Gastgeber Brasilien bekannt wurde – , das könnte sich hierzulande die NADA kaum erlauben…

20 Paar Schuhe und jeweils mehrere Ersatzpferde

Immenser Aufwand logistischer Art, der Ausstattung und technischer Hilfsmittel soll den vermeintlichen Chancennachteil durch den strikten Antidoping-Kurs reduzieren oder kompensieren. So konnten deutsche Segler 70 Tage vorher die Segelreviere vor dem Zuckerhut penibel studieren. Zehnkämpfer Kai Kazmirek reiste mit rund 20 Paar Spezial-Sportschuhen an, mit einem halben Dutzend Stabhochsprung-Stangen (jede kostet 2000 bis 3000 Euro), etlichen von ihm bevorzugten Speeren, einer Kühlweste gegen Überhitzung des Organismus…Kayak-Goldlegende Sebastian Brendel verlud in die Container nicht nur ein Ersatzboot, sondern maßgefertigte Ersatzpaddel und Kniepolster. Desgleichen durften sich die Reiter den Luxus leisten, gleich mehrere Pferde pro Reiter per Flug über den Atlantik zu transportieren.

Für den Radsport, für Kanu und Rudern, Segeln, Schießen werden den Olympiastartern hochwertige Hightec-Sportgeräte (meist durch das FES/Forschungs- und Entwicklungsinstitut Sport) zur Verfügung gestellt. Da haben die Deutschen gegenüber fast allen Konkurrenten Vorteile – mit Ausnahme der industriell hoch entwickelten Länder oder der jeweiligen Sport-Topnationen.Und so ist es kein Wunder, dass der deutsche Sport vor allem dort Medaillenränge erobert, wo technisches Know How, finanzieller Aufwand oder tägliche Trainingsquälerei eine wichtige Rolle spielen: Schießen, Reitsport, Rudern. Oder in Disziplinen mit Nieschen-Charakter, die beim Medaillen-Spitzentrio USA, China, Großbritannien nicht attraktiv sind. Wer mag sich dort im Kanu wie der Potsdamer Brendel schinden, der von bis zu 10 Stunden Training täglich berichtet?! Und dafür höchstens alle vier Jahre mal von Medien oder möglicherweise bei Sponsoren Anerkennung findet.

Erstklassige medizinische Hilfen und legale Präparate

Beim Bemühen im Hochleistungssport den schwierig zu erreichenden Spagat zwischen einerseits dopingfreiem Sport und andererseits möglichst starkem Medaillenglanz dürfen die deutschen Olympia-Gladiatoren auf legale medizinische Hilfen zurückgreifen. So war Tischtennis-Ass Timo Boll beim Bronze-Streit mit Südkorea nach einer Blockierung im Nackenbereich dank erlaubter Schmerzspritzen in der Lage, sein Match siegreich zu Ende zu führen.

Ob ein Präparat des Schwimmers und Arztes Mark Warnecke im deutschen Rio-Team zum Einsatz kam, ist nicht überliefert. Warnecke, der mit Mitte 30 nochmal Weltmeister im Brustschwimmen geworden war, hatte gemeinsam mit einem Pharmakologen ein Aminosäuren-Spaltprodukt entwickelt. Die Eiweiß-Tablette AM Sport soll im Sinne eines Nahrungsergänzungsmittels alle möglichen positiven Wirkungen auf Kreislauf, muskuläre Erholung und Leistungskraft ausüben. Und steht nicht auf der Liste der verbotenen Dopingmittel.

Die Betreuer der Fußball-Nationalmannschaft haben dem Vernehmen nach vor der Heim-WM 2006 die Wunderpille in Kilomenge geordert. Geholfen hat sie allerdings nur bedingt. Denn im Halbfinale gegen Italien war das Sommermärchen beendet.

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