Ein Fallbeispiel, ein Schicksal. Als "Wehrkraftzersetzung" wurden alle auch nur annähernd kritische, humoristische oder einfach realistische Äußerungen zu negativen Erfahrungen in der Wehrmacht, an der Front, zur Kriegslage oder zu NS-Größen von der nationalsozialistischen Militärjustiz strengstens bestraft. Auf knapp vierhundert Seiten untersucht die Historikerin Hornung Fälle aus der NS-Militärjustiz. Anhand eines geschlossenen Bestandes von Prozessakten des Militärgerichts der Außenstelle Wien und ausgewählter Interviews legt Hornung eine quantitative und qualitative Auswertung vor: In detailreichen Fallgeschichten werden biografische und soziale Hintergründe, Motive, Interessen, Konflikte, sowie unterschiedliche Reaktionsweisen der DenunziantInnen und der angezeigten Soldaten sichtbar.
Im einleitenden Kapitel „Nationalsozialistische Militär- und Strafjustiz“ werden die (straf)-rechtlichen und gesellschaftlichen Hintergründe erläutert, im Abschnitt „Denunziation als soziales Phänomen“ unterscheidet die Autorin zwischen Denunzieren, Klatschen und Gerüchteverbreitung und definiert Orte der Denunziation. Das liest sich spannender, als es zunächst scheinen mag. Wer wann wo warum und was angezeigt hat, wo die Grenzen zwischen nachbarlichem Tratsch und für den Betreffenden sehr gefährlicher Denunziation gelegen haben, wird hier ausführlich beleuchtet. Mit Diagrammen und Tabellen unterfüttert Hornung anschaulich ihre umfangreichen Analysen. Welche „Delikte“ wurden angezeigt, welche Altersgruppe verriet und welche wurde verraten? Die Anzeigenden waren in der Mehrheit unter 28 Jahre alt, die Angezeigten im Schnitt 10 Jahre älter und fast ausschließlich Männer. Frauen machten 24% der Denunzianten aus, Männer 55% (der Rest ließ sich nicht geschlechtsspezifisch zuordnen, Behörden bzw. anonym).
Im Resümee folgert die Autorin zusammengefasst, dass Denunziationen eher außerhalb von engen Beziehungen stattfanden, meist an öffentlichen Schauplätzen, dass mehr Männer als Frauen denunzierten, aber Frauen die soziale Kontrolle über ’politisch korrektes` Verhalten an der ’Heimatfront` ausübten. Politische Motive dominierten kaum, Ängste spielten eine große Rolle. Der besondere Schatz dieser Arbeit liegt in den vielfältigen verarbeiteten persönlichen Schicksalen, die sich wie Einzelromane lesen. Abgründig erscheint, wie anfällig der Mensch gegenüber Verrat ist und bleibt. Unabhängig von der fachlichen Aussagekraft dieses wohl zukünftigen Standardwerkes besticht das Buch durch die sorgfältige und schöne Edition und den literarischen Aussagewert seiner authentischen Fallstudien – mögen sich Regisseure und Autoren hier bedienen, wir bekämen Dramen klassischen Formats!
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Ela Hornung, Denunziation als soziale Praxis, Fälle aus der NS-Militärjustiz, 377 S., Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar 2010, 29,90 €