Mancher Rixdorfer bemüht sich, das sein Teil des Bezirks Neukölln, der auch Neukölln heißt, wieder in Rixdorf benannt wird, doch von der Hochburg schlechter Sitten wissen die Zugezogenen wenn überhaupt, dann wenig, so wenig wie über den Titel „Ort der Vielfalt“, den Neukölln nach dem Ende als Häusermeer im Amerikanischen Sektor von 1945 bis 1990 trägt. Der Mischmasch von Neukölln wird als „Vielfalt“ bewundert und der Pleite- und Problembezirk mit Plakette und Preis belohnt – und das ausgerechnet von denjenigen, die dort nicht wohnen wollen würden.
Michaela Behrens mag das wohl, dort wohnen. Anfang der 1990 sei sie dorthin gezogen, als der Norden Neuköllns noch als No-go-Area galt. Keine Ahnung, welchen Häuser und welche Straße – besser: welchen Kiez – sie meint, wenn sie schreibt, dass „das Viertel ”¦ doch mit Abstand der interessanteste Stadtteil Berlins“ sei. Vor allem: Welche Menschen und welchen Abstand meint die Autorin?
Vielleicht den veganen Ex-Zivi Niels Hartanto oder den Pfaffen Jean-Claude Périset oder die Mullah-Mama Halla Osman, gewitzigt auch Stadtteilmutti genannt. Immerhin kommen Erich Mühsam und Werner Seelenbinder wenn auch nicht zu Wort, so doch zu Ehren. Der Kampfsportler und politische Kämpfer Seelenbinder sei als Kommunist, hält Behrens fest, von deutschen Faschisten im Februar 1942 verhaftet, gefoltert und ermordet worden. „Am 24. Oktober 1944 wurde der Sportler mit auf dem Rücken gefesselten Händen seinem Henker ausgeliefert“, schreibt Behrens (S. 139). Mühsam erfährt in Bezug auf die Hufeisensiedlung, in der er einmal wohnte, als Anarchist und Schrifsteller Erwähnung. Auch er wurde von deutschen Faschisten ermordet. Mühsam starb am 10. Juli 1934 „im KZ Oranienburg“ (S. 45). Behrens weist in Sachen Seelenbinder auf den Werner-Seelenbinder-Sportpark Neukölln und auf dessen Grab mit dem Hinweis auf einem Gedenkstein: „Dem Gedenken der deutschen Sportler die im Kampf gegen Krieg und Faschismus ihr Leben liessen.“ In Neukölln erinnert ein Gedenkstein an Erich Mühsam, in der Hufeisensiedlung.
Behrens Buch ist ein Sammelsurium von Namen in Verbindung mit Neukölln. Wer`s mag, wird sich beim Lesen angenehm unterhalten fühlen. Die Obdachlosen unter den Belogenen und Betrogenen, die Frank Zander regelmäßig zu Weihnachten ins „Estrell Hotel an der Sonnenalle“ (S. 89). Denen sollte Zander nach einer warmen Mahlzeit statt „Stadtgespräche aus Neukölln“ besser anarchistische und kommunistische Kost geben. Doch wie immer wird erst der Bauch mit Gans und dann der Kopf mit Belanglosigkeiten gefüttert. Alle Jahre wieder. Das ist ganz nett, wie das Buch. Mehr nicht.
Mehr als eine Sammlung von irgendwie herausragenden Personen an herauszustellenden Orten, genauer: Portraits von Neuköllnern in Neukölln, soll die Sammlung nicht sein. Autorin und Buch sind nicht politisch, die Autorin verhilft dem Leser eher zu einem Blick ins Private. Auf diese Weise bieten die vielen bunten Bilder im Buch auch einen Blick (den von Behrens) auf – erneut – Neukölnner in Neukölln.
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Michaela Behrens, Stadtgespräche aus Neukölln, 192 Seiten, 14 x 21 cm, Paperback, Gmeiner Verlag, Meßkirch Juni 2014, ISBN: 978-3-8392-1559-3, Preise: 14,99 EUR (D), 15,50 EUR (A)