Wer sich über die selbst für deutsche Verhältnisse ungewöhnliche Teambezeichnung "Fiat Professional Wölfe" wundert – Patrick Kirchler gibt noch vor dem ersten Bully Auskunft. "Ursprünglich war hier der EV Bruneck. Dann wurde 2008 der HC Pustertal Amateursport als GmbH gegründet, dessen Profimannschaft wegen des Hauptsponsors Fiat und wegen des Maskottchens Wölfe heißt."
Kirchler, ein junger smarter Mann mit einem gefärbten Mini-Irokesen auf dem Kopf, hat nach unserem Gespräch zu tun. Erst schwebt ein kleiner Werbezeppelin durch die Halle, dann schallt Wolfsgeheul durch die Arena. Worauf das wolfsähnliche Maskottchen paar Kurven dreht. Kirchler hat zu Ehren der deutschen Gäste ein Deutschland-Trikot übergestreift und stimmt die Fans als Hallensprecher auf die Begegnung ein. Und dann – tatsächlich – 900 km von der O2-Arena entfernt, dröhnt "Heh – Wir wollen die Eisbären sehn" aus den Lautsprechern. Chinesen-Böller oder Pyrotechnik u.dgl., auf die ich in Berlin gut und gerne verzichten könnte, gibt es nicht.
Die Fans hüpfen dennoch. In Vorfreude oder um nicht zu frieren. Es sind draußen minus 5 Grad und an den teilweise geöffneten Stirnseiten dringt Frischluft herein. Winterklamotten sind angesagt. Samt Pudel oder Mütze. Im Laufe des Spiels wabbern Qualmschwaden der Raucher durch die Arena. Es gibt nur Stehränge. Auch für Vips und Sponsoren. Einzige Komfortzone ein bescheidener Vip-Raum mit Sicht aufs Spiel und ein verglaster Kasten über der Eisfläche. Dort ist es wärmer. Ein Pressekollege steht am Laptop und etliche Spielerfrauen verfolgen mit ihrem Nachwuchs auf dem Arm das Geschehen. Interessant: Im Fanbereich der Gastgeber ist eine Trommel fest installiert…
Patrick hatte schon vor Anpfiff vermutet, dass es nicht so gut besetzt wie sonst würde. Die Wölfe führen mit acht Zählen Vorsprung die Tabelle an und benötigen nur noch einen Sieg, um vorzeitig die Vorrunde als Erster zu beenden. Der Gegner Alleghe gehört zudem nicht zu den ernsthaften Rivalen. Das sind vor allem der Wölfe-Erzrivale HC Bozen, der Überraschungs-Pokalgewinner Cortina d’Ampezzo und der vorjährige Außenseitermeister Asiago. "Außerdem driften die Fans, die feiern und Party haben wollen, an diesem Wochenende ins Biathlondorf nach Antholz ab."
Bei Preisen von 12 Euro für Erwachsene und acht bei ermäßigtem Tarif sind dennoch 1600 Zuschauer gekommen. In eine Halle, deren "Grundmauern noch aus den 50-er Jahren stammen", wie unser Gesprächspartner sagt. Ausgelegt ist das modernisierte Hockeymuseum für offiziell 1800 Leute. "Manchmal sind auch 2500 dabei", grinst ein Ordner. Kirchler erklärt stolz: "Wir sind der Verein mit dem höchsten Zuschauerschnitt in der Serie A". Bedeutet 2000 pro Match, was deutlich über den durchschnittlich 1000 Besuchern der restlichen Liga ist.
Die vereint in der höchste Spielklasse Italiens 10 Teams. Alle – logisch – in Norditalien beheimatet, knapp die Hälfte in Südtirol ansässig. Zwei Klubs sind nahe Turin und Mailand beheimatet. Die Saison dauert von Ende September bis etwa Mitte April. Zu absolvieren sind Vorrunde, eine Zwischenrunde – geteilt in Masterrunde mit den vier Topteams sowie eine Play-off-Qualirunde mit den restlichen sechs, sowie dann die Play-offs mit acht Mannschaften. Wobei dann grundsätzlich "best of seven" gespielt wird. Was in toto "etwa 40 bis 50 Spiele pro Saison" ausmacht.
Die Ausländerregel ist anders als in der DEL: Der Kader auf dem Spielberichtsbogen darf den Acht-Punkte-Status nicht überschreiten. Nicht-EU-Ausländer werden wie EU-Ausländer (z.B. Schweden) mit einem Punkt berechnet. Italo-Nordmaerikaner mit 0,5 und Einheimische mit 0,0. Heißt im Klartext: Aufs Eis dürfen jeweils maximal sieben "echte"Ausländer, zwei Italo-Nordamerikaner und Einheimische! Ein "gentleman-agreement", wie Kirchler erläutert. Valpicelle, nahe Turin, hat als einziger Verein dies nicht unterzeichnet, "so gönnen die Fans denen, dass sie Letzter sind".
Noch eine Besonderheit zeichnet die Pustertal-Wölfe aus: Aus dem Etat mit 1,2 Millionen Euro ("viele lokale und Kleinsponsoren") geht alles in die Mannschaft. Die besteht aus 11 Einheimischen, 7 Ausländern, 3 Italo-Nordamerikanern (Kanda/USA), je einem Finnen und Schweden. Bezahlt werden der finnische Trainer Teppo Kivelä, ein Assistent, Masseur, Athletik-Coach.
Ansonsten gibt es in der Vereins- oder Geschäftsführung keine Gehaltsempfänger. Patrick (ehrenamtlich Hallensprecher, Pressesprecher, Marketingmann, Mädchen für alles "und 24 Stunden in der Halle erreichbar") hat sein Auskommen vor allem als Betreiber der kleinen Stadion-Gaststätte, die täglich geöffnet hat. Wegen des öffentlichen Eislaufens, der kleinen Kunstlauf-Abteilung und des Hockey-Trainingsbetriebs mit 200 Kindern und Jugendlichen (9 Mannschaften) im Stammverein HC Pustertal.
Wegen des Geldes allein kommen die wenigsten Puckkünstler hierher. Eher wegen der Lebensqualität in Südtirol, der fantastischen Landschaft (Dolomiten, der über 3000 m hohe Kronplatz, einer der attraktivsten Alpin-Skigebiete der Alpen), dem historischen Ambiente im 15 000-Einwohner-Städtchen Bruneck.
Spitzenspieler sollen seiner Auskunft nach "etwa 30 bis 40 000 Euro pro Saison verdienen. Plus Wohnung und Auto". Der Schnitt in der Serie A 1 soll bei 10 000 bis 20 000 Euro liegen. Was bei den Einheimischen dazu führt, dass sie teilweise nebenher einen Teilzeitjob haben oder sich in der Ausbildung befinden. Ergänzungsspieler sind sogenannte "Feierabendprofis" mit einem Monatssalär von etwa 500 Euro. Jeden Donnerstag gibt es ein Livespiel im staatlichen TV RAI Sport, ansonsten wird Eishockey in den zahlreichen Regionalsendern geboten. Was die Nationalmannschaft betrifft, "so ist sie in einer klassischen Fahrstuhlsituation. Jeder Aufstieg in die A-Gruppe, wie letztes Jahr, ist ein Erfolg. Ein Klassenerhalt ist für uns eine kleines Eishockey-Wunder."
In Bruneck jedoch sticht Hockey von der Resonanz sogar Fußball aus. "Die sind bei uns hier in der 4. Liga, also an der Grenze zum Profifußball, haben aber bestenfalls um die 500 Zuschauer", wie uns paar Insider wissen lassen. Auf glattgewalztem Schnee, darunter Kunstrasen, hatten die Kicker am 21. Januar bereits zwei Partien der Rückrunde absolviert. Das aktuelle Match gegen Alleghe war überaus unterhaltsam. 3:0 aus Gastgebersicht, 3:3, 4:3, 4:4 und ein umjubeltes 6:4. Das Tempo nicht so hoch wie in der DEL, das Spiel nicht so hart und eng. Platz und Raum für feine Technik-Kabinettstückchen und Soli. Die Stars bei Bruneck die Nr. 71, David Ling mit NHL- und Russlands-KHL-Praxis, und Nr. 44, Matt Kelly, bester Verteidiger der Serie A in der Vorsaison. Zwei Kanadier. Im Focus: Der junge Feierabend-Profi Hannes Hopfgartner – er hält sich wacker als Ersatz für den Stamm-Keeper.
Der avisierte Ehrengast Erich Kühnhackl, von uns gesichtet beim Biathlon, war nicht anwesend: "Er war schon öfter zu Besuch da, sollte in den 80er Jahren für Bruneck stürmen, ist dann aber nach Olten in die Schweiz gegangen."
Kirchler sieht für die Pustertal-Wölfe Parallelen zu den Berliner Eisbären: "Auch unsere Fans hängen am alten Verein EV Bruneck, beziehen sich in Gesängen darauf und pflegen Traditionen. Wegen deren besondere Treue und Anhänglichkeit und natürlich wegen der Verwurzelung in der Region und der Superstimmung sind wir die Eisbären der Kultverein in unserer Liga."
Seit einiger Zeit kursieren Konzepte und Entwürfe über einen Hallen-Neubau. Nicht so pompös und klotzig wie die O2-Arena. "Wegen der angespannten Finanzlage in Italien wird das Vorhaben derzeit nicht in der Öffentlichkeit thematisiert. Moderner und größer als unser altes Haus solle es natürlich werden. Ich hoffe, in zwei bis drei Jahren können wir dann einziehen." Wie teuer, an welcher Stelle – am Flüsschen Rienz wie die jetzige Leitner Solar- Arena – all das ist momentan top secret.
Kirchler zeigt uns noch eine Rarität: Eine private Eh-Trikot-Sammlung mit mehr als 500 Originalstücken. Meist geschenkt von Spielern oder Gästen. Eins von den Eisbären ist nicht im Fundus. "Die aktuellen Merchandising-Textilien für die Fans sind nichts für mich. Eher ein altes Dynamo- oder DDR-Auswahltrikot wäre reizvoll."
Biathlon in Antholz ist immer eine Reise wert, Bruneck und Südtirol ohnehin. Wer jedoch Eishockey im urbanen Umfeld, in seiner Ursprünglichkeit ohne den überdrehten Event-Schnick-Schnack unserer Breiten erleben möchte, dem sei ein Besuch bei den Lupi Professional Wölfen empfohlen…