Zum Beispiel der gebürtige Hamburger Andreas Jungblut (AJ). Er ist Kapitän aus Leidenschaft. Während seiner jüngsten Arktis-Reise mit der „Deutschland“ hat er Dr. Peer Schmidt-Walther einiges erzählen können.
Was macht Ihnen besonders Freude an dieser Tätigkeit?
AJ: Der Wechsel! Der Wechsel der Landschaften, der Orte und der Menschen. Von der Arktis bis zu den Tropen. Kein Tag ist wie der andere.
Worin unterscheiden sich die Gewässer des hohen Nordens von den übrigen?
AJ: Wenn damit die arktischen Gewässer gemeint sind, ist es vor allem die Dominanz der Natur. Reine Natur – noch! Das unvergleichliche Licht. Das Eis. Die karge, schroffe Landschaft mit ihrem verzagten Grün und den Tieren, die man versteht, wenn man zuhören kann, dass sie nichts mit dem wüsten Mensch zu tun haben wollen.
Welche Kenntnisse braucht man dazu?
AJ: Mal abgesehen von den seemännischen und navigatorischen Erfahrungen, glaube ich, benötigt man einen gewissen ästhetischen Sinn. Man muss die die Schönheit suchen und wenn möglich dort verweilen.
Was reizt Sie persönlich daran?
AJ: das Unplanbare. Wenn man in die Arktis fährt sollte man nicht zusehr auf den Fahrplan sehen. Die schönsten Erlebnisse und Ereignisse kommen unerwartet.
Worin liegen die Probleme dieses Fahrtgebietes?
Weniger das Eis, das gehört ja dahin. Es ist der Wind. Bei starkem Wind kann man nicht in die kleinen Buchten fahren, um neue Entdeckungen zu machen und man muss auch zum Eis gehörigen Abstand halten, um das Schiff sicher zu navigieren.
Wie muss ein Schiff ausgestattet sein, um dort operieren zu können?
AJ: Ideal sind kleine Schiff mit starken Motoren und einer dicken Bordwand. Schiffe, die extra für die Eisfahrt konzipiert wurden. Aber auch mit der mittelgroßen „Deutschland“, die weltweit im Einsatz ist, haben wir schon wunderbare und einzigartige Arktisreisen gemacht.
Haben Sie Beobachtungen machen können, die auf das allmähliche Verschwinden des Meereises hinweisen?
AJ: Ja und nein. Die Packeisgrenze ist in den letzten Jahren häufig nördlicher anzufinden, als in früheren Jahren. Ob das zur Regel wird und welche Schlüsse daraus gezogen werden, sind die Klimadebatten, die heute geführt werden mit ihren unterschiedlichen Ansätzen und Aussagen.
Wie lange werden Eisreisen Ihrer Kenntnis nach noch möglich sein?
AJ: Die Dekaden von Jahren zu benennen, wäre reine Spekulation von mir. Ich weiß es nicht. Was kommen wird – und das ist gut so – sind Erweiterungen des Umweltschutzes für die arktischen Gewässer. Es geht nicht, dass Riesenpötte mit Tausenden von Passagieren dort herumjuckeln. Die Arktis ist kein Ort für Massentourismus, sie sollte ein Ort der Stille sein. Jedoch, schon jetzt ist das nur noch ein vergangener Traum, eine gegenwärtige und zukünftige Illusion.
In dem Zusammenhang fällt häufig der Begriff „Eisklasse“. Was bedeutet er?
AJ: Zu einer Arktis-Reise gehört entsprechende Technik: starke Maschinen und eine „Eisklasse“-Außenhaut. Ich habe eine Faustformel dafür: Je höher die Eisklasse, desto dicker sind die Stahlplatten an der Seite des Schiffes, an dem das Eis verbeischrammt, wenn man durch das Packeis fährt. Der König unter den Eisfahrern ist der Eisbrecher.
Die "Deutschland“ ist natürlich mit einer Eisklasse ausgerüstet. Darunter versteht man eine Anzahl von schiffbaulichen und maschinenbaulichen Maßnahmen, die es dem Schiff ermöglichen, Eisgebiete zu befahren. Je nach Fahrtgebiet und Schiffstyp gibt es verschiedene Eisklassen. Die "Deutschland" hat die eine hohe Eisklasse für Passagierschiffe, die Klasse "A 1", die von der Klassifikationsgesellschaft Germanischer Lloyd (GL) verliehen wurde.
Was sind die Kennzeichen einer Eisklasse?
AJ: Der Rumpf des Schiffes ist auf seiner ganzen Länge eisverstärkt, und zwar unterschiedlich stark im Bereich des Vorschiffes, des Mittelschiffes und des Hinterschiffes. Die größten Eisverstärkungen befinden sich aus naheliegenden Gründen im Vorschiffsbereich.
Im Bereich des Eisgürtels (50 cm über der Wasserlinie bis zwei Meter unter Wasser) ist die Außenhaut verstärkt, mit Plattenstärken bis zu 16 mm. Zu den oberen Decks hin nimmt die Plattenstärke bis auf 6 mm ab. Weitere Verstärkungen sind im Bereich des Vorstevens (Bug) angebracht: Der Wulstbug ist innen zusätzlich ausgesteift und hat eine Plattenstärke von 22 mm. Direkt über dem Wulstbug besteht der Steven aus einem Stahlgussteil, das zum "Zerschneiden" einer festen Eisdecke im Bereich der Wasserlinie dient. Dort sind die Außenhautplatten 19 mm stark.
Auf ganzer Schiffslänge sind vom Doppelboden bis einschl. Deck 2 (ca. sieben Meter über Kiel) Zusatz-spanten in einem Abstand von 35 cm eingebaut (normaler Spantabstand 70 cm). Das gibt dem gesamten Schiffskörper mehr Festigkeit.
Auch bei der Antriebsanlage gibt es zahlreiche Maßnahmen, um die Eistauglichkeit des Schiffes zu gewährleisten: Die erforderliche Antriebsleistung ist vorgeschrieben, Propellerwellen, Getriebe und Ruderanlage sind verstärkt. Der Propeller ist aus Edelstahl (statt Bronze) und die Flügelspitzen sind verstärkt. Das Ruder ist durch einen Eissporn bei Rückwärtsfahrt geschützt. Am Bug des Schiffes sind eine Schleppklüse und starke Poller angeordnet, damit es ggf. von einem Eisbrecher geschleppt werden kann.
Ein eisverstärktes Schiff ist schwerer als ein vergleichbares Schiff ohne Eisklasse und verursacht höhere Baukosten.
Kann die "Deutschland" allein schon aus den genannten Gründen als Eisbrecher gelten?
AJ: Nein, Eisbrecher sind Spezialschiffe mit sehr hoher Maschinenleistung (teilweise sogar mit Nuklearantrieb) und besonderer Rumpfform. Sie brechen für andere Schiffe eine Fahrrinne durch das Eis und dienen ausschließlich diesem Zweck.
Welche Eisstärken kann ein Schiff mit Eisklasse "A 1" bewältigen?
AJ: Eine einfache Regel dafür gibt es nicht, es hängt jeweils von den Eigenschaften des Eises ab:
Von der Dicke der Eisdecke, von der Bedeckung der Meeresoberfläche (ausgedrückt in Zehntel), vom Alter des Eise (einjährig oder mehrjährig) und von der Größe der Eisstücke (Schollen, Bergy Bits, Growlers).
Dazu einige Beispiele:
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Eine Festeisdecke (einjähriges Eis) von 30-50 cm Dicke kann in der Regel mit ca. 5 kn konstanter Geschwindigkeit durchfahren werden. Stärkeres Eis kann gelegentlich durch "Rammen" gebrochen werden.
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Packeis unterschiedlicher Dicke mit einer Bedeckung bis ca. 8/10 kann durch Beiseiteschieben der Schollen mit 2-3 kn durchfahren werden.
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Packeis mit einer Bedeckung von weniger als 4/10 kann meist ohne Eiskontakt mit einer größeren Geschwindigkeit unter Ausnützung der Lücken durchfahren werden.
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Brash Eis (sehr loses Packeis geringer Dichte) kann ohne weiteres mit 10-12 kn durchfahren werden.
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Für den Kontakt mit größeren Eisstücken (Growler oder Bergy Bits) ist die Eisverstärkung zwar nicht ausgelegt, bei zufälliger Berührung mit sehr langsamer Fahrt ist ein Schaden allerdings meist gering ("Beule"
Vielen Dank für das Gespräch!