Das Buch hat 171 Seiten und das ist auch gut so, nämlich, daß es nicht ein Ziegelstein geworden ist, der den Einsteiger dann wieder vom Einstieg abhält. Deshalb gehen wir jetzt ganz sanft mit diesem Buch um und suchen nicht, was uns fehlt, sondern verweisen auf das, was vorhanden ist. Da gibt es den Überblick über die Malereigeschichte von 18 000 Jahren in vierzehn Bildern! Das fängt mit der Höhlenmalerei aus Lascaux um 16 000-15 000 v.Chr. an und ist flugs mit dem zweiten Bild schon im ersten Jahrhundert nach Christi, einem Wandfresko in Herculaneum. Dazwischen gab es zwar viel Malerei, aber antike Bilder haben sich im Gegensatz zu den Skulpturen und Mosaiken nicht erhalten.
Bild 3 bringt uns dann schon ins 13. Jahrhundert und an den Bildern werden dann die Entstehungszeiten mitvermittelt: hier Mittelalter und was das historisch und kunstgeschichtlich bedeutet. Doch, das ist einfühlsam und übersichtlich gestaltet und die beiden Experten, die dann auch noch auftreten und spezielle Fragen wie:“Wie entstanden die Gattungen der Malerei?“ beantworten, lockern den Kontext auf, der gar nicht belehrend wirkt. Letztere Frage muß kommen, aber in der Antwort fehlt uns der entscheidende Satz, daß im Mittelalter zur Ehre Gottes gemalt wurde, es also nur christliche Bilder gab, aus denen sich dann solche Details wie Landschaften, Genre, Porträt oder Stilleben als eigene Bildinhalte emanzipierten.
So und jetzt gleich für den Fachmann und Liebhaber „Das Stundenbuch der Katharina von Kleve“, ebenfalls aus dem Belser Verlag, dessen sich eine Ausstellungsreihe im Vorjahr verdankt. Dies ist die bedeutendste niederländische Handschrift aus dem Umfeld von Jan van Eyck. Sie wurde um 1400 für Katharina von Kleve verfaßt und von einem Buchmaler illuminiert, dessen Namen man nicht kennt, dessen Qualität aber als „Meister der Katharina von Kleve“ überliefert ist. Im Mittelalter waren Psalter die Gebetbücher, später aber setzten sich Stundenbücher durch, die in der Funktion eines Horariums Gebets- und Andachtsbücher für Stundengebete brachten, erst für die Laien, später auch für die Kleriker. Entscheidend aber ist, daß die gesellschaftliche Oberschicht sich zu eigen machte, die Texte mit Kunst anzureichern. Die Buchmalerei war geboren.
Natürlich geht es im vorliegenden Band um genau diese. Die Bilder im Buch werden nicht nur reproduziert und im Bildinhalt erklärt, sondern sie werden auf Vorgänger, also Vergleichsbeispiele und Entwicklungen in der Buchmalerei rückbezogen, so daß man mit diesem Stundenbuch mit einem Schlag sehr viel weitere spätmittelalterliche Kunst oder Buchmalerei vor sich sieht. Die Handschrift selbst enthält 157 Miniaturen auf 714 Seiten.
Dieser Band ist natürlich kein Faksimile – das gibt es in Luzern zu erstehen -, sondern der Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung. Allerdings sind die „schönsten Seiten“ in Form von fünfunddreißig Miniaturen im Band abgedruckt. Als Tafeln sind sie, teils auch als Doppelseiten, im Farbdruck zu sehen, mit einer Erläuterung ihres Inhalts als Text. Lehrreich und schön ist das Resümee für diejenigen, die erst mit solchen Kostbarkeiten sich die Zeit des Spätmittelalters erobern.
Von anderer Art spricht „Von Rodin bis Giacometti. Plastik der Moderne“ aus dem Kehrer Verlag. Auch hier haben wir das schriftliche Ergebnis einer Ausstellung – Staatliche Kunsthalle Karlsruhe – für die Nachwelt. Das allerdings ist 400 engbedruckte Seiten lang, vor allem schwer, aber mit vielen, auch ganzseitigen Skulpturenabdrucken bestückt, die immer die kunsttheoretischen Aussagen durch das Bild visualisieren, also auch unabhängig von der Ausstellung Grundsatzaussagen zur modernen Plastik wagen und belegen.
In kurz gefaßten Essays werden erst einmal verschiedene Ansätze der Moderne mit ihren Vertretern und spezifischen Vorgehensweisen aufgeführt. Tip: das kann man auch nachher lesen und sollte sich erst einmal den Katalogteil ab Seite 67, der bis Seite 333 reicht, anschauen. Er ist thematisch gegliedert. Alles beginnt mit den Gesichtern, deren Skulptieren in Zeiten der Fotografie eine andere Bedeutung erhält, als zuvor. Stimmt diese Aussage überhaupt? Aber, so kann jeder mitdenken, wenn das Foto mich wirklichkeitsnah abbildet, kann dann nicht die Plastik die Funktion übernehmen, mein Inneres auf der Außenhaut zum Ausdruck zu bringen, also mich als Person und Persönlichkeit zu präsentieren, von der oberflächlichen Ähnlichkeit mit mir selbst ganz unberührt, also genau die Brüche in mir zeigen?
Solche Fragen stellen sich dann schon von selber, überblickt man die vielen Einteilungen, in die die Kunstwerke einsortiert wurden und bei denen sich dann doch zeigt, daß sie die Überschrift immer wieder sprengen. Welchen Einfluß Rodin auf alle hatte ist bekannt, aber im Band ergibt sich wie von selbst auch die Nacharbeiten, zu denen Aristide Maillol mit seinen hand- und stehfesten Damen seine Kollegen anregte. Lehmbruck ist sonst für seine Längungen bekannt, hier überrascht eine 1910 aus Marmor skulptierte „Stehende weibliche Figur“. Und so geht es in einem fort. Man sieht, dann liest man vorne, dann blättert man wieder, liest die Texte zu den Ausstellungsstücken und befindet sich in einem nicht aufhörenden Dialog mit einem Buch, der nicht aufhört, wenn man es niederlegt. Denn das ist ein Kunstband, den man immer wieder zur Hand nimmt. Für Anfänger und für Aficionados.
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Kunst für Einsteiger, Rolf Schlenker in Zusammenarbeit mit Simone Reuter, Belser Verlag 2009
Das Stundenbuch der Katharina von Kleve, Belser Verlag 2009
Von Rodin bis Giacometti. Plastik der Moderne, Kehrer Verlag 2009