Berlin, BRD (Weltexpress). Bei der Planung über im Oktober anstehende Beiträge bin ich auf eine Erklärung des IKP-Generalsekretärs Palmiro Togliattis vom Oktober 1946 auf einer Organisationskonferenz in Florenz gestoßen, in der er zur Kritik an seinem parlamentarischen Weg zu einer antifaschistisch-demokratischen antiimperialistischen Nachkriegsordnung Stellung nahm und einräumte, die nach dem Sieg der Resistenza günstige Ausgangssituation sei „im Grunde genommen nicht genutzt worden“, und es habe »keine Mobilisierung der Partei gegeben“. Der Bericht wurde jedoch parteiintern behandelt, also nicht veröffentlicht. Erst unter Enrico Berlinguer wurde er 1972 in der theoretischen Zeitschrift „Rinascita“ (Nr. 33/1972) veröffentlicht und sollte belegen, dass dessen Regierungszusammenarbeit mit den Christdemokraten (Historischer Kompromiss genannt) einen bereits unter Togliatti verfolgten Kurs fortsetze. Kern der Kritik an Togliatti war die damals in der Partei heftig umstrittene Frage, die auch in den diesjährigen Betrachtungen zum 80. Jahrestag des Sieges über den Faschismus ausgeklammert wurde, ob man statt des parlamentarischen einen revolutionären Weg mit sozialistischer Orientierung hätte einschlagen sollen. Wie sah dieser widerspruchsvolle Weg aus?
Viele Gesichtspunkte sprachen dafür, dass auf dem Weg einer solchen Umgestaltung die erste, antifaschistisch-demokratische Etappe hätte verwirklicht werden können, die als Grundlage für eine spätere sozialistische Entwicklung dienen konnte. Dabei war von einem langfristigen Prozess auszugehen, in dessen Verlauf auch mit Stagnation und Rückschlägen gerechnet werden musste. Die Bedingungen, diesen Weg einzuschlagen, schienen günstig.
Eine klassische revolutionäre Situation
Ende April 1945 bestand in Italien eine klassische revolutionäre Situation, die bis zum Spätherbst anhielt: Der italienische Imperialismus war militärisch geschlagen, seine ökonomischen und politischen Positionen ernsthaft erschüttert. Er verfügte über keine ihm hörige Regierung mehr. Die großbourgeoisen Vertreter in der antifaschistischen Einheitsregierung befanden sich in der Minderheit und mussten lavieren.
Kommunisten und Sozialisten arbeiteten auf der Basis des 1934 geschlossenen Aktionseinheitsabkommens zusammen. Das 1937 in Spanien und im September 1943 erneuerte Abkommen hatte zum Ziel, unter Führung der Arbeiterklasse eine demokratische Republik zu errichten, in der die ökonomischen Grundlagen der Reaktion und des Faschismus durch »Nationalisierung des Monopolkapitals in der Industrie und im Bankwesen« und »die Vernichtung jeder Art von Feudalismus auf dem Lande« beseitigt werden sollten.1
Die Kommunalwahlen im März 1946 und die im Juni folgenden Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung zeigten, dass IKP und ISP über eine Massenbasis verfügten. Sie erreichten zusammen jeweils rund 40 Prozent der Stimmen. Beide Wahlen fanden bereits im restaurativen antikommunistischen Klima der zum Gegenangriff übergegangenen Konterrevolution statt. Unmittelbar nach Kriegsende dürfte ein noch größerer Anteil der Bevölkerung hinter den Arbeiterparteien gestanden haben.
Das nationale Befreiungskomitee (CLN) wurde von IKP und ISP sowie der radikaldemokratischen Aktionspartei (PdA) dominiert. Auf dieser Grundlage besaßen die Linksparteien auch ein Übergewicht in der nationalen Einheitsregierung. Im Juni 1945 zwangen sie den rechten Ministerpräsidenten Bonomi von den Liberalen zum Rücktritt. Die DC lehnte den von IKP und ISP vorgeschlagenen Sozialisten Pietro Nenni ab und benannte aus ihren Reihen De Gasperi, den ihrerseits die Linken nicht akzeptierten. Berufen wurde dann der Aktionist Ferrucio Parri. Nach dessen Rücktritt im Dezember 1945 setzte die DC die Ernennung von De Gasperi durch.
In den meisten Städten und Gemeinden Norditaliens übten im Frühjahr 1945 die mehrheitlich aus Kommunisten und Sozialisten bestehenden Komitees des Nationalen Befreiungskomitees für Norditalien (CLNAI) die Macht aus und leiteten antiimperialistische revolutionär-demokratische Umgestaltungen ein. Im Süden hatten Landarbeiter, Tagelöhner und Halbpächter das Land der durchweg zu den Faschisten gehörenden Latifundistas besetzt. Die IKP hatte in der Einheitsregierung ein Dekret durchgesetzt, das die Inbesitznahmen legalisierte.
Über eine halbe Million Mann unter Waffen
Weit mehr als eine halbe Million Mann stand unter Waffen. In der kampfstarken, 256.000 Kämpferinnen und Kämpfer zählenden Partisanenarmee gehörten 155.000 den Garibaldi-Brigaden der IKP an. Für einen revolutionären Weg traten auch die Brigaden der Sozialisten und Aktionisten ein. Diese Position vertraten auch die 206.000 in den örtlichen Gruppen di Azione (GAP) organisierten Partisanen, denen sich während des bewaffneten Aufstandes Zehntausende weitere Kämpferinnen und Kämpfer angeschlossen hatten. Alle Partisanenformationen bestanden zu 85 bis 90 Prozent aus Arbeitern und Bauern. Sie bildeten den Kern einer kampfentschlossenen Basis.
Wesentliche internationale Bedingungen standen günstig für einen revolutionären Weg. Wenn die Nichtnutzung der revolutionären Situation im Frühjahr 1945 damit begründet wurde, dass anderenfalls die angloamerikanische Besatzungsmacht militärisch gegen die linken antifaschistischen Kräfte vorgegangen wäre – ähnlich wie Großbritannien in Griechenland 2 –,dann standen dieser Position vor allem folgende Faktoren entgegen:
Die Angloamerikaner saßen in Italien als Besatzungsmacht noch nicht fest im Sattel. Die Ende Dezember 1944/Anfang Januar 1945 von der Wehrmacht begonnene Ardennenoffensive brachte die US-amerikanisch-britischen Truppen im Westen in eine kritische Situation.3 Churchill räumte ein, dass die Lage »bedenklich« sei und dass »man die Initiative verloren hat«. Am 6. Januar 1945 wandte er sich an Stalin persönlich und bat um eine Entlastungsoffensive im Osten. Dieser sagte am 9. Januar zu, geplante Angriffshandlungen der Roten Armee vorzuziehen. Bereits am 12. Januar begannen 150 sowjetische Divisionen auf einer Frontbreite von der Ostsee bis zu den Karpaten ihre Offensive. Churchill telegrafierte an Stalin: »Im Namen der Regierung Ihrer Majestät und persönlich von ganzem Herzen sage ich Ihnen für den gewaltigen Angriff, den Sie an der Ostfront begonnen haben, unseren Dank und Glückwunsch.« Mit dieser für die westlichen Alliierten wertvollen Zusammenarbeit erlebte die Anti-Hitler-Koalition noch einmal einen Höhepunkt.4
Der Krieg gegen Japan war noch nicht beendet. Den westlichen Alliierten fehlten Landstreitkräfte in genügender Zahl, um auf sich allein gestellt Japan definitiv niederzuwerfen. Nachdrücklich forderten Roosevelt und Churchill deshalb den Kriegseintritt der UdSSR gegen Japan. Zum Sieg über Japan leistete die am 9. August eröffnete sowjetische Fernostoffensive, in deren Verlauf die rund eine Million Mann starke Kwantung-Armee zerschlagen wurde, einen entscheidenden Beitrag.
Die offene Wende zum Kalten Krieg begann erst im März 1946 mit Churchills berüchtigter Rede in Fulton. Es war fraglich, ob unter den angeführten Gesichtspunkten die USA und Großbritannien im Frühjahr 1945 in Italien die offene militärische Konfrontation mit der antifaschistischen Bewegung gewagt hätten.
An Stalin orientiert
Zu Togliattis Entscheidung ist zu sehen, dass er sich an Stalin orientierte, dem es nicht, obwohl ihm von westlicher Seite das Gegenteil unterstellt wurde, um weltweite revolutionäre Ziele ging. Vielmehr wollte er seinen erreichten Einflussbereich sichern und dabei die einvernehmliche Zusammenarbeit mit den westlichen Alliierten fortsetzen wollte. Ausgehend von der Erklärung der Krim-Konferenz (Treffen der Regierungschefs der UdSSR, der USA und Großbritanniens vom 4. bis 11. Februar 1944 in Jalta) »Einigkeit im Frieden wie im Krieg«, ging es der UdSSR um die Erhaltung der Anti-Hitler-Koalition in der Nachkriegsphase. Offensichtlich sollte Togliatti diese Ziele durch die Fortsetzung des im Befreiungskrieg gegen Hitlerdeutschland geschlossenen Bündnisses mit den großbürgerlichen Parteien, vor allem mit der Democrazia Cristiana (DC), auch für antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen innenpolitisch flankieren. Die seit April bzw. Juni 1944 erreichten Ergebnisse meinte Togliatti durch den Verzicht auf zu radikale Forderungen sichern zu können. Bei Fortsetzung dieses Regierungsbündnisses war es indes von Anfang an fraglich, ob mit den großbürgerlichen Parteien antifaschistisch-demokratische Umgestaltungen, die einen antiimperialistischen Inhalt erhalten mussten, möglich sein würden.
In der Partei umstritten
Unter diesen Aspekten gab es in der IKP-Führung unterschiedliche Meinungen zu den Fragen, wie eine antifaschistisch-demokratische Nachkriegsordnung zu gestalten war. Zumal die Partei nach dem Sieg über den Faschismus kein Programm über die nun in Angriff zu nehmenden revolutionär-demokratischen Aufgaben besaß. Das wurde erst auf dem 5. Parteitag vom 29. Dezember 1945 bis 5. Januar 1946 beschlossen.
Eine von Togliatti angeführte Gruppe wollte das antifaschistische Bündnis mit den großbürgerlichen Kräften auf Regierungsebene weiterführen und sprach sich für den parlamentarischen Weg aus, um antifaschistisch-demokratische Veränderungen einzuleiten. Togliatti, der mit seiner hohen Autorität, die auch aus seiner führenden Rolle in der Komintern resultierte, diese Gruppe dominierte, setzte sich mit seiner Meinung in der Führung durch.
Eine zweite Gruppe um Luigi Longo, neben Sandro Pertini von den Sozialisten, einer der beiden Befehlshaber der Partisanenarmee, der von den Partisanen der IKP, aber auch der ISP und der PdA unterstützt wurde, und Pietro Secchia, 5 der für Militärfragen zuständig war, trat zwar ebenfalls für zunächst antifaschistisch-demokratische Veränderungen ein, forderte jedoch eine darüber hinausweisende, klare sozialistische Orientierung, der mit revolutionären Massenaktionen Nachdruck verliehen werden sollte. Diese Strömung wurde auch als radikaler oder linker Flügel bezeichnet. Sie hatte starke Positionen im Parteivorstand von Mailand, aber auch in dem von Turin und Genua.
Zu den strittigen Fragen äußerte sich Longo im Oktober 1945 auf einem Kongress der Provinzorganisation von Rom. Seine Bedenken gegenüber einer Fortsetzung der »Politik der nationalen Einheit auch im Frieden« erläuternd, wies er warnend auf »die Spaltungsversuche der konservativen und reaktionären Kräfte innerhalb und außerhalb Italiens« hin, welche die »Errichtung einer fortgeschrittenen Demokratie zu stören und unmöglich zu machen« suchten. Das kam insbesondere in der Weigerung der Liberalen und der Christdemokraten zum Ausdruck, Vertreter der starken Massenorganisationen der IKP (Frauen, Jugend), aber auch der Einheitsgewerkschaft CGIL in die CLN-Organe aufzunehmen.
Longo verlangte, dass bei einer »Fortsetzung und Festigung der nationalen Einheit« präzisiert werden müsse, »mit wem und gegen wen«: »Wir wollen mit den Arbeitern, den Bauern, den Angestellten, Technikern, Freiberuflichen, Intellektuellen, mit den Rentnern, den Heimkehrern, den Jugendlichen, den Frauen marschieren, mit einem Wort, mit allen, die arbeiten, die leiden, mit denen, die ein weniger stiefmütterliches Italien und eine bessere Menschheit erhoffen«. Longo forderte, gegen »alle faschistischen Überbleibsel« vorzugehen, gegen »die Magnaten der Industrie, der Finanz und des Großgrundbesitzes«. Wir müssen »gegen die Reaktion marschieren, die sich um die Monarchie gesammelt hat«. Die an der Parteibasis heftig diskutierte Frage, ob die IKP »auf den Sozialismus verzichtet« habe, verneinte Longo entschieden: »nicht im Traum«, und er betonte klar die Notwendigkeit einer sozialistischen Perspektive. In der Erkenntnis, dass sich die revolutionäre Situation im Oktober 1945 ihrem Ende zuneigte, erklärte er, dass für den Sozialismus jetzt die nationalen und internationalen Voraussetzungen »nicht gegeben« seien und man von der inzwischen veränderten »Realität der italienischen Verhältnisse ausgehen« müsse.
Togliatti hatte zwar generell vermieden, eine sozialistische Perspektive zu benennen, war jedoch für eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung eingetreten, die das Eigentum des Großkapitals und der Großagrarier durch Nationalisierungen und eine Agrarreform beschneiden sollte. Der kommunistische Finanzminister Mauro Scoccimarro hatte eine sofortige Währungsreform, eine progressive Besteuerung der Vermögen und eine außerordentliche Besteuerung der Kriegs- und Spekulationsgewinne verlangt. Die Lasten des Wiederaufbaus sollten so primär den besitzenden Klassen, die sich unter dem Faschismus größtenteils bereichert hatten, auferlegt werden. Vermögenszuwachs aus den Kriegsjahren sollte, soweit er nicht aus Erbschaften oder aus Gewinnen vorher bestehender Vermögen stammte, stark progressiv besteuert, Summen über 75 Millionen Lire sollten vollständig konfisziert werden; ebenso alle Reichtümer, die auf Funktionen innerhalb des faschistischen Regimes oder im Dienste der Deutschen zurückzuführen waren.
Zugeständnisse verharmlost und verschwiegen
Problematisch war, dassTogliatti versuchte, die oppositionellem Kräfte zu beschwichtigen, was diesen aber tatsächlich weiteren Auftrieb gab. Diese Zugeständnisse wurden gegenüber der Basis in ihrer vollen Tragweite verschwiegen oder verharmlost. Bereits im Mai/Juni 1945 wurde diese Haltung von der Basis als Zurückweichen kritisiert, was Finanzminister Mauro Scoccimarro in der »Rinascita« (Nr. 5/6 – 1945) zurückwies. So machte die IKP, um den Fortbestand der Regierung zu sichern, ein Zugeständnis nach dem anderen: Sie stimmte der Entwaffnung und Auflösung aller Partisanenverbände zu; ebenso der Amtsenthebung der örtlichen Befreiungskomitees als Regierungsorgane. Das bedeutete, dass die eingeleiteten revolutionär-demokratischen Prozesse gestoppt und generell rückgängig gemacht wurden. Gegen dieses Zugeständnis hatte sich, noch während die Amtsenthebung im Gange war, im Mai 1945 ein Kongress der regionalen Organe des CLNAI ganz entschieden gewandt. Auf der Tagung, auf der die teilnehmenden Partisanenkommandeure mit stürmischem, lang anhaltendem Beifall begrüßt wurden, hatte Secchia gefordert, dass das CLN und seine Organe die entscheidenden legislativen Machtorgane bis zur Einberufung der Verfassungsgebenden Versammlung sein müssten. Der Kongress schloss sich dieser Forderung an. Die IKP unternahm jedoch keine entsprechenden Initiativen, auch nicht in der Regierung unter dem Aktionisten Ferrucio Parro, den die Linken im Juni als Premier durchsetzten.
Die Entwaffnung der Partisanen, die viele ihrer Waffen von den Deutschen im Kampf erbeutet hatten, demütigte vor allem die linke Mehrheit der Resistenza. Die alliierten Militärbehörden versuchten deshalb, diese Schmach als feierliche Veranstaltungen mit Paraden zu maskieren, bei denen der Kampf der Partisanen an der Seite der Alliierten gewürdigt und den Formationen Dankschreiben und Urkunden überreicht wurden. Obwohl die IKP-Führung die Waffenabgabe wiederholt empfahl, kamen ihr viele Angehörige, vor allem ihrer Garibaldi-Brigaden, nicht nach. Viele Partisanen gaben nur Handfeuerwaffen und ältere Modelle ab. Der US-amerikanische Historiker Charles Delzell, der als Angehöriger der US-Armee in Italien war, schätzt in seinem Buch »Mussolini’s Enemies. The Italian antifascist Resistence« (Princton New Yersey 1961) ein, dass gut 40 Prozent des Bestandes, darunter vor allem leichte und mittelschwere Waffen, dem Zugriff der Alliierten entzogen wurden. Sie verschwanden in Verstecken, wo sie gut geölt oft jahrzehntelang aufbewahrt wurden. Unter Secchia, Leiter der Organisationsabteilung der Partei, besaß die IKP, wie Giorgio Bocca schrieb, noch lange Zeit einen illegalen Apparat, der auch über Waffenlager verfügte. 6 Das zeigte sich, als nach dem Attentat auf Togliatti im Juli 1948 7 Zehntausende Partisanen ihre Waffen aus Verstecken holten und zum bewaffneten Aufstand übergehen wollten.
Selbst Kriegsverbrecher freigelassen
Im Juni 1945 fügte sich Togliatti als Justizminister der Forderung nach Auflösung des »Hohen Kommissariats zur Verfolgung der Regimeverbrecher« und einer folgenden sogenannten Amnestie der »nationalen Versöhnung«. Mit dem Amnestiegesetz fanden die begrenzten Säuberungen im öffentlichen Dienst ein überstürztes Ende. Die meisten der etwa 20.000 bis 30.000 von ordentlichen Gerichten durchgeführten oder eingeleiteten Verfahren wurden eingestellt, über 11.000 bereits ergangene Urteile aufgehoben oder Begnadigungen gewährt. Zu den Freigelassenen gehörte beispielsweise der Chef der berüchtigten 10. Torpedoboot-Flottille (Decima MAS), Fürst Valerio Borghese, der wegen wenigstens 800fachen Mordes an Widerstandskämpfern als Kriegsverbrecher verurteilt worden war. Gegenüber kleinen Parteigängern des Mussolini-Regime mochte eine »nationale Versöhnung« gerechtfertigt sein, sofern sie sich keiner Verbrechen schuldig gemacht hatten. Wenn aber an den von der IKP in Rom und anderen Städten dazu veranstalteten Kundgebungen höchste Amtsträger des Faschismus, wie der ehemalige Minister der Salò-Republik 8 Ezio Maria Gray, teilnahmen, verunsicherte das nicht nur die Basis der IKP, sondern die zur Resistenza stehenden Kräfte insgesamt. Denn Gray blieb wie viele Faschisten der ersten Garnitur unbelehrbar und trat sofort der im Dezember 1946 in Gestalt der faschistischen Sozialbewegung MSI (Movimento Sociale Italiano) wiedergegründeten Mussolini-Partei bei. Dabei war durch den Erlass festgelegt worden, dass Faschisten, die »wichtige öffentliche, politische oder militärische Führungsfunktionen« innegehabt hatten, von der Amnestie auszuschließen waren. Den Prozessakten jener Jahre zufolge, schrieb der kommunistische Jurist und Verfolgte des Faschismus Alberto Malagugini sarkastisch, »hat jedoch kein Faschist je wichtige politische oder öffentliche Funktionen ausgeübt, selbst die Minister der Sozialen Republik nicht.«
Die Befürchtung, dass die Faschisten nach dem Krieg ungestraft davonkommen könnten, dürfte eine Rolle gespielt haben, wenn Tribunale der Befreiungskomitees und Standgerichte der Partisanen in der Endphase des bewaffneten Kampfes mit Faschisten, derer sie habhaft geworden waren, »kurzen Prozess« machten.« 9 Die Urteile dieser Tribunale beruhten generell auf den Justizdekreten des CLNAI und wurden unter den Bedingungen des Kriegsrechts bzw. des bei Beginn des bewaffneten Aufstandes verkündeten Ausnahmezustandes vollstreckt, nachdem die Faschisten vorher zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert worden waren. Dabei kam es auch zu »Abrechnungen« ohne Urteile. Während der weitgehend intakt gebliebene faschistische Justizapparat die eigenen Gesinnungsgenossen von ihren Verbrechen freisprach oder außerordentliche Milde walten ließ, zerrte er nach Kriegsende Antifaschisten und Partisanen vor Gericht und verurteilte sie wegen »Übergriffen« zu langjährigen Haftstrafen. Der Amnestieerlass sollte zwar auch solchen verurteilten Teilnehmern der Resistenza Straferlass bringen, was aber den wenigsten zu Gute kam. Viele saßen noch jahrelang in den Gefängnissen. An der Basis der IKP gab es immer wieder Klagen, dass die Partei ihre einflussreichen Beziehungen in der Gesellschaft nicht nutzte, um diesen Genossen zu helfen.
Mit seinem Einverständnis zur Amnestie machte Togliatti seine vorangegangene konsequente Arbeit zur Einleitung einer Säuberung der faschistischen Justiz teilweise selbst zunichte. Gegen den Widerstand der Liberalen und rechter DC-Kreise hatte er die leitenden faschistischen Beamten seines Ministeriums entlassen, ebenso die Gerichte und Strafanstalten von führenden Faschisten gesäubert.
Togliattis Zustimmung zur Auflösung des Hohen Kommissariats und zur Versöhnungsamnestie begünstigte im August 1945 die Bildung der faschistischen Sammlungsbewegung Uòmo Qualunque (Jedermann) und die Gründung des aus ihr im Dezember 1946 hervorgehenden MSI.
Die IKP fand sich damit ab, der Verfassungsgebenden Versammlung keine Gesetzgebungsvollmachten zu übertragen, sondern diese bei der Regierung zu belassen. Die DC hatte gedroht, anderenfalls das Referendum über die Staatsform zu verschieben, was die Chancen hätte verringern können, die Monarchie zu beseitigen. Als der christdemokratische Ministerpräsident De Gasperi im Mai 1947 Kommunisten und Sozialisten aus der Regierung vertrieb, konnte die DC mit ihren Verbündeten auf Gesetzesebene schalten und walten, wie sie wollte.
Anmerkungen:
1 Das Abkommen wurde im Oktober 1946 mit einem nunmehr reduzierten Ziel erneuert: »Aufbau eines »antimonopolistischen Italien« auf der Basis des einheitlichen Handelns beider Parteien auf Regierungs-, Parlaments- und kommunaler Ebene sowie zur Stärkung der Einheit der Gewerkschaften und Massenorganisationen. Eine zu Beginn des bewaffneten Aufstandes von Togliatti vorgeschlagene Vereinigung beider Parteien, um der Reaktion den »einheitlichen Block der Arbeiterklasse« entgegenzustellen, war an der Ablehnung des sich herausbildenden rechten Flügels der ISP gescheitert, der sich im Januar 1947 unter Giuseppe Saragat von dieser abspaltete und eine Sozialdemokratische Partei (ISDP) bildete.
2 In Griechenland waren die britischen Truppen schon 1944 gegen die Volksbefreiungsarmee ELAS vorgegangen, hatten eine reaktionäre Regierung eingesetzt und einen Bürgerkrieg angezettelt.
3 Nach Angaben der britischen und US-amerikanischen Aufklärung wollte die Wehrmacht die 1. US-Armee vernichten, auf Antwerpen vorrücken, drei alliierte Armeen abschneiden und den Angloamerikanern eine Niederlage ähnlich wie 1940 bei Dünkirchen bereiten. Politisch-strategisches Ziel war, die westlichen Alliierten separaten Kapitulationsverhandlungen gefügig zu machen, während der Krieg gegen die UdSSR weitergehen sollte. Diese Pläne erwiesen sich jedoch bald als unrealistisch.
4 Das Verhalten Stalins zeugte von der ehrlichen Absicht der UdSSR zur Zusammenarbeit in der Anti-Hitler-Koalition. Eine Niederlage der Angloamerikaner in Frankreich hätte der Roten Armee einen Vormarsch in Deutschland bis zum Rhein ermöglicht.
5 In diesem Kontext ist sicher auch zu sehen, dass Togliatti 1951 die Ablösung Secchias als Verantwortlicher für Organisationsfragen in der Leitung der IKP durchdrückte und an dessen Stelle Giorgio Amendola trat, der später der revisionistischen Fraktion angehörte, die 1991 die Auflösung der IKP durchsetzte.
6 Palmiro Togliatti, Rom. Bari 1973.
7 Am 14. Juli 1948 feuerte ein Faschist vor dem Montecitorio (Sitz der Abgeordnetenkammer) vier Schüsse auf Togliatti ab, die ihn lebensgefährlich verletzten. Mit dem in Washington ausgeheckten Plan sollte die IKP als entscheidende Kraft des Widerstandes gegen die kapitalistische Restauration und den NATO-Beitritt zum bewaffneten Aufstand provoziert und physisch liquidiert werden.
8 Von Mussolini nach seinem Sturz im Juli 1943 im Herbst des Jahres unter der Besatzungsmacht der Hitlerwehrmacht in Salo am Gardasee errichtetes Marionettenregime.
9 Als eines der zahlreichen Beispiele sei der Kriegsminister Mussolinis in der Salo-Republik Mussolinis, Rodolfo Graziani, genannt. Er befand er sich mit dem »Duce« auf der Flucht in die Schweiz, verließ ihn unterwegs und stellte sich den US-Amerikanern. Er entkam so dem vom CLNAI, wie gegen Mussolini auch gegen ihn verhängten und vollstreckten Todesurteil. 1946 zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt, wurde er bereits 1950 begnadigt.
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