Insofern ist es nur konsequent, wenn Daimler neue Wege beschreitet, um den Fahrerarbeitsplatz zu verbessern. Beim 8. Internationalen Symposium der Sachverständigenorganisation Dekra zur „Sicherheit von Nutzfahrzeugen“ Anfang November im badischen Altensteig-Wart mit rund einhundert Teilnehmern aus Wissenschaft und Wirtschaft stellte Siegfried Rothe, Projektleiter bei der Daimler-Forschung, heraus, daß die Fahrer in ihrer Lkw-Kabine in einem arbeiten, wohnen, schlafen und entspannen, und das auf engstem Raum und teils wochenlang. Er und sein Team gehen daher seit Jahren und mit erheblichem Aufwand der Frage nach, wie dieser enge Raum nützlicher und angenehmer gestaltet werden kann, speziell: wie Müdigkeit am Steuer verhindert werden kann, zumal in der Unfallstatistik eine „Tendenz hin zur zunehmenden Bedeutung von Müdigkeit als Ursache von besonders schweren Unfällen“ festzustellen ist, wie Rothe bemerkt.
Die erste Erkenntnis: Wer in der Nacht schlecht schläft, arbeitet tagsüber unkonzentriert. Rothe und sein Team haben herausgefunden, daß die nächtliche Lärmbelastung an Lkw-Rastplätzen für die schlafenden Fahrer allein dadurch um die Hälfte gemindert wird, wenn der Lkw nicht zur Autobahn geparkt wird, sondern weg von ihr. Für einen erholsamen Schlaf sind Betten erforderlich, die ausreichend lang, breit und bequem sind und eine Schieflage durch abschüssiges Gelände auto-matisch ausgleichen.
Weitere Entdeckungen aus Praxistests: Während der Fahrt erhöht frische Luft die Konzentration, also hat Mercedes in seinen neuen Schwer-Lkw Actros ein Frischluftmanagement eingebaut. Und in Daimlers Test-Truck namens Topfit sind Ösen und Haken in der Kabine installiert. An denen kann der Fahrer mit Gummibändern und Seilen gymnastische Übungen gegen Verspannungen machen.
Telefonieren hilft gegen Monotonie, etwa wenn man auf der Autobahn kilometerlang nichts als die Plane des vorderen Lkw zu Gesicht bekommt. Auch hat Rothe herausgefunden, daß mancher Überholvorgang eines Lkw auf der Autobahn, der die Nerven der Pkw-Fahrer strapaziert, die Müdigkeit der Brummifahrer vertreiben soll. Daher ist das Daimler-Team auf den Kurzschlaf gekommen. Ein nur zwanzigminütiges Nickerchen verbessert die Aufmerksamkeit und bewirkt eine sicherere und wirtschaftlichere Fahrweise. Dafür haben die Forscher ein System aus Mas-sagesitz, Lenkradkissen, Beduftungsanlage und Musiksystem entwickelt: Für das Schläfchen zwischendurch kann der Fahrer es sich auf dem Lenkradkissen gemütlich machen, beruhigende Musik und Orangenaromen tun ein übriges zum Einschlummern. Das „Aufstehen“ wird durch Massage, Kaffeeduft und anregende Klänge stimuliert, zeitlich auf die Aufwachphasen des Menschen abgestimmt.
So skurril es anmuten mag, mit ätherischen Ölen gegen die Folgen eines aufzehrenden Jobs vorgehen zu wollen, so richtig ist es, den Menschen in den Mittelpunkt der Verkehrssicherheit zu stellen. Das zeigen auch aktuelle Untersuchungen der Unfallforschung der Versicherer (UDV) zur Potentialität moderner Fahrerassistenzsysteme in Lastwagen. Die Auswertung von Lkw-Unfällen, die den Versicherungsgesellschaften zwischen 2002 und 2006 gemeldet wurden, zeigte, daß Lkw mit Abstand die meisten Unfälle mit Personenwagen haben (63 Prozent), dann folgen andere Laster und Busse (19 Prozent) sowie Fußgänger, Fahrrad- und Motorradfahrer (18 Prozent). (Dabei muß berücksichtigt werden, daß die Lkw-Unfälle mit den ungeschützten Verkehrsteilnehmern die verheerendsten Folgen haben und in der Regel nur in der Stadt passieren, weshalb sie höher zu gewichten sind.)
Unübersichtliche Verkehrssituationen und Rücksichtslosigkeit
Die meisten Lkw-Crashs ereignen sich durch Auffahren (32 Prozent), beim Abbiegen (22 Prozent) und beim Spurwechsel (19 Prozent). Im Ergebnis kommen die UDV-Forscher dazu, vor allem dem Abbiegeassistenten hohes Gewicht für die Verbesserung der Sicherheit zuzuschreiben: 43 Prozent der Abbiegeunfälle wären damit vermeidbar, ebenso 31 Prozent der Getöteten, 44 Prozent der Schwer- und 42 Prozent der Leichtverletzten. Der Bremsassistent, der sich bewegende wie stehende Objekte erkennt, könnte zwölf Prozent der Unfälle seiner Kategorie verhindern, und ein Rückwärtige-Kamera-Assistent (erkennt beim Rangieren Fußgänger) könnte 26 Prozent der Schwer- und 37 Prozent der Leichtverletzten durch solcherart Unfälle verhindern. Eines fällt auf: Es geht bei diesen häufigsten Unfallarten um solche, die mit unübersichtlichen Verkehrssituationen zu tun haben und ob Rücksicht oder Ellenbogenmentalität dominiert.
Eine weitere Entdeckung der UDV-Forscher betrifft die Busse und ist überraschend. Der Bus gilt, gemessen an den gefahrenen Personenkilometern, als das sicherste Verkehrsmittel. Unbekannt war bislang jedoch, daß eine nennenswerte Anzahl von Verletzungen der Buspassagiere gar nicht durch einen Verkehrsunfall herrühren, sondern durch plötzliche Fahrmanöver wie Bremsen und Ausweichen. Sogar beim Anfahren, Aus- oder Einsteigen kommen Menschen zu Schaden. Von 213 untersuchten Busunfällen war immerhin jeder vierte ein solcher „Non-Crash-Event“. Insbesondere für stehende ältere Passagiere in Linienbussen ist das Risiko hoch. Der UDV fordert daher energieabsorbierende Fußböden, gepolsterte Haltestangen und Sitzlehnen sowie verbesserte Ein- und Aussteigemöglichkeiten.
So einfach der Sicherheitsgurt ist, so wirksam ist er: Bei einem Lkw-Crashtest 1998 mit nur 30 km/h wurde der angegurtete Fahrerdummy nur gering verletzt, während der nicht angegurtete Beifahrerdummy schwerste bis tödliche Verletzungen davontrug und durch die Windschutzscheibe hindurch aus dem Fahrzeug herausgeschleudert wurde.
Doch auch wenn die Gurtanlegequote in Nutzfahrzeugen stetig steigt, sind die Sicherheitsexperten nicht zufrieden. Nach aktuellen Berechnungen der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) waren die Fahrer schwerer Lkw (über 3,5 Tonnen) auf Autobahnen und Landstraßen zu 81 Prozent angeschnallt (2003: 45 Prozent) und von leichten Lkw zu 94 Prozent (78 Prozent). Damit liegen sie immer noch weit entfernt von der Pkw-Quote mit 99 Prozent, zumal „im realen Unfallgeschehen mit schwerverletzten oder getöteten Lkw-Fahrern von einer nach wie vor erheblich zu niedrigen Gurtanlegequote auszugehen“ ist, so Jürgen Bente vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat.
Der DVR verfolgt das Ziel einer hundertprozentigen Gurtanlegequote. Zu Recht: Unfälle mit Dif-ferenzgeschwindigkeiten von 70 km/h und mehr können mit dem Gurt gesicherte Lkw-Fahrer gering oder unverletzt überstehen. Gleichzeitig ist der Gurt der „Basisschutz“ für den Airbag und die sichere Fahrgastzelle. Moderne Gurtsysteme sind in den Sitz integriert und erhöhen damit den Anlege- und Tragekomfort, weil der Gurt besser am Körper anliegt, was insbesondere für lange Fahrten angenehmer ist.
kb