Literarischer Stadtspaziergang durch Salzburg

Mozartkugeln in einem Laden in Salzburg. © Foto: Elke Backert, 2014

Ihre historische Bedeutung als einstiger Sitz der Fürst-Erzbischöfe, die u. a. den Titel Primas Germaniae trugen, war ebenso verloren gegangen wie die musikhistorische Mozarts. Zwar existierten die heutigen Mozart-Gedenkstätten, doch wurden sie selten von Reisenden aufgesucht. Kunstfreunde nahmen Fahrten in die Kapitale Wien in Kauf, weil man „beim Kaiser“ am besten wisse, was Musik und Theater sei. Oder sie fuhren nach München, die Stadt, die Thomas Mann als leuchtende Kunstmetropole feierte. Auch Kaiser Franz Joseph machte sich rar in der Residenzstadt. Einzig Erzherzog Ludwig Viktor, des Kaisers Bruder, wegen seiner homophilen Neigungen vom Hof verbannt, lebte auf Schloss Klessheim, wo heute das Casino untergebracht ist, und galt als Kunstmäzen.

Salzburg wurde mit dem Beiwort „verträumt“ geschmückt. Selbst Stefan Zweig, der sich während des Ersten Weltkriegs am Kapuzinerberg ein Haus gekauft hatte, präzisierte diese Charakterisierung in seinen „Erinnerungen eines Europäers“, Salzburg sei ein „antiquarisches, schläfriges, romantisches Städtchen am letzten Abhange der Alpen“ gewesen.

Heutzutage fallen ganze Heerscharen von Touristen über die kleine Stadt an der Salzach her. Vor allem Tagesausflügler – pro Jahr sind es mehrere Millionen – folgten einem „tief ausgetretenen Ameisenpfad“ zwischen Mozarthaus, Dom und Festungsbahn, eruierte der Salzburger Psychologe Alexander Keul. Er beschreibt den typischen Tagesgast in einer Studie („Von Menschen und Ameisen. Erkenntnisse über den Tourismus in Salzburg") als 40 Jahre alten Deutschen, der paarweise unterwegs sei, sich vier Stunden in der Stadt aufhalte und ein flottes Tempo vorlege, nämlich drei bis vier Kilometer in der Stunde.

Das hat sich bereits geändert, bietet doch das Literaturhaus einen „literarischen Stadtspaziergang“ an. Er beginnt – wunderschön – auf dem bewaldeten Mönchsberg, den man mit dem Lift erreichen kann und den der 1942 in Kärnten geborene Autor und exzentrische „Geher“ Peter Handke gern beschritten hat, den er aber auch zum Schauplatz eines Mordes machte. Die neun Jahre (1979-1988) in Salzburg gehören zu seinen produktivsten. Nachzulesen in „Der Chinese des Schmerzes“ und „Nachmittag eines Schriftstellers“.

Das Café Winkler auf dem Mönchsberg, in dem ein Rundgemälde des Malers Johann Michael Sattler (1786-1847), ein 360-Grad-Panorama der Stadt, hing, ist abgerissen. An seiner Stelle sollte ein Guggenheim-Museum entstehen, ein konisches Gebäude, in den Fels gehauen. Doch wurde der Plan verworfen, und Guggenheim ging nach Bilbao mit seiner extremen Architektur. Nun findet das Museum der Moderne dort Platz mit dem noblen Café-Restaurant m32. Dennoch darf sich der Blick ebenjenem grandiosen Panorama hingeben: Dom, Franziskanerkirche, Festung Hohensalzburg, die gemächlich dahinfließende Salzach, auf der ein Ausflugsboot Touristen bis zum Schloss Hellbrunn bringt und dabei Walzer tanzt – für Zuschauer zu sehen durch ständige Drehungen -, ihre Brücken und Stege hinweg zum Kapuzinerberg.

Das 360-Grad-Panorama hat ein eigenes Museum am Residenzplatz erhalten.

Auf dem gegenüber liegenden Kapuzinerberg versteckt sich ein gelbes Gebäude, das als Stefan Zweigs Paschinger Schlössl, auch Trompeter Schlössl, bekannt ist. Der französische Schriftsteller Romain Rolland nannte es gar „Villa Europa“, weil Zweig es gern mit Künstlern aller Herren Länder teilte. Ravel, Toscanini, Bela Bartók, Alban Berg waren gern gesehene Gäste. Richard Strauß traf sich hier mit seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal. Arthur Schnitzler, Franz Werfel, Hans Carossa, Jakob Wassermann kamen zu Besuch. Der Ire James Joyce bescheinigte der Stadt: „It must be easily the finest town of its size.“

Von 1919 bis 1934 bewohnte Zweig mit seiner Frau Friderike die Villa – nur die Sommermonate verbrachte er in Zell am See -, bis er sich nach einer Hausdurchsuchung durch die Nazis aufgefordert sah, seine Wahlheimat zu verlassen. Es kursierten einmal Gerüchte, dass aus der Villa ein Zweig-Museum werden sollte. Doch heute heißt sie Gollhofer-Villa, ist in Privatbesitz und nicht öffentlich zugänglich. Allerdings widmete man Zweig ein „Stefan Zweig Centre“, das jedoch auf dem Mönchsberg liegt.

Ebenfalls ein offenes Haus führte die Malerin Agnes Muthspiel. Sie hatte ihr Atelier auf dem Mönchsberg und rettete möglicherweise Werner Bergengruen das Leben, indem sie ihm in ihrer Wohnung Unterschlupf gewährte. Die Gästeliste der Malerin ist lang: Marcel Marceau, Saul Bellow, Elias Canetti, Carl Orff, Gottfried von Einem. Vergeblich versuchte ein Augsburger in Salzburg ansässig zu werden: Bert Brecht. Erfolgreicher war da Ilse Aichinger. 1921 in Wien geboren, zog sie mit ihrer Familie in die Festspielstadt und verlebte hier einen wichtigen Teil ihrer Schaffensperiode.

Spaziert man vom Mönchsberg hinunter, gelangt man in die Altstadt, die die UNESCO am 1. Januar 1997 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen hat. Der Domplatz bleibt für den jährlichen „Jedermann“ reserviert, dem Residenzplatz hängen schlechte Reminiszenzen an: Hier fanden nicht nur Bücher den Feuertod, hier fand auch, mindestens in Ludwig Ganghofers Roman „Mann im Salz“, eine Hexenverbrennung statt. Heute wollen die Werke der Residenzgalerie, erweitert durch das neue Domquartier, besichtigt werden: Neben einer ständigen „Sammlung in fürstlicher Tradition“ mit europäischer Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts wurden 1998 zum 75. Jubiläum Sonderausstellungen gezeigt, etwa Malerei des französischen Barock, des flämischen Barock und der Gründerzeit.

Verlässt man die von Touristen überlaufenen Plätze Richtung Standseilbahn, erfasst einen urplötzliche Stille. Eng schmiegt sich der kleine Petersfriedhof an den nackten Fels des Mönchbergs. Die passenden Worte dafür fand der Salzburger Lyriker Georg Trakl: „Ringsum ist Felseneinsamkeit./ Des Todes bleiche Blumen schauern/ Auf Gräbern, die im Dunkeln trauern -/ Doch diese Trauer hat kein Leid…“

Auch wenn Besucher aus aller Welt hier eine Schweigeminute einlegen – gleich hinter dem Friedhof dringt aus dem berühmten Peterskeller ein monotones lebendiges Geräusch: Die Köche des Restaurants klopfen die Fleischscheiben, bevor sie als Wiener Schnitzel auf die Gästeteller kommen.

Georg Trakl, 1887 im alten Schaffnerhaus am Waagplatz 1a geboren, konnte seine Todesvisionen ebenso ausdrucksstark wiedergeben wie der Dramatiker Thomas Bernhard. Seine Autobiographie „Die Ursache“ leitet er mit einer Zeitungsnotiz des Inhalts ein, Salzburg habe eine überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate. Nicht ohne Grund heißt die Humboldt-Terrasse Selbstmörder-Sprungbrett. Das Schaffnerhaus ist heute Trakl-Forschungs- und Gedenkstätte. 2014 gedenkt man mit vielen Veranstaltungen des 100. Todestags Trakls.

Bernhard bevorzugte den Sebastiansfriedhof: „Stundenlang saß ich auf irgendeiner Grabeinfassung und grübelte über Sein und sein Gegenteil nach.“ Während er Geigenunterricht hatte, schaute er auf das „schöne Kuppelmausoleum“ des Fürst-Erzbischofs Wolf Dietrich. Noch heute kann der Besucher Geigenklänge hören und das prächtige Grabmal besichtigen.

Von der Linzergasse führt eine enge steile Straße, die 1995 umbenannt wurde in Stefan-Zweig-Weg, wo – Hausnummer 5 – die ehemalige Zweig-Villa hinter dichtem Laub kaum mehr auszumachen ist. Auch erinnert eine Tafel an Joseph Mohr, den Komponisten von „Stille Nacht“. Für den Aufstieg sollte man aber den Fahrweg nehmen, vorbei an den Kreuzweg-Stationen, deren lebensechte Figuren, zu Ostern frisch gewaschen, in neuem Glanz erstrahlen.

Von der Hettwerbastei, 800 Meter hoch, schweift dann der Blick grenzenlos auf die Schneegipfel der Berchtesgadener Kalkalpen und den 1853 Meter hohen Untersberg als Krönung oder, mit den Worten des Zeichners und Radierers Ludwig Richter (1823), auf den „Kranz der schönsten Gebirge, welche in weitem Bogen die Salzach umziehen“. Aussichtspunkte nämlich sind das A und O der Stadt, und der Blickwinkel ist immer ein anderer.

„Schule des Sehens“ nannte der gebürtige Wiener Maler Oskar Kokoschka seine Kurse in der „Sommerakademie“ auf der Festung Hohensalzburg. Für die Salzburger Festspiele entwarf er Bühnenbilder und Kostüme. Im Festspielhaus finden sich Tapisserien von ihm, Amor und Psyche darstellend.

Wer auf den Spuren von Carl Zuckmayer (1896-1977) wandeln will, Autor so erfolgreicher Werke wie „Der Hauptmann von Köpenick“, muss sich nach Henndorf am Wallersee zur Wiesmühle begeben, sein „Paradies“. Ein Zuckmayer-Radweg geht bis nach Neumarkt. In „Zucks“ Henndorfer Stammlokal „Caspar-Moser-Bräu“ vollendete Ödön von Horvath seinen Roman „Jugend ohne Gott“ (1936/37). Noch ein Stück weiter ins Salzburger Land, und man trifft in Wagrain auf den „Sprachsteller“ Karl Heinrich Waggerl, dem Schreiben ein „verfluchtes Handwerk“ war.

Seit Thomas Bernhards autobiographischem Band „Die Kälte. Eine Isolation“ (1981) ist der Erholungsort St. Veit ein Schauplatz der Weltliteratur. Die ehemalige Lungenheilstätte Grafenhof, in der er lange „einsaß“, ist als „Anti-Zauberberg“ verewigt. Auch wenn St. Veit und seine Bürger im Roman nicht gut wegkommen, widmete ihm die Pongauer Gemeinde eine Dauerausstellung im Seelackenmuseum, Thomas-Bernhard-Tage und einen Wanderweg. Und Salzburg widmete ihm eine Gedenktafel.

Mehr Informationen unter: www.literaturhaus-salzburg.at und www.salzburg.info.

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