Herr Kaplanoglu, zuletzt sahen wir uns auf der Berlinale, wo Sie für „Bal“ den Goldenen Bären gewannen. Geht der Hauptcharakter Ihnen als Idee für neue Filme weiter im Kopf um, wie Yusuf seine Vergangenheit auf den Filmplakaten zu „Yumurta“, „Süt“ und „Bal“?
Die Trilogie ist in jedem Fall abgeschlossen. Ich habe den Bären auch als Auszeichnung für die gesamte Trilogie begriffen. Nachdem ich in den letzten Jahren sehr intensiv gearbeitet habe – bei meinen Filmen bin ich auch Autor, Cutter und Produzent – fand ich mich in einer Art Leere wieder.
Welchen neuen Impulsen folgen Sie, nachdem die Trilogie abgeschlossen und mit einem Bären gekrönt ist?
Einige Stoffe sind alt, andere neu. Ich war viel auf Reisen und habe nun angefangen, zu schauen, was davon das nächste Projekt sein wird.
Die Bildsprache ist in Ihrem Werk von großer Bedeutung. Wie Yusuf als Kind ziehe Sie sich in „Bal“ von der Sprache zurück. Dennoch ist der Film sehr ausdrucksstark. Würden Sie Ihr Kino als symbolistisch bezeichnen.
Nein. Wahrscheinlich ist alles auf der Welt symbolistisch interpretierbar. Alles, was wir vorfinden hat verschiedene Bedeutungsebenen. Das gilt auch für die Sprache.
Hier fällt Ihre Wahl der Filmtitel auf. Jeder bezeichnet ein Lebensmittel, mit dem der Nachwuchs von den Eltern – Menschen, Vögel oder Insekten – aufgezogen wird. Verweisen die Titel auf die in der Yusuf-Trilogie zentrale Mutter-Kind-Beziehung oder die Verbindung der türkischen Bauern mit dem Land Anatolien?
Diese drei Nahrungsmittel habe ich vor allem gewählt, weil sie beim türkischen Frühstück eine wichtige Rolle spielen. Jeder der drei Filme enthält eine Frühstücksszene, in der die Speisen vorkommen. Darüber hinaus ist das Ei für mich mit der Zukunft verbunden. Die Milch, da haben Sie Recht, steht für die Mutter. Ich glaube dass die Entwöhnung einen Punkte darstellt, an dem der Mensch erst endgültig von der Mutter getrennt ist. Der Honig ist die Verbindung zur Natur, die Einheit zwischen Mensch und Umwelt. Als Essenz der Blumen und Bäume ist er die kosmische Seele des Waldes. Aber ich hatte nicht vor, zwischen diesen Dingen im Film eine symbolische Ebene zu forcieren.
Ohne zu Idealisieren vermitteln ihre Bilder die Schönheit der sehr harschen Landschaft Anatoliens. Schöpfen Sie für diese verborgene Schönheit aus eigenen Erfahrungen?
„Yumurta“ und „Süt“ wurden an einem Ort gedreht, der ganz in der Nähe der Kleinstadt meines Vaters liegt, wo mein Großvater immer noch lebt. Die Landschaft ist sehr naturbelassen. Ich habe sehr viele Tage damit verbracht, durch die Natur zu wandern, um zu genesen. Ich streife immer noch so durch die Natur, um gesund zu werden. Dadurch, dass das moderne Leben hat das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur zerstört hat, spüren wir, das wir noch einer größeren Kraft unterstehen als der eigenen und in einen größeren Kosmos eingebunden sind. Ich glaube, dass der Verlust der Verbindung schuld ist, dass der Mensch hin und her gewirbelt wird in der Geschichte und es mit der Gesellschaft Berg ab geht. Die Natur ist Teil der Verbindung zwischen allem, was existiert. Ich denke, die Ordnung des Universums ist eine einzige. Diese Vorstellung versuche ich in meinen Filmen zu vermitteln.
Die Abhängigkeit des Menschen von der Natur zeigt sehr eindringlich die Anfangsszene von „Bal“. Ist dieses Erfahrung, dass die Natur bedrohlich und tödlich sein kann, auch für Menschen wie Yusufs Vater, die mit ihr in Symbiose leben, Grund für Yusuf, sich von seinen ländlichen Wurzeln zu lösen?
Man muss sehen, dass die Trilogie nicht als Fortsetzung gedacht ist. Die Filme stehen jeweils für sich und sind in sich geschlossen. Das betrifft auch die Konflikte, die in jedem Alter andere sind. Die Fragen des reifen Yusuf sind viel existenzieller. Es gibt bei jedem der drei Yusufs unterschiedliche Motivationen für das Handeln. In „Süt“ geht es um den Kampf des sehr romantischen jungen Mannes mit der Natur in sich selbst, um seinen Konflikt mit Tradition und modernem Leben. Er kämpft mit seiner Mutter, der Lyrik,den Naturgewalten um sich. In „Yumurta“ geht es eher um eine Wiederbegegnung mit der Natur, der äußeren und inneren.
In „Bal“ kommunizieren Vater und Sohn verbal und mit Gesten. Beide sind oft in warmen Licht dargestellt, die Mutter aber ist eine „Schattenfigur“. Nie entsteht ein Wortwechsel zwischen Sohn und Mutter.
„Bal“ ist als Film angelegt, bei dem die Vater-Sohn-Beziehung im Mittelpunkt steht. Deshalb habe ich die Mutter eher zu einer „Haus-Frau“ gemacht, der Yusuf innerhalb des Hauses begegnet. Der Vater teilt Geheimnisse mit dem Sohn, während die Mutter sich mehr um Konkretes kümmert: Trink deine Milch, mach deine Hausaufgaben, bist du hungrig? Yusufs Beziehung zur Lyrik entsteht durch das Verhältnis zum Vater. Die Mutter ist eher autoritär. Auch im Landleben Anatoliens ist es so, dass Mütter zu den Söhnen eine Distanz einhalten. Damit die Söhne zu Männern werden, glauben viele, dass sie eine harte Hand brauchen. Ich glaube, dass unter Menschen, die sich mit der Natur auseinandersetzen müssen, die zwischenmenschlichen Beziehungen härter sind. Yusuf kommuniziert nicht gerne, er stottert. Er ist ein sehr fragiler Junge und schämt sich vor seiner Mutter.
Schließt das Schweigen Yusufs als Kind den Kreis zum älteren Yusuf, der sich über seine Poesie ausdrückt? Ein äußeres Schweigen, um die innere Stimme zu hören?
Ja. Ich glaube Lyrik ist etwas, das man der Alltagssprache abtrotzen muss. Etwas, gegen das die Sprache steht, das sie stört und zerstört, was gleichzeitig aber etwas sehr Menschliches ist. Es erinnert daran, dass es lohnenswert ist, zu schweigen, still zu beobachten, wie sich die Distanz oder Nähe zwischen Namen, Worten und Dingen im Einzelnen gestaltet, die Wärme und Kühle zwischen den Dingen und der Sprache zu verstehen. Das ist das Geheimnis von Yusuf.
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Titel: Bal – Honig
Land/ Jahr: Türkei 2010
Genre: Drama
Kinostart: 9. September 2010
Regie: Semih Kaplanoölu
Drehbuch: Semih Kaplanoölu, Orcun Köksal
Kamera: Baris Özbicer
Darsteller: Boras Altas, Erdal Besikcioglu, Tülin Özen, Alev Ucarer, Ayse Altay
Filmlänge: 108 Minuten
Verleih: Piffl Medien