Ein Fahnenmeer auf der nördlichen Waldseite des Stadions grüßte die veilchenfarbenen Fans auf der anderen Seite, deren Banner mit den gekreuzten Bergmannshämmern im großen „W“ geschmückt waren. Wismut Aue – der wohl legendärste Kickerverein im Osten zu Gast bei Union, dem eisernsten unter den Balltreter-Klubs. Natürlich nennt keiner der mitgereisten Fans aus Westsachsen seinen Verein Erzgebirge Aue – viel zu umständlich und auch irgendwie unverständlich diese Umbenennung aus dem Jahre 1993. Was soll’s. Die Tradition der Kicker aus dem Lößnitztal kann auf die meisten DDR-Oberligaspiele zurückblicken: 1019 insgesamt. Und immerhin spielten 15 Auer in der Nationalmannschaft des kleineren Teils Deutschlands. Mit solchen Meriten und auch noch drei DDR-Meistertiteln kann Union nicht aufwarten.
Aber heute stehen die Berliner jedenfalls bedeutend besser da. Im sicheren Mittelfeld haben sie nichts mit dem Abstieg zu schaffen. Die Gäste hingegen müssen noch einige Punkte sammeln, um dem Abstiegsgespenst zu entkommen. Aber die letzten vier Spiele wurde nicht verloren, und so hofften die Männer von Trainer Karsten Baumann, diese Serie an der Wuhlheide fortzusetzen. Sie begannen auch furios und setzten gleich drei starke Duftmarken vor dem Tor von Jan Glinker.
Der musste mit einer neu formierten Abwehr klar kommen, weil der lange Stuff wegen einer Lungenentzündung eine Weile fehlen dürfte. Auch sonst macht sich die anstrengende Saison bemerkbar: Silvio, der technisch starke Stürmer fehlt angeschlagen. Dafür darf Steven Skrzybski erstmals von Beginn an spielen. Der 20-Jährige hat seinen ersten großen Moment in der 9. Minute. Einen langen Ball aus der Abwehr leitet er exakt dem startenden Ede in den Lauf. Der umkurvt den herausstürzenden Auer Torhüter Martin Männel und schiebt die Pille seelenruhig in das leere Tor. Männel bleibt nur noch, wütend mit der Faust auf den Rasen zu schlagen. Dieser wurde in der Folgezeit auch weiterhin stark strapaziert. In den nächsten Minuten war Union am Drücker. Einen Freistoß aus etwa 20 Metern halblinks schlug Torsten Mattuschka über die Mauer auf Männels Tor. Nur eine so elegant wie entschlossene Flugparade des Auer Schlussmännels verhinderte, dass die Kugel neben dem Pfosten im Netz einschlug. Der abprallende Ball, von Simon Terodde zurück in Richtung Tor gedroschen, verfehlte leider auch sein Ziel.
Es war die beste Periode im Spiel der Hausherren. Im Minutentakt rollte ein Sturm durch den Auer Strafraum. Meist rettete Männel. So zweimal gegen Skrzybski aus sieben Meter Entfernung oder Terodde, der ebenfalls zweimal knapp verfehlte. War Männel geschlagen, so stand immer noch ein Bein eines Auer Spielers im Weg.
Aber auch die Gäste hielten sich nicht zurück. Nach einer halben Stunde hatten sie sich wieder gefangen. Nun wogte das Geschehen zwischen beiden Toren hin und her. Den Auern wird nachgesagt, dass sie eher den kämpferischen und schnellen Stil wie auf der britischen Insel nacheifern. An diesem Abend, galt das für beide Teams.
Auch nach der Pause ging es so weiter. Vielleicht nicht mehr ganz so geordnet wie zuvor, indes nicht weniger engagiert. Aue musste mehr tun, um den Rückstand aufzuholen. War auch scheinbar überlegen. Die gefährlicheren Aktionen jedoch zeigten die Eisernen. Im eigenen Stadion konnten sie kontern. Allerdings manchmal erschienen sie vor dem sicheren Männel etwas ratlos.
Als Uwe Neuhaus, Unions Coach, in der 66. Minute den lange verletzten Christopher Quiring einwechselte, schien der schnelle Außenspieler wieder neuen Schwung in die Aktionen seiner Spielkameraden zu bringen. Auch die Hoffnung im gut gelaunten Publikum stieg, ein weiteres Tor zu sehen und damit endgültige Sicherheit für einen Sieg zu erlangen. Umso größer das Entsetzen nach 13 Minuten als Quiring verletzt und deprimiert den Rasen verließ und in der Kabine verschwand.
Neuhaus konnte keinen Spieler mehr bringen, sein Auswechselkontingent war bereits ausgeschöpft. Der Auern gab die zahlenmäßige Überlegenheit natürlich auch moralisch Auftrieb, setzte zusätzliche Kräfte frei. 12 Minuten war nun Zittern angesagt.
Union stemmte sich mit allen Mitteln gegen die anstürmenden Gäste. Jeder siegreiche Zweikampf, jeder ins Aus geschlagene Ball und jede Parade von Glinker wurde frenetisch bejubelt. In der 84. Minute dann beinahe hörbar das Stocken des Atems von knapp 16 000 Unionern. Glinker hatte mit dem Fuß einen gefährlichen Schuss von Mike Könnecke abgewehrt.Der Ball indes rollte zu Savran, der aus etwa 12 Metern die Kugel mehr als einen Meter über das leere Tor ballerte. Der Stürmer hätte sich wohl am liebsten in einem Maulwurfloch versteckt. Ausgerechnet hier, wo er noch vor einem halben Jahr zu Hause war, so eine Gurke. An diesem Abend war Savran neben dem verletzen Quiring gewiss der traurigste Mann.
Als Schiedsrichter Felix Brych nach 92 Minuten dem Ost-Derby mit dem Schlusspfiff ein Ende setzte, saßen nicht nur enttäuschte Auer Spieler auf dem Rasen. Auch die Unioner sanken völlig ausgelaugt zu Boden – aber glücklich.
Der Mob auf den Rängen tobte vor Begeisterung, und nach wenigen Minuten hüpften auch die eisernen Kicker unter den Gesängen auf den Rängen über den Rasen. Nur der Mond, rund und gelb über dem Stadion, schaute still dem Treiben zu.
„Das war diesmal wirklich ein dreckiger Sieg“, meinte Markus Karl, Unions Defensivstratege. „Aber oft haben wir schön gespielt und dann nichts mitgenommen.“ Damit traf der Mann gewiss die Meinung der meisten zufrieden durch die Wuhlheide strömender Zuschauer. Ostern kann kommen.