Berlin, Deutschland (Weltexpress). Es muss wirklich eine schreckliche Sünde gewesen sein, die Tucker Carlson mit seinem Interview begangen hat. Dass ihm die Qualifikation als Journalist abgesprochen wird, ist noch das Mindeste. Die Frankfurter Rundschau etwa geht bis zur offenen Drohung.
Die Reaktionen auf die Bestätigung, dass Tucker Carlson tatsächlich ein Interview mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geführt hat, war Anlass zur Reaktivierung eines ganzen Vorrats antirussischer Behauptungen, für Verzerrungen und letztlich sogar für Drohungen verschiedener Art.
Das Einfachste ist noch die Art und Weise, wie die Aussagen von Kremlsprecher Dmitri Peskow verzerrt wurden. Ausgangspunkt war Carlsons Bemerkung, er sei der erste westliche Journalist seit Jahren, der ein solches Interview versuche: „Nein, Herr Carlson hat nicht recht. In der Tat kann er das nicht wissen. Wir erhalten viele Anfragen für Interviews mit dem Präsidenten, aber wenn es um die Länder des Westens geht, handelt es sich meist um große Onlinemedien: traditionelle Fernsehsender, große Zeitungen, die sich keineswegs rühmen können, zumindest unparteiisch über die Ereignisse zu berichten.“
Der Kölner Stadtanzeiger blieb nahe am Original, veränderte die Aussage aber durch Kürzung, und strich insbesondere den wichtigen Satz „In der Tat kann er das nicht wissen“: „‚Herr Carlson hat Unrecht‘, teilte Putin-Sprecher Dmitri Peskow den Staatsmedien mit. Es seien zahlreiche Anfragen für Interviews mit Putin in Moskau eingegangen, erklärte Peskow. Diese kämen allerdings von etablierten Medien und ‚traditionellen TV-Sendern‘, im Kreml bestehe ‚kein Wunsch, mit solchen Medien zu kommunizieren‘, fügte Peskow demnach an.“
Die wirkliche Verzerrung fand in der Überschrift statt, die nämlich vermeintlich durch ebendieses abgeänderte Zitat begründet wurde: „Tucker Carlson interviewt Putin – und die erste Lüge fliegt sofort auf“. Wäre der gestrichene Satz mit zitiert worden, wäre klar, dass es sich eben um keine Lüge handelt. Der Kölner Stadtanzeiger unterstellte jedoch Peskow auch noch: „Eine Behauptung des Trump-Vertrauten geht sogar Moskau zu weit.“ Dieser Trick ist wichtig, um anschließend die Aussagen zu diskreditieren, die Carlson in seinem kurzen Begründungs-Video machte: „Die meisten Amerikaner seien nicht informiert, weil ihnen niemand die Wahrheit sage und die Medien korrupt seien. Belege für seine Thesen präsentierte Carlson nicht.“
Das musste er auch nicht, für aufmerksame Leser hat der Kölner Stadtanzeiger sie geliefert.
Sehr schön ist hier auch das unvermeidliche „Experten-Zitat“, das dieses Mal von Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik stammt. Der Mitarbeiter der BND-Stiftung erklärte: „Carlson ist schlau und seine Agenda ist klar. Er und Putin werden hervorragend zusammenarbeiten, um das falsche Narrativ über die Ukraine zu verstärken, Biden zu schwächen und Trump zu stärken. Diese Koproduktion von ihnen ist möglicherweise der effektivste und giftigste Propagandaclip, der je erstellt wurde. Für Putin ist es schön, einen nützlichen Idioten wie Gerhard Schröder zu finden, aber einen nützlichen Zyniker zu finden, ist SO viel besser.“
Das klingt so, als hätte der BND ihm bereits verraten, was auf dem Video zu sehen sein wird.
Es gab noch eine weitere Aussage von Peskow, die gerne genutzt wurde, auch diese wurde aber eigenartig gedeutet. Ein einfaches Beispiel lieferte die Berliner Morgenpost, die diese zwei Sätze tatsächlich zitierte, aber vorab etwas hineinlas, das eben gerade nicht gesagt wurde: „Aus Kremlsicht schenkt aber Carlson, der ein Anhänger von Ex-US-Präsident Donald Trump ist, seit langem russischen Positionen Gehör. ‚Er hat eine Haltung, die sich von den anderen unterscheidet. Sie ist in keiner Weise prorussisch, sie ist nicht proukrainisch, sie ist am ehesten proamerikanisch‘, sagte Peskow.“
Der WDR umging diesen Widerspruch, indem er einfach Peskow eine Aussage in den Mund legte: „Der Kremlsprecher rechtfertigte das Interview mit einem westlichen Journalisten damit, dass Carlson seit langem russischen Positionen Gehör schenke.“
Der Focus wandelte die ganze Frage, wer wann mit Putin habe reden wollen, und warum dieser es nicht gewollt habe, in eine einzige Beleidigung um: „Dass Carlson der einzige westliche Reporter ist, mit dem Putin sprechen möchte, könnte mehr über seine journalistischen Fähigkeiten aussagen, als er glaubt.“
Beleidigungen sind überhaupt beliebt. Den Gipfel lieferte hier ein Kommentar auf ntv: „Würde Tucker Swanson McNear Carlson nur halb so viel vom Wert des Journalismus verstehen wie von einer guten Show, die Welt müsste dieser Tage etwas weniger in Sorge sein.“
Auch die vierminütige Erklärung von Tucker, warum er dieses Interview mache, fand keine Gnade vor diesem großen Journalisten: „Auch Tucker sagt: „Es gibt Risiken, ein Interview wie dieses zu machen.“ Welche das sein könnten, sagt er nicht. Es folgen stattdessen vier Minuten lang Falschbehauptungen und verhetzende Lügen.“
Nur ein kleines Beispiel dafür, was mit „verhetzende Lügen“ gemeint ist: „Die Behauptung, alle westlichen Medien würden zensiert und sie verschwiegen insbesondere im englischen Sprachraum Wahrheiten über den Ukraine-Krieg, ist eine blanke Lüge.“
Belege für seine Behauptungen lieferte dieser Kommentator nicht. Vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges hat man sogar den Eindruck, der Autor habe sich geografisch um einige Länder vertan: „Keines von Russlands unzähligen Kriegsverbrechen wird Putin einräumen: Weder die gezielte, massenhafte Bombardierung von Zivilisten, noch die Entführung und Zwangsadoption von Kindern aus den besetzen Gebieten; die Folter und sexuelle Gewalt durch russische Soldaten nicht, und ebenso wenig die systematische Zerstörung ukrainischer Kulturgüter. All dies hat das Ziel, die Ukraine als Staat und Gesellschaft zu vernichten.“
Die taz hielt es da eher mit Verschwörungstheorien: „Schon seit Tagen hält sich Carlson in Moskau auf. Sein Besuchstermin scheint nicht zufällig gewählt zu sein. Am 24. Februar jährt sich der erweiterte Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine.“
Immer wieder tauchte auch der Verweis auf den US-Journalisten Evan Gershkovich auf, für den sich Tucker hätte einsetzen müssen. Selbstverständlich war dabei nicht die Rede davon, dass es längst ein Angebot Russlands gibt, Gershkovich auszutauschen, der bei der Annahme vertraulicher Papiere ertappt wurde, weshalb Nachfragen Gershkovich betreffend also eher beim State Department angebracht wären. Allerdings wurde auch sein Landsmann Paul Whelan bisher nicht ausgetauscht, eine Basketballspielerin war wichtiger. So der Focus: „In seiner Werbung für das Interview erwähnte Carlson auch nicht seinen US-Kollegen Evan Gershkovich, der für das Wall Street Journal über Russland berichtete und seit fast einem Jahr wegen Spionagevorwürfen, die seine Familie für falsch hält, in einem russischen Gefängnis sitzt.“
Man achte auf das besonders überzeugende „die seine Familie für falsch hält“.
Ohnehin ist klar, dass Carlson ein Böser sein muss. So schrieb t-online: „Den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nannte er außerdem einen „Diktator“ und eine „Marionette Joe Bidens“. Dazu verbreitete er die Verschwörungserzählung des Kreml, die USA würden Biowaffenlabore in der Ukraine betreiben.“
Besagte Labore finden sich im Haushalt des Pentagon. Auch ihre deutschen Gegenstücke, Kooperationen des Hamburger Bernhard-Nocht-Instituts und des Friedrich-Loeffler-Instituts im Auftrag der Bundeswehr in der Ukraine, fanden sich zumindest vor zwei Jahren noch auf deren Webseiten. Das zu überprüfen, kann man natürlich von t-online nicht verlangen.
Die Süddeutsche Zeitung war für ihre Verhältnisse geradezu zurückhaltend in ihren Bemerkungen zu Carlson: „Inzwischen kann er sich frei und ungestört auf der Elon-Musk-Plattform X weiter radikalisieren. Er hat dort eine neue journalistische Heimat gefunden, ohne „Zensur“, wie er es nennt, wenn Leute Fakten prüfen.[…] Ein angeblicher Kulturkonflikt legt sich wie Nebel auf die tatsächlichen Verhältnisse. Und Tucker Carlson steht an der Nebelmaschine.“
Nebelmaschine ist nämlich wahrhaftig nicht das Schlimmste. Über die Grenzen nicht nur des guten Geschmacks ging die Frankfurter Rundschau. Nicht nur, dass sie ausgerechnet jenen US-amerikanischen Transsexuellen zitierte, der einst auf The Daily Beast zur Jagd auf den – letztlich infolge dieser Veröffentlichung – in ukrainischer Haft zu Tode gebrachten Gonzalo Lira aufrief und in einer kurzen Beschäftigung als Sprecher der ukrainischen Armee Russen als „Nichtmenschen“ bezeichnete: „Ashton-Cirillo, Junior Feldwebel der ukrainischen Streitkräfte, äußerte scharfe Kritik in einem Exklusivinterview bei Newsweek: „Carlson ist nicht nur ein Feind der Demokratie, er ist ein Feind der Menschlichkeit selbst“. „Nein, die FR verschärfte diese Aussage noch in ihrer Überschrift, was man letztlich kaum mehr anders denn als Aufruf zum Mord verstehen kann: „Erste Reaktionen auf Carlsons Aufenthalt in Moskau: ‚Feind der Menschheit'“
Politische Reaktionen gibt es inzwischen ebenfalls, allerdings eher auf Newsweek, obwohl es sich um Aussagen europäischer Politiker handelt.
Guy Verhofstadt, ein belgischer Rechtsliberaler, der belgischer Premier war, bereits einmal als EU-Kommissionspräsident im Gespräch war und jetzt sein Dasein als Europaparlamentarier fristet, meinte, Carlson sei „ein Sprachrohr“ Putins. Er forderte die Untergebenen des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell auf, zu überprüfen, ob sich Carlson nicht sanktionieren ließe: „Da Putin ein Kriegsverbrecher ist und die EU alle sanktioniert, die in dabei unterstützen, scheint es logisch, dass der Europäische Auswärtige Dienst seinen Fall ebenfalls untersucht.“
Wäre das nicht der Dienst unter Borrell, würde man davon ausgehen, dass er zwischen all den Fällen aus Israel gar keine Zeit hätte für Tucker Carlson. Aber die Politiker der rechtsliberalen Gruppe in Brüssel scheinen fest davon überzeugt, Carlson müsse für sein Interview abgestraft werden, ohne zu wissen, was darin gesagt wurde. Der Spanier Luis Garicano, derzeit nur noch im Vorstand der liberalen Gruppe ALDE, aber nicht mehr im Europäischen Parlament, sekundierte: „Er ist nicht länger ein Nachrichtenmann, sondern ein Propagandist für das abscheulichste Regime auf europäischem Boden, jenes, das für unseren Frieden und unsere Sicherheit das Gefährlichste ist.“
Wirklich interessant ist der dritte europäische Politiker, den Newsweek anführte. Es handelt sich um Urmas Paet, einst estnischer Außenminister, jetzt ebenfalls Europarlamentarier. Paet war 2014 der Gesprächspartner, dem gegenüber die derzeitige stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland vor dem Maidan-Putsch in dem berühmten Telefonat sagte: „F*** die EU. Jaz ist unser Mann.“ Paet war also, das belegt eben dieses Telefonat, schon in die Vorbereitungen des Putsches involviert. Das hinderte weder ihn daran, auf moralisch zu machen, noch Newsweek, ihm das abzunehmen: „Carlson will jemandem, der des Genozids angeklagt ist, eine Plattform bieten. Gleichzeitig ist Carlson kein richtiger Journalist, da er klar seine Sympathie für das russische Regime ausgedrückt hat und ständig die Ukraine herabgewürdigt hat, das Opfer der russischen Aggression. Für solche Propaganda für ein kriminelles Regime kann man auf der Sanktionsliste landen. Dabei geht es vor allem um ein Einreiseverbot in EU-Länder.“
Die Partei von Urmas Paet gehört interessanterweise nicht der ALDE an, sondern der Fraktion Renew Europe; der gemeinsame Nenner zwischen den dreien, die sich Newsweek gegenüber geäußert und Carlson mit Sanktionen gedroht haben, dürfte also vermutlich Victoria Nuland heißen.
Was fürchten lässt, dass diese tatsächlich daran arbeiten könnte, Carlson die Einreise in die EU zu verwehren. Aber vorher dürften noch eine Menge weiterer Artikel wie die angeführten fällig sein.
Anmerkungen:
Vorstehender Beitrag von Dagmar Henn wurde am 8.2.2024 in „RT DE“ erstveröffentlicht. Die Seiten von „RT“ sind über den Tor-Browser zu empfangen.
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