Möhren-Radieschen-Tomatensalat-geil

Szene aus der Kinderoper "Schneewittchen und die 77 Zwerge", Komische Oper Berlin, 2015. © Foto: Monika Rittershaus, 2015
Wetten: Selbst aus dem Telefonbuch ließe sich eine erfolgreiche Kinderoper machen, vorausgesetzt, das Team der Komischen Oper nähme die Sache in die Hand. Die erprobten Kollegen könnten garantiert auch für diese Aufgabe einen fähigen Komponisten oder gar eine Komponistin begeistern. Dramaturgen, Bühnenbildner, Kostümgestalter dürften um die ulkigsten Einfälle wetteifern und der Kinderchor zeigen, was er drauf hat. Und die Sängerinnen und Sänger würden wieder einmal beweisen, dass sie für das jüngste Publikum ihr Bestes geben. Im ausverkauften Haus – selbstverständlich.

Es war eine nachhaltige Idee von Andreas Homoki, international gefragter Regisseur und von 2004 bis 2012 Intendant des Hauses in der Behrenstraße, alljährlich die Neuproduktion einer Oper für junges Publikum mit dem gleichen Engagement und Aufwand zu erarbeiten wie eine »normale« Inszenierung: mit großem Orchester, erstklassigen Solisten und Chorsängern. Mit einer fantasievollen Ausstattung sowieso. Und das Ganze auf der großen Bühne des traditionsreichen Hauses zu zeigen und nicht – wie andernorts gern – im Foyer oder auf der Probebühne. Intendant Barrie Kosky führt das gern weiter. Die Aufführungen sind seit Jahren ein fester Bestandteil des Spielplans und in dieser Form nahezu einzigartig in der bundesdeutschen Opernlandschaft. In bester Erinnerung: »Die Schneekönigin« (2011), »Ali Baba und die 40 Räuber« (2012), »Des Kaisers neue Kleider« (2013), »Das Gespenst von Canterville« (2014). Nunmehr also »Schneewittchen und die 77 Zwerge«. Das ist kein Tippfehler, sondern der erste Gag und die Mitmach-Garantie für alle Mitglieder des Kinderchors (Leitung: Dagmar Fiebach).

Weitere Überraschungen: Schneewittchen (Alma Sadé) ist kein zartes Püppchen, sondern eine drahtige Person im pinkfarbenen Kleidchen, mit festen Zöpfen und einem rundkrempigen Hut (momentan auch hip}, die sogar Karate kann.
Der Prinz (Adrian Strooper), der wie in Grimms Märchen erst gegen Ende der Geschichte auftritt, hat seine Krone auf dicke Rastalocken gestülpt und entspricht mit albernem Kostüm, Gesang und Körpersprache sämtlichen Klischees gewisser Fernsehstars.

Ein Kaninchen (Dirk Johnston) ist neu in der Personage des alten Märchens. Ihm war ursprünglich die Rolle eines kalorienarmen Bratens zugedacht, es wurde jedoch von der Prinzessin vor den Gelüsten der bösen Stiefmutter gerettet und darf weiter mitspielen. Dem Langohr sind aus seiner Zirkuszeit die großkarierte Clowns-Hose geblieben sowie die Fertigkeiten, ein Rad zu schlagen und einen Stepptanz hinzulegen. Was ihm Schneewittchen sofort nachmacht. Das findet der neue Freund »Möhren-Radieschen-Tomatensalat-geil«. Er heißt übrigens Richard III. – um sich vom gleichnamigen Vater und Opa zu unterscheiden!  Mehr Witz war allerdings nicht drin.

Wenig zu lachen gibt es auch, wenn die schönheitswahnsinnige Königin (Susanne Kreusch), ins Spiel kommt, giftgrün gewandet und mit ausladender Tolle ausgestattet (Kostüme: Karin Fritz). Die hat offensichtlich zu viele bunte Zeitungen gelesen. Und um die Schönste im ganzen Land zu bleiben, will sie die Konkurrenz ausschalten. Doch das kann, wie jeder Märchenfreund weiß, schwieriger werden als geplant. Der gelangweilte und ewig müde Spiegel (Nikola Ivanow) konfrontiert seine Chefin immer wieder mit der Wahrheit: Schneewittchen bleibt die Allerschönste. Aber eines Tages liegt es doch im Glassarg, beweint von den 77 Zwergen.

Da schwingt am langen Seil der Prinz in die Szene. Er entflammt sofort in heißer Liebe zur leblosen Schönen, stolpert vor Aufregung, und durch die Erschütterung fällt dieser das vergiftete Apfelstückchen aus dem Hälschen. Sie steigt aus dem Glaskasten, und auch die allgemeine Stimmung hebt sich. Die wird gesteigert durch das Bekenntnis des Prinzen, er habe sein ganzes Vermögen an sein Volk verteilt und nur noch zwei Wünsche: Schneewittchen heiraten und einen Zirkus aufmachen. Da machen sofort alle mit. Schneewittchen gibt die Zirkusprinzessin. Die unterirdische Wohnhöhle der Zwerge, vom Bühnenbildner Lukas Noll verschwenderisch mit Spielwaren, einer Showtreppe sowie zwei Rutschen ausgestattet, wird zur Manege und das Ganze zur Zirkusnummer. Wen wundert`s, dass sich auch die böse Stiefmutter einstellt. Sie bekommt, was sie verdient hat: jeden Tag von morgens bis abends Torten und Kuchen satt, und alles mit Sahne. Ein wirklich überraschender und ulkiger Einfall der Librettistin Susanne Felicitas Wolf. Extra-Applaus.

Fazit: Aus einem bewegenden, farbigen Märchen ist eine kunterbunte, temporeiche Show geworden (Regie: Christian von Götz). Die Musik von Elena Kats-Chernin ist ein Melodienmix aus Klassik, Musical und Pop, Zeichentrickfilm und Schlager (musikalische Leitung: Pawel Poplawski). Das entspricht sowohl den Seh- als auch den Hörgewohnheiten eines Großteil des Publikums. Langanhaltender Beifall.
Überraschungen auch andernorts. Wenn in der Vorweihnachtszeit ein Kinderkonzert der Berliner Philharmoniker angesagt ist, kann das kleine und große Publikum mit Besonderem rechnen. Und wenn es »Merry QUIZmas« heißt, sind die Erwartungen extra hoch. Staunen schon vor Beginn des Spiels: Ein langes Band teilte den Großen Saal und die Bläsergruppe in eine rote und eine grüne Fraktion. Entsprechend farbig der Weihnachtsbaumschmuck, die Socken der Musiker sowie Pulli respektive Hemd der Fraktionsvorsitzenden, Pardon: der Teamleiter. Das waren bei den Roten Sarah Willis, moderierende Hornistin beziehungsweise hornspielende Moderatorin des Orchesters, und bei den Grünen Malte Arkona, unüberhörbar vielen Besuchern bestens bekannt als KiKA-Moderator.

Nach fröhlichem Bläserauftakt wurde geklärt, dass zum Team auch die Schlauberger der jeweiligen Saalhälfte rechnen. Erste Quiz-Frage: Wo spielten die Berliner Philharmoniker vor hundert Jahren – in einer Eishalle oder in einer Radsportarena? Mit farbigen Lämpchen, kleines Geschenk des Hauses, signalisierten die Kinder ihre Entscheidung. Ein Mitmachkonzert. Auf Maltes Seite leuchtete es bunter. Richtig war Radsportarena. Er durfte einem »seiner« Musiker die erste Mütze aufsetzen. Eine grüne, klar. Sarah feuerte ihr Team an: »Wir schaffen es!« Aber auch die nächste Frage: Seine Vögel fängt Papageno für den Zoo oder für die Königin der Nacht? brachte eine grüne Mütze. Die Quizmaster testeten das Publikum mit mehr oder minder spannenden Fragen zu den Themen Märchen, Musik, Weihnachten.

Weihnachtliche Musik von Mozart, Rossini, Bizet und Humperdinck sorgte zwischendurch für die Entspannung der kleinen grauen Zellen. Nach der mehrfachen Wiederholung des Mantras »Wir schaffen es!«, trugen schließlich auch fast alle Musiker des Teams Sarah eine Mütze, eine rote, klar. Aber Grün hatte eine mehr. Da musste Sarah – die Gründe sind schwer nachvollziehbar – in ein Weihnachtsbaum- (nicht Weihnachtsmann-) Kostüm steigen. Es stand ihr ausgezeichnet. Und dann war die Zeit gekommen für den Valse de Flocons de neige – den Schneeflöckchenwalzer von Peter Tschaikowski und für die 100 Schülerinnen und Schüler der Grundschule an der Wuhle in Hellersdorf, die von überall her auf die Bühne geschwebt kamen. Das war garantiert ein nachhaltiges Erlebnis für alle, die mitmachen, und für die, die dabei sein durften.

Das Familienkonzert wurde live und kostenfrei in der Digital Concert Hall  übertragen und lockt sicherlich zu einem Besuch kommender Familienkonzerte in die Philharmonie.

Anmerkung:

Der Beitrag wurde in Ossietzky 25/21015 erstveröffentlicht.
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