Nach Venedig gehen, um zu sterben? – Serie: Traumhafte „Venedig-Bilder in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts“ in der Städtischen Galerie Karlsruhe (Teil 1/3)

Friedrich Nerly, Canale Grande mit Palazzo Fondaco dei Turchi, um 1845, Angermuseum

Und da sind wir schon mittendrinnen im Mythos, den Venedig im 19. Jahrhundert darstellte, was sich im 20. Jahrhundert und auch heute fortsetzte, denn nicht umsonst spielen bekannte Krimireihen wie Donna Leon und Nicolas Remin in der La Serenissima, wie ihr Beiname heißt, der auf Deutsch heiter und gelassen bedeutet. Venedig war eine der Hauptstationen auf der Grand Tour der Begüterten, junge Adlige, die von den Familien in den Süden geschickt wurden, damit sie dort die Kunst und das Leben, sprich Lieben erlernen. Von dieser Faszination leben die in Karlsruhe versammelten 150 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und historischen Fotografien mit Stadtansichten, Darstellungen berühmter Sehenswürdigkeiten, Alltagssituationen oder romantischer Mondscheinszenen von Malern, Zeichnern und Fotografen aus dem deutschsprachigen Raum.

Wir haben mit den Fotografien begonnen. Carlo Naya, 1816-1882, nimmt die Pracht der Paläste auf, die aber schon damals etwas Dekadentes haben, und eine der Attraktionen ist auch das Standbild des Condoliere Bartolomeo Colleoni, das eine tolle, weil typisch venezianische Geschichte hat. Das war ein Söldnerführer aus Bergamo – wo sein Standbild hoch geehrt wird -, der der Republik Venedig 1475 ein riesiges Vermögen vererbte, wenn sie sein Reiterstandbild vor San Marco errichteten. Das hatte immerhin der Florentiner Andrea Verrochio in Bronze gegossen, aber die schlitzohrigen Dogen stellten das Standbild nicht am Markusplatz sondern vor ihrer Scuola auf. Jakob August Lorent, 1813-1884, war Reisephotograph, auch er bringt das Reiterstandbild, wie überhaupt sich die Motive schon deshalb ähneln, weil die Paläste bei aller Verschiedenheit doch die Monumentalität, die Blockhaftigkeit, die Repräsentanz im Dekor und oft die Lage am Wasser, den Kanälen gemeinsam haben.

Schaut man sich diese beiden so frühen Fotografen genauer an, so erkennt man systematische Unterschiede der Aufnahmetechnik. Lorent geht dichter ran und zieht seine Negative auch dann noch auf Großformaten ab, er ist sozusagen der Modernere, der schon Details zu eigenen Bildern macht, der Ausschnitte wagt und Schrägperspektiven und der gekonnt das Spiel von Licht und Schatten beherrscht, wofür das Licht von Venedig berühmt ist. Es ist überhaupt das Licht von Venedig, von dem man nun erkennt, wie tief es die Bildkünstler beeindruckte, über das man schwärmen müßte. Das sanfte Licht des Südens umfängt einen, wenn man nun die ersten Gemälde betrachtet. Alles sieht nach Sonnenuntergang aus, Wolken am Himmel, zart und flatternd, kräuselndes Wasser, Schiffsmaste, Schoner und die Unendlichkeit des Meeres dahinter und der aus Erfurt stammende Friedrich Nerly,1807–1878, der die meisten Gemälde zur Ausstellung beisteuert, nennt das Bild auch so, wie wir es sehen: „Venedig bei Sonnenuntergang“, Rieger malt um 1880 „Sommerabend in Venedig“, Achenbach im Jahr 1893 „Abendstimmung in Venedig“. Alles ist voller Gefühl, sehr melancholisch und leicht traurig schön bei diesem Blick auf Venedig, der vom Zusammenklang von Himmel und Wasser, Architektur und Schiffen lebt.

Daß wir in Friedrich Nerlys „Venezianischer Gondoliere vor Stadtansicht“ um 1860 dieselben romantischen Venediggefühle wiederfinden, nur diesmal alle in Blau getönt, hat mit dem Sujet des Gondoliere zu tun, der hier aufrecht stehend in der gedeckten Gondel eine junge Dame spazieren fährt, die in ihrer Kajüte ein Buch liest und das schöne Venedig im Hintergrund Venedig sein läßt. Wir aber denken uns, kein schlechter Platz für eine konzentrierte Lektüre. Solche ein Bild ruft in anderer Weise die Sehnsucht nach dem Süden wach, denn zu den Schönheiten des Orts, des Wassers kommen noch die Dimension des Verwöhntwerdens und Luxus`, der Sommerwärme und der Kontemplation hinzu.

Daß es bei der malerischen Sehnsuchtsmetapher „Venedig!“ nicht bleibt, hat eine kluge Ausstellungsregie in die Wege geleitet, indem die beiden nächsten Räume uns einmal ganz nach innen in die Paläste und Kirchen führen, ein andermal die architektonischen Höhepunkte Venedigs an den Wänden vorführen. Es hatte sich nämlich die Venedigbegeisterung der Schöngeister und Intellektuellen, die seit der Renaissance durch den Drucker Aldus Manutius und den Humanismus, durch die Maler des Cinquecento Giorgione, Tizian, Veronese, Tintoretto, – Bellini und Carpaccio hatte man lange vergessen und Tiepolo kam später – über viele Jahrhunderte gehalten, flammte aber im 19. Jahrhundert heftig auf. . Hier nun im offenen Lichthof des Museums hängen die gewaltigen Werke, die deutsche Künstler in Auftragsarbeit von den großen Venezianern kopieren durften, mußten, wollten. Fortsetzung folgt.

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Info:

Bis 6. März 2011

Umfangreiches Begleitprogramm ab Januar 2011

Katalog: Venedig Bilder in der Deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts, hrsg. von Stadt Karlsruhe – Städtische Galerie, Michael Imhof Verlag 2010. Dieser Katalog ist ein wahres Buch von und über Venedig und für jeden Fan ein sogenanntes Muß. Für die Kunstenthusiasten gilt das genau so, denn selten kann man so viele Differenzen und Ähnlichkeiten auf Bildern studieren, wie hier, wo ein gemeinsames Thema vorgegeben ist. Wie sehr beeinflußt die Wirklichkeit die Maltechnik ist eine der Fragen, die allein das Licht von Venedig auslöst. Genau so interessant ist es, zu studieren, wie Fotografen oder Maler bestimmte Sujets der Stadt sich einverleibt haben, wieder in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Dem Verlag ist es gelungen, den besonderen Schmelz der allermeisten Venedigbilder, hervorgerufen durch die Synthese von Wasser, Sonne, Licht und Atmosphäre im Druck zu erhalten, was beim Blättern das Flirrende der Vorlagen wiedergibt. Und natürlich sind es die Texte, die schlußendlich das kunsthistorisch oder historisch abrunden, was beim Kosmos „Venedig“ zutage tritt, eingedenk, daß man mit diesem Thema nie fertig wird, solange Venedig steht. Und das scheint ja doch sehr viel länger zu sein, als Hiobsbotschaften vergangener Jahrzehnte verkündeten. Denn auch das fällt einem auf, daß außer von Hochwasserereignissen die ehrwürdige Serenissima medial nicht mehr von Untergangsbotschaften begleitet wird. Gott sei Dank.

Tipps:

  1. Ein gut verständliches Standardwerk, für die die Originale von den Großkopien in der Ausstellung sehen möchten und mehr über die Maler von Venedig erfahren möchten, zum Malstil und den Besonderheiten, ist von Roberto Longhi, Veneziansiche Malerei, Verlag Wagenbach.

  2. Zur Ausstellung paßt nicht nur hervorragend die Lektüre von Franz Werfels „Verdi. Roman einer Oper“, sondern auch die Kriminalfälle des Commissario Tron, die Nicolas Remin bei Kindler herausbringt und die im historischen Milieu des 19. Jahrhunderts spielen, wichtige Affären der Zeit beleuchten, das historische Personal wie Kaiserin Elisabeth von Österreich mitspielen lassen – Achtung: die Republik Venedig war vom österreichischen Kaiserreich besetzt! – und eine vergnügliche Melange zwischen den Geheimnissen der Stadt Venedig und den Geheimnissen der Menschen dort herstellt, die allerdings wie von selbst Commissario Tron löst, der eigentlich ein verarmter Adliger ist und in einem prächtigen Palazzo wohnt, den er aber durch den Brotberuf kaum erhalten kann.

Nicolas Remin, Schnee in Venedig, Kindler 2004;Nicolas Remin, Venezianische Verlobung, Kindler 2006: Nicolas Remin, Gondeln aus Glas, Kindler 2007; Nicolas Remin, Die Masken von San Marco, 2008; Nicolas Remin, Requiem am Rialto, 2009

Internet: www.staedtische-galerie@karlsruhe.de

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