Das letzte Konzert der Reihe »Unterwegs – Weltmusik« war dem am 7. Februar 2016 Verstorbenen gewidmet. Präsentiert wurde die Kunst provencalischer Troubadours. Diese verkörpern sowohl eine Tradition der Minnesänger aus dem Mittelalter als auch Adaptionen volkstümlichen Liedguts der letzten 20 bis 30 Jahre. Die heutigen Interpreten singen in der um das Jahr 800 aus dem Latein entstandenen Sprache Okzitan, die noch heute von einer Million Menschen in Südfrankreich gesprochen wird, wo auch die Straßenschilder zweisprachig beschriftet sind – Okzitan und Französisch. Die Anerkennung als Regionalsprache allerdings hat der französische Senat verweigert. Ein Senator sah sogar »eine Gefahr für das republikanische Modell«. Eine volksfeindliche Entscheidung, gegen die sich der künstlerische Protest auch der heutigen Troubadours richtet.
Im ersten Teil bestimmten überlieferte Gedichte und Lieder von Troubadours des 11. bis 14. Jahrhunderts das Programm, vertont von Manu Theron und Gregory Dargent. Vorgetragen wurden sie vom Trio Sirventes, dessen Name sich von der satirischen Kanzone der Troubadours herleitet. Das Trio meidet das Klischee des schmachtenden Liebhabers und artikuliert Protest und Widerstand jener Zeit gegen Krieg und Gewalt, gegen die Verdorbenheit der Geistlichkeit und gegen die Knechtung des Volkes durch die Kirche und den Adel – eine ganz und gar dialektische Methode, das Alte im Neuen aufzuheben.
Noch frecher und stimmgewaltiger trat der fünfköpfige a-capella-Chor »Lo Cor de la Plana« auf. 2001 von Manu Theron gegründet, nennt er sich nach dem Marseiller Stadtbezirk La Plaine, der mit seiner Arbeiterbevölkerung und den Unterprivilegierten, Migranten und Armen Schauplatz von Klassenkämpfen war und ist. Die Künstler singen in der Tradition der Troubadours auf Okzitan, aber ihr Repertoire sind antiklerikale und antimilitaristische Volks- und Arbeiterlieder, bis zum Kampflied aus der Resistance. Sie zerstören auch die Legende von der Europäischen Kulturhauptstadt 2013, indem sie deren elitären Charakter angreift. Von den okzitanen Texten versteht der hiesige Hörer kein Wort, aber er erlebt echte Volkssänger und begreift, dass hier im Erich-Weinertschen Sinne roter Pfeffer dran ist. Das Trotzige und Kämpferische dieser Gesänge erinnert auch an die Lieder der bretonischen Sänger auf ihren »Festou Noz«. Die schwache Reaktion des Publikums im halbleeren Kammermusiksaal enttäuschte die Sänger sichtlich. Sind sie es doch gewohnt, die Menschen auf Plätzen und Volksfesten zu elektrisieren. In Deutschland wäre das Pressefest der »UZ« den Versuch wert.
Mit diesem Konzert beendeten die Berliner Philharmoniker die von Roger Willemsen gestaltete Reihe, die über seinen Tod hinaus von Birgit Ellinghaus konzeptionell und wissenschaftlich geführt wurde. Anstelle Roger Willemsens moderierte die im Stoff bewanderte Katty Salié. Es konnte keinen würdigeren Abschluss geben als mit den aufrührerischen Gesängen der Troubadours. Verunglückt war leider der Abspann, bei dem die erfahrene TV-Moderatorin völlig verspätet ihr Schlusswort sprach, als sich die Zuschauer bereits zum Gehen gewandt hatten.
An die Stelle der Reihe Weltmusik wird im Ausstellungsfoyer des Kammermusiksaals eine Gesprächsreihe »Der philharmonische Diskurs« zu den Zusammenhängen von Musik und Biographie treten. Dazu erklärt die Saisonvorschau 2016/2017: »Das lateinische Wort ‚discursus‘ bedeutet Umherlaufen, im alltäglichen Sprachgebrauch steht der Diskurs für eine hin- und hergehende Erörterung.« Die Gesprächsreihe »nimmt zukünftig ein zentrales Thema zum Anlass einer gründlichen Debatte«. Alles klar.