Nicht einmal Spätzle zubereiten kann sie! Immer energischer korrigiert Lore „Die Haushaltshilfe“ Martina. Der Nudelteig müsse eine bestimmte Konsistenz haben. Besser Lore prüft es mit eigenen Augen. Das Messer muss nass sein, sonst klebt der Nudelteig daran. Nein, den Teig nicht zu dick ins kochende Wasser schaben. Jetzt ist der Topf übergekocht! Und das wird riechen… Die Szene könnte einem bizarren Thriller entstammen. Einem von der Sorte, in welcher eine junge Frau in einem fremden Haus angestellt und von ihren herrischen Arbeitgebern schikaniert wird, bis sie am Ende ihrer seelischen und körperlichen Kräfte angelangt ist. Stattdessen stammt die Szene aus einer Tragödie. Einer alltäglichen, unscheinbaren Tragödie aus dem wahren Leben. Ähnlich wie einer jener Protagonistinnen aus Thriller ergeht es Martina in Anna Hoffmanns Dokumentarfilm. Am Ende sitzt Martina mit feuchten Augen auf der Couch. Es sind Tränen der Wut und der Hilflosigkeit, der Wut über die Hilflosigkeit. Gegen die ungerechte Behandlung durch ihre Hausherrin sie machtlos. Fast schien es, als habe die junge Frau geahnt, was sie erwartet. Auf eine seriöse Anstellung in Deutschland hoffen viele osteuropäische Frauen. Wie sie braucht Martina den Verdienst, um ihre Eltern zu unterstützen. Der frustrierenden Realität ihrer Tätigkeit ist sie jedoch nicht gewachsen.
Martinas Aufgabe ist es, Lores bettlägerigen, senilen Ehemann Max zu pflegen, wozu die Seniorin selbst nicht mehr in der Lage ist. Dass Martina Max nicht nur sorgfältig, sondern mit liebevoller Freundlichkeit betreut, scheint ihre Arbeitgeberin nicht zu bemerken. Oder aber sie bemerkt es gerade und ist eifersüchtig auf die Anhänglichkeit, welche Max gegenüber Martina zeigt, obwohl er nicht mehr sprechen kann. Keinen Schritt kann „Die Haushaltshilfe“ tun, ohne dass ihre Hausherrin sie beobachtet. Alles wird kontrolliert, überwacht, geprüft. Und nie ist etwas gut genug. Dabei gelingt es der Regisseurin in ihrem differenzierten Porträt, die alte Frau nicht zu verteufeln. Lore ist sich der Böswilligkeit nicht bewusst, in welche ihr Argwohn gegenüber der Angestellten ausgeartet ist. Im Grunde will sie keine Hilfe in ihrer Wohnung. Sie will selbst kochen, putzen und ihren Mann versorgen, will gesund sein. Aber sie ist auf den Rollstuhl angewiesen und der Pflege eines Schwerbehinderten nicht gewachsen. Die agile junge Frau zu sehen und sich selbst nur mit Mühe bewegen zu können, frustriert Lore ebenso wie Martina die ununterbrochenen Tadel. Den Ausschlag gibt schließlich eine Scheibe Brot. Morgens und Abends esse Martina eine Scheibe zu viel. Lore und ihr Mann essen jeweils eine. Zwei Schnitten, das gehe nicht, und dann noch mit Belag! Martina gönnt man im wahrsten Sinne nicht einmal die Butter auf dem Brot.
Ohne Kommentar und untermalende Musik zeichnet „Die Haushaltshilfe“ ein niederschmetterndes Bild systematischer persönlicher und beruflicher Erniedrigung. Für ihre berührende Reportage erhielt die gebürtige Kasachin Anna Hoffmann 2009 den Deutschen Kurzfilmpreis. Martina war nicht die erste Haushaltshilfe, welcher von der alten Dame gekündigt wurde. Vermutlich wird sie auch nicht die letzte sein. Lore will ihren Ehemann zukünftig von einer Pflegeschwester versorgen lassen. Spätzle kochen wird nicht in deren Aufgabenfeld fallen. In anderen Wohnungen werden unterdessen andere Haushaltshilfen die gleichen Erfahrungen machen wie Martina.
Titel: Die Haushaltshilfe
Berlinale Perspektive Deutsches Kino
Land/ Jahr: Deutschland 2010
Genre: Dokumentarfilm
Regie und Buch: Anna Hoffmann
Kamera: Inigo Westmeier
Laufzeit: 59 Minuten
Bewertung: ****