Käßmann – unergründliche Paradoxie?

Oder überhaupt: eine angemessene Ausstattung des Amtes, dem Millionen von Kirchensteuerzahlern Tribut zollen, mit Fahrzeug und Chauffeur, um derartige „Pannen“ zu vermeiden. Oder ein angemessenes Verhalten der aufmerksamen Polizei – da ja nichts passiert war – in der Form, dass sie die Fahrerin fragt, ob sie die Ampel übersehen hätte; und bei „Entdeckung“ einsichtigen Verhaltens ein vorsichtiges Weiterfahren anmahnend. Schließlich berichtete mir ein Bekannter von einem kürzlich vorgefallenen ähnlichen Erlebnis: er fuhr durch den Bundesallee-Tunnel am Bundesplatz und wurde von der Polizei bei einer Routine-Kontrolle gestoppt; der Polizist wollte die „Papiere“ sehen und stellte fest: „Alles in Ordnung; aber erstens sind Sie zu schnell gefahren und zweitens riechen Sie nach Alkohol.“ Antwort des Fahrers: „Sorry, ich wollte meine Mutter nur schnell nach Hause bringen.“ Replik des Polizisten (mit nettem Blick auf die beifahrende alte Dame): „Dann fahren Sie mal vorsichtig und bringen Sie Ihre Mutter wohlbehalten nach Hause.“ Und weiter ging die Fahrt, ohne polizeiliche Folgen. Hier hatte der Polizist offensichtlich den Eindruck gewonnen, dass zwar manches in einer Grauzone war, der Gesamteindruck aber ein Weiterfahren zuließ. Das war Ermessensspielraum des Polizeibeamten. Bei der EKD-Vorsitzenden Frau Käßmann kam dieser mögliche Bonus nicht zum Tragen – tragische Verstrickung von tatsächlichem Fehlverhalten, möglichem Meßfehler des Alkoholtestgerätes und kleinlicher Intoleranz der Polizei, die einfach überfordert war, ihren Ermessensspielraum „vernünftig“ auszuschöpfen. Ein anderes Beispiel, das ich selbst erlebte, unterstreicht dieses Vernunfts-Potential: Vor dem Reichstag fuhr ich in diesen Tagen in den Nachtstunden mit einem Berlinbesucher sehr langsam – sozusagen „sightseeing“ – mit dem Pkw entlang, wurde von einem mir folgenden Polizeifahrzeug gestoppt und aufgefordert, in das Alkoholteströhrchen zu pusten. Ich nahm das Röhrchen samt Testgerät in die Hand – dabei fiel das Röhrchen auf die Straße. Es war bitterkalt. Die Polizisten hatten nur ihre Uniformen an. Ein neues Röhrchen zu holen hätte alles noch weiter verzögert. Mit dem Kommentar: „Wir haben kein weiteres Röhrchen; fahren Sie bitte zügig weiter,“ verabschiedeten sich die beiden bibbernden Polizisten und ich war noch einmal davongekommen. Warum konnte bei Frau Käßmann nicht ähnlich verfahren werden? Warum konnten die Polizeibeamten nicht wissen, dass wir – unsere heutige deutsche Gesellschaft – die politisch und sozial so moderne EKD-Vorsitzende so dringend brauchen?!

So hoffe ich jetzt, dass uns Frau Käßmann in anderer Funktion hilft, die aktuelle soziokulturelle und -politische Krise zu überwinden. Schließlich hat sie ihren polizeikundlichen Fehler eingesehen und bereut ihn auch. Jetzt gilt es, sie wieder für die Arbeit an der Zukunft unserer Gesellschaft zurückzugewinnen.

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