Eine aberwitzige Konstellation: Bessere Protectoren schützen im Eishockey – und provozieren zugleich Gehirnerschütterungen

Dabei hilft den Berlinern wenig, dass Kopfverletzungen dieser Art generell in der DEL zugenommen haben. Und man sich damit ungewollt dem Negativtrend der nordamerikanischen Superliga NHL angeschlossen hat. Prominentestes Opfer dieser Malaise ist Sidney Crosby, nach seinem Siegtor im olympischen Finale gegen die USA ein nationaler Hero in Kanada.

Der Superstar, Monatsgehalt eine Million Dollar, musste nach einem Check gegen den Kopf mehr als ein Jahr pausieren. Und wurde nach Wiederbeginn erneut von Schwindelanfällen geplagt und musste wiederum aussetzen.

Eine Situation, die bei den Eisbären derzeit Kapitän Stefan Ustorf, Verteidiger
Constantin Braun, Stürmer Andre Rankel und Verteidiger Jens Baxmann durchleben. Bei der Gehirnerschütterung tritt eine Schwellung des Gehirns ein. Was Schwindelanfälle, Erbrechen und gestörte Reaktionen/Wahrnehmung zur Folge hat. Andre Rankel, einer der wichtigsten Akteure bei den beiden letzten Titelgewinnen und in der Nationalmannschaft beim Olympiaturnier in Vancouver ein Leistungsträger, berichtet: "Derzeit kann ich mich im Alltag normal bewegen. Aber schon wenn ich mit meiner Tochter (im Kita-Alter, d.A.) spiele, muss ich vorsichtig sein. Fahren auf dem Hometrainer musste ich abbrechen. Wann ich wieder trainieren darf?- Keine Ahnung. Im Grunde kann ich nur abwarten, mich beobachten und zum Arzt gehen, der dann fragt und feststellt, wie es mir geht."

Momentan gibt es keine Behandlungsmethoden bei Gehirnerschütterungen. "So weißt du nie, wie lange der Heilungsprozess dauert – drei Tage, drei Wochen oder drei Monate", sagt EHC-Geschäftsführer- und Manager Peter-John Lee. Der ehemalige NHL- und Düsseldorf-Profi hat eine interessante und verblüffende Erklärung für die aktuelle "Eishockey-Modekrankheit". Da seien – neben der Tatsache, dass das Spiel schneller und die Sportler athletischer und dynamischer seien – "vor allem die modernen Schutzpanzer aus Carbon und anderem Material schuld. Während meiner Zeit hat man sich schon mal überlegt, ob man voll auf den Gegner drauffährt. Heutzutage kannst du mit den Protectoren voll gegen eine Wand fahren, und bleibst trotzdem heil." Mit Schutzausrüstungen, wie sie ähnlich bei Motorrad-Rennfahrern und im Alpinen Rennsport verwendet werden. Eine nahezu aberwitzige Konstellation: Da werden bessere Schutzpolster konstruiert – für Beine, Schultern, Körper, Rücken -, die wiederum mehr Kopfverletzungen nach sich ziehen können!

Das zusätzliche Handikap bei Gehirnquetschungen: Im Gegensatz zu "normalen" Blessuren, bei denen Alternativtraining (Schwimmen/Rad) möglich ist, darf sich der Sportler nicht körperlich belasten. Braucht viel länger, um fit für einen Wettkampfeinsatz zu sein. Auch mental eine schwierige Phase. Oldie Ustorf, der 100 verschiedene Verletzungen an allen denkbaren Stellen erlitten hat, gesteht: "Ja, ich habe jetzt kurzzeitig an ein vorzeitiges Ende meiner Karriere gedacht. Nun bin ich aber soweit und sage – so will ich nicht aufhören." Beim Interview des Eishockey-TV-Anbieters Sky fordert er, es müsse
"unbedingt etwas für den Schutz der Spieler getan werden." Dass er jetzt solange mit den Folgen zu kämpfen hat, habe möglicherweise damit zu tun, "dass ich einmal nach einer Gehirnerschütterung wohl zu früh wieder angefangen habe."

NHL-Experten haben berechnet, dass dort an jedem Spieltag wegen des Ausfalls gehirnverletzter Profis Verluste in Höhe von 750 000 Dollar entstehen. Eine EHC-Gegenrechnung will der Manager nicht aufmachen. Weil zeitweilig acht Spieler durch Krankheiten oder Sperren fehlten, mussten immer wieder Nachwuchsspieler vom Kooperationspartner FASS Berlin und neuerdings der aus Prag geholte Ex-NHL-Stürmer Jonathan Sim aushelfen.

Wie aber ist dem Problem beizukommen? – Lee: "In Nordamerika beschäftigen sich Experten mit exakten Diagnosen und einer Therapie. Es brauchte verlässliche Untersuchungen, wann ein Spieler danach wieder einsatzfähig ist. In der DEL haben wir am 15. Februar eine Zusammenkunft. Da wird man wohl mit den Schiedsrichtern und der Disziplinarkommission über strengere Sanktionen bei gefährlichen Checks ohne und mit Verletzungen reden müssen."

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